Tempowechsel

Leider weiß ich nicht mehr wer, aber ein Mensch der sich mit Ernährung beschäftigt hat mal verlauten lassen, dass Menschen nicht besonders gut kauen und wir deshalb jeden Bissen etwa 50 mal zerkauen sollten. Das klingt nach sehr viel, dauer aber gar nicht so lange, wie mensch glaubt. Weil es aber komplett gegen unsere Gewohnheiten steht und aber auch eine sonst unbewusste Handlung ins Bewusste zieht, finden wir das befremdlich. Einige Sachen werden ja unterbewusst, weil wir eben keine Energie darauf verbrauchen wollen, darüber nach zu denken. Atmen, Bewegen, Gucken, Hören, da sind Sachen dabei die machen wir immer, ohne auch nur einen Gedanken.

Gerade beim Atmen fällt auf, dass es aber große Effekte haben kann, wenn wir etwas unbewusstes wieder ins Bewusstsein ziehen. Wer schon mal einen Yoga-Kurs gemacht hat, weiß welche übergeordnete Rolle ein kontrollierter Atem dort hat. Auch in anderen Sportarten, teilweise aber auch in der Musik, ist zu sehen, dass mit einem bewusstem Atem auch wir uns verändern. Die Herzrate, die Wahrnehmung, unsere Stimmung, unsere Gedanken, diese Dinge verändern sich, wenn wir das Tempo verändern.

Die Gestaltung der Welt, der Kapitalismus, sie machen uns vor, dass alles immer schneller gehen muss, da uns kulturell von Außen, Oben und leider auch von uns selbst eingeredet wird, dass Zeit eine begrenzte Ressource ist. Was nicht stimmt, wenn mensch es genau nimmt. Zeit ist unendlich. Unsere Möglichkeiten mit ihr etwas zu tun, die sind begrenzt. Die Frage darf aber sein, wann wir unsere Zeit gut genutzt haben? Müssen wir möglichst viel gemacht haben oder kann es aber eben auch Ziel sein, aus dem wenigen was wir haben so viel wie möglich zu machen? Multitasking als Skill wird gerade wissenschaftlich entzaubert, Studien weisen darauf hin, dass wir dazu überhaupt gar nicht im Stande sind und wenn wir es doch machen, wir uns oft an die Tätigkeiten die nebeneinander liegen nicht erinnern und ihre Qualität, so fern diese messbar ist, darunter leidet. Wer also isst und dabei Emails beantwortet, um Zeit zu "sparen", macht oft eher nur, dass das Problem dann wann anders auftaucht. Und wenn ich unsauber arbeite, dann spare ich gar keine Zeit, weil ich sehr wahrscheinlich die Aufgabe noch ein zweites Mal angehen muss.

Entschleunigung ist ein Buzzword geworden, fängt mir aber nicht klein genug an. Und das ist die Stelle, wo wir es am besten üben können. Die Frage die wir in jede Tätigkeit mitnehmen können ist: "Wie kann ich diese Aufgabe langsamer machen?" Dabei geht es nicht darum, sich selbst zu parodieren und in eine Darstellung einer Zeitlupe zu verfallen. Klar, macht auch das vielleicht einen Moment lang um euch selbst einen Spaß zu erlauben. Aber die Frage zu stellen, wie es auch langsamer gehen kann, kommt oft mit einem Zugang zu einem besseren Bewusstsein und Geistesgegenwärtigkeit.

Geistesgegenwärtigkeit ist übrigens eine richtig gute und gesunde und wichtige Sache. Wer geistesgegenwärtig ist, also auch wenig abgelenkt, mit Fokus auf die aktuelle Situation und das Handeln, lernt schneller, erinnert sich besser und trifft oft auch bessere Entscheidungen für sich selbst. Darauf weisen Forschungen von Dr. Ellen Langer hin. Wir haben dadurch dann oft auch unsere Ressourcen besser zur Verfügung. Und das wiederum bedeutet dann, wenn wir es wollen, dass wir mehr und fokussierter schaffen können.

Passend in diese Überlegung gibt es eine Anekdote, die ich immer wieder gerne erzähle, weil ihre Pointe eben mich immer wieder daran erinnert, was ein guter Tempowechsel bewirken kann. Es erzählt sich so, dass ein Politiker in Berlin zu einer wichtigen Sitzung musste, die Zeit aber schon knapp war. Die Person die ihn fahren sollte war auch nervös, weil eine Verspätung auch auf sie zurückfallen würde. Der Politiker blieb der Erzählung nach aber gelassen und soll gesagt haben: "Machen sie langsam, ich habe es eilig." Die Person am Steuer des Wagens hat wohl dann, eben mit Ruhe, eine andere Route gefunden, die zwar länger war, aber eben nicht vom Stau geprägt. Und sein wir ehrlich, im Stau kommt auf unsere eigene Ungeduld ja auch noch die der anderen mit drauf. Die Anekdote geht so aus, dass der Politiker zu der Sitzung zwar nicht pünktlich war, aber weil alle anderen in Hektik in den Stau gefahren sind, er eben trotzdem nicht zu spät war, sondern sogar einer der ersten vor Ort. Keine Ahnung ob die Anekdote stimmt, aber es gibt ja vergleichbare Geschichten. Hase und Igel grüßen nett.

Das mit dem Kauen bekomme ich auch nicht hin. Und auch ich esse manchmal während ich Bücher lese oder mische andere Sachen zusammen. Mit einem Kleinkind ist es dann auch manchmal schwer, den Haushalt, das Kind und andere Dinge einzeln und nacheinander zu betreuen. Es gibt auch Momente am Tag, wo ich mich selbst frage wie sinnvoll es ist, sie langsamer zu machen, oder dadurch Tempo raus zu nehmen, dass ich nicht zwei Dinge gleichzeitig mache. Denn das ist ein Aspekt der oft übersehen wird. Tempo entsteht nicht nur, wenn eine Sache schnell wird, sondern wenn mehrere Sachen parrallel passieren. In der Musik braucht es nur ganz wenige Instrumente um einen Rythmus entstehen zu lassen, aber je mehr wir hinzufügen, desto mehr muss bearbeiten und verarbeitet werden und dann kann auch ein "langsames" Stück eine hohe Intensität haben und damit ein hohes Tempo in der Verarbeitung fordern. Aber manchmal habe ich den Eindruck, es geht eben nicht anders, als Dinge gleichzeitig zu machen. So wie wir unsere Smartphones nutzen, ist es ja auch teilweise so, dass wir wegen unserer Erreichbarkeit auch immer etwas "gleichzeitig" machen.

Die Frage mitzunehmen ist aber schon gut. Wie kann ich diese Situation reduzieren? Wie kann ich mich verlangsamen? Und dann schauen, was ich dabei erkenne und lerne. Auch in der Kunst passiert es manchmal, dass wir denken, wir müssten schnell sein. Eben schnell ein Video filmen, aber dann sind wir so sorglos, dass wir mehrere Takes oder viel Schnitt brauchen, wo wir mit Ruhe vielleicht einen One-Take geschafft hätten. Sich Zeit nehmen spart oft Zeit. Zum Beispiel auch, wenn wir anderen zeigen wollen, wie etwas geht. Es gibt viele Beispiele. Und eben viele gute Gründe sich das immer mal wieder bewusst und zur Aufgabe zu machen.

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