Übersehen Version 1.04

Weil meine Eltern mir Verantwortung beibringen wollten und aber auch mich daran gewöhnen, dass ich für Geld arbeiten müsste - Und auch weil meine Mutter keinen Bock mehr auf die Aufgabe hatte - habe ich als Teenager die Aufgabe aufs Auge gedrückt bekommen, den Hausflur zu putzen. Dafür gab es dann ein paar Euro wenn ich es gemacht hatte. Das sollte immer samstags passieren und in einem mir heute nicht mehr erinnerten Turnus. Meine Mutter hat mir als Frühaufsteher empfohlen das direkt morgens zu machen, dann hätte ich es ja erledigt. Das widersprach zwar meinem strengen Samstag-Morgen-Zeichentrickserien-Programm, aber ergab genug Sinn, dass ich mich oft genug dazu durchgerungen habe.

Am Ende des Tages habe ich dann meine Mutter um das Geld gebeten oder gefragt ob ich es mir dann jetzt in mein Taschengeld-Konto eintragen kann. Ein Tool meiner Eltern mich nicht immer bar in Taschengeld auszuzahlen (weil das manchmal auch nicht gut gegangen wäre, weil wir nicht immer Geld hatten für so Luxus wie Taschengeld). Und meine Mutter hat das trocken abgelehnt, denn der Flur wäre ja gar nicht geputzt. Sie hatte nach ihrer Arbeit ja im Treppenhaus den Schmutz gesehen. Da es als Teenager schwer ist den Streit gegen die Mutter zu gewinnen ist das oft darin geendet, dass ich den Flur nochmal geputzt habe. Oft noch spät am Tag. Am nächsten Morgen hat sie dann kommentiert, dass das wirklich noch nicht gut ist, aber ich es ja wenigstens machen würde.

Es hat ein Weilchen gedauert bis ich erkannt habe wo das Problem lag. Arbeitsschuhe, Öl, Siff, Straße, schmutzige Hände. In dem Haus in dem wir gelebt haben, haben die Abschleppwagenfahrer des Unternehmens gewohnt, in dem mein Vater gearbeitet hat. Während also tagsüber einige von ihnen, mindestens für die Mittagspause, durch den Flur gelaufen sind, hat spätestens am Nachmittag der Bereitschaftsdienst begonnen. Dabei sind die Fahrer auf Abruf zuhause, fahren dann raus und wenn es keine Aufträge mehr gibt gehen sie wieder rein. Im Bereitschaftsdienst sind immer drei Fahrer gewesen und hieraus wird eine Textaufgabe einer Mathearbeit. Die schnelle Lösung:

Ich habe nur ein mal am Tag geputzt, aber es gab den ganzen Tag über Schmutz. Zum Zeitpunkt der Überprüfung meiner Arbeit war aber soviel Tag passiert, dass es wieder so aussah, als wäre sie nicht passiert. Dieser Effekt ist aber nicht nur exklusiv für meine Arbeit und Situation. In einer WG lebend passiert es auch hier immer mal wieder, dass ich etwas tue, was dann niemand sieht, weil es verschwindet in der Zwischenzeit. Andersherum genau so. Ich nutze etwas und verschmutze es unterbewusst und mache damit rückgängig was jemand anderes gemacht hat. Ich sehe manchmal auch Personal von der Stadtreinigung oder auch bei der Baumpflege, die Fotos machen und verschicken wenn sie fertig sind mit ihrer Arbeit. Weil einige Arbeit vergänglich ist.

Ein alter Arbeitgeber von mir hat als einen weitergereichten Slogan gehabt: "Melden macht frei." Dabei ging es damals sowohl darum wenn wir dachten, wir hätten einen Fehler entdeckt, aber eben auch wenn wir etwas erledigt hatten. Aber wem melde ich was ich gemacht habe, wenn ich mit mir selbst arbeite und alleine bin? Manche gehen deshalb Co-Worken, weil sie dort laut benennen können was sie tun und wie weit sie sind. Manche setzen dabei auf "Accountability-Buddies", Menschen im Umfeld die auch mal nachfragen wie es läuft. Etwas sanfter sozialer Druck um auch wirklich etwas zu machen, aber etwas soziale Echokammer, damit wir auch beweisen können, dass der Baum im Wald gefällt wurde, auch wenn es niemand außer uns mitbekommen hat. "Melden macht frei!" funktioniert für mich auf jeden Fall ganz passabel. Es hat schon Dopplungen, Versäumnisse und aber auch Fehler verhindert. Andererseits bin ich etwas unsicher damit, was ich denn jetzt meldenswert finde.

Eine Art sich auch etwas zu melden, für uns kreative Leute, sind Dokumentation und Listen. Du möchtest jeden Tag ein Gedicht schreiben? Mach für jedes Gedicht einen Strich auf einen Zettel. Gib den Gedichten auch Nummern zu ihren Titeln, damit du weiß wo du stehst. Du arbeitest an einem längeren Projekt? Vielleicht sogar mit anderen? Lernen von Programmierer*innen und Videospielmacher*innen: Schreibe einen Change Log. Halte nach was du heute gemacht hast, dokumentiere Fortschritte. Ein Vorher und ein Nachher Foto. Gab es eine Besonderheit? Schreib sie für heute auf.

Eine andere Sache die so einer Situation auch helfen kann ist Vertrauen. Das hätte ich von meiner Mutter gerne gehabt, aber ich vermute es gab -möglicherweise gute- Gründe dafür es nicht zu tun. Aber wenn meine Mutter mir geglaubt hätte, dass zwischen meinem Putzen und ihrer Kontrolle schon wieder Sachen passiert sind und ich nicht ganz von vorne hätte anfangen müssen, hätte mir das schon geholfen. Und wenn es nur auf der interpersonellen Ebene gewesen wäre. Denn dann hätte ich mir vielleicht nicht eingeprägt, dass ich schlecht im Putzen bin und daraus eine Blockade für die Zukunft gemacht. Super krass im Putzen bin ich auch jetzt immer noch nicht, aber ich merke auch dass ich manchmal extra kleine Änderungen vornehmen in der Hoffnung das Menschen merken, dass ich es gemacht habe. Programmier*innen ändern dafür die Versionsnummer.

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