Lorenor Zorro

One Piece ist eine Manga und Anime-Serie, die schon so lang läuft und so beliebt ist, dass ich mich manchmal frage ob es so etwas wie den literarischen Kanon der gesammten Welt auch gibt. Der Kanon beschreibt die berühmten Sachen die mensch gelesen/gesehen/gehört haben sollte. Für einzelne Länder kenne ich das, er ist sowas wie die Internet-Top-Listen von Dingen, nämlich eine tolle Basis um sich mit Menschen über die Relevanz und Qualität von Medien zu streiten. In meinen persönlichen Kanon schafft es One Piece auf jeden Fall. Und ich habe nicht mal alles davon gesehen und gelesen. Denn die Serie läuft lang genug, dass ich sie bei den Erstausstrahlungen im deutschen Fernsehen schauen konnte und jetzt bei Veröffentlichungen der neusten Folgen mit englischen Untertiteln auf japanisch bei einem Streamingdienst auch quasi "live" dabei bin.

Die Natur dieser Geschichte ist, dass sie sehr viele Geschichten ist. Denn während die Piratenbande um die es geht durch die Welt reist, erleben sie an verschiedensten Orten immer wieder neue Herausforderungen. Dabei treffen sie unzählige bunte Charaktere und folgen ihren Träumen und großen Zielen. Eine dieser kleineren Geschichten oder einen Moment mag ich gerne heraus greifen, denn es geht bei One Piece auch in gewisserweise um eine Gruppe Künstler*innen die nach Erfolgen in ihrem Handwerk streben. So gibt es Nami, die Navigatorin und Kartografin, die eine korrekte Karte der gesamten Welt erschaffen möchte oder Sanji, der Koch, der gerne einen Ort aus Legenden finden will weil es da unbekannte und ungeahnte Zutaten geben soll. Oder Nico Robin, die Forscherin die ein Mysterium der Welt aufdecken will. Und dann ist da eben Lorenor Zorro, dessen Ziel am gradlinigsten wirkt: Er möchte der beste Schwertkämpfer der Welt werden.

Als Zorro sich der Gruppe anschließt ist diese noch sehr in den Anfängen und Zorro wirkt allerdings schon ein wenig so, als wäre er überlevelt. In Kämpfen ist er kaum antastbar und wenn auch er zwar Treffer kassiert und verletzt wird, triumphiert er deutlich und mit großer Macht über seine Gegner*innen. Wäre Zorro ein Künstler, dann könnten wir hier sehr umgangssprachlich sagen, dass er "Talent hat". Sein Handwerk fällt ihm sehr leicht, seine Grundausbildung die er erfahren hat nutzt er um seinen eigenen Stil zu entwickeln. Ich werde nicht sagen, dass ihm alles zufliegt, aber er hat das Superman-Problem: Es ist schwer jemanden sich mit jemandem zu identifizieren, der keine Probleme hat.

Recht früh in der Geschichte trifft die Gruppe allerdings auf Mihawk Dulacre, den besten bekannten Schwertkämpfer der Welt. Zorro ist sich vollkommen bewusst auf wen er da trifft. In einer Mischung aus Fan dasein und aber auch dem Gefühl, dass sein Ziel jetzt schon in greifbarer Nähe ist, fordert er das Idol/den Star heraus auf ein Duell um Leben und Tod. Mihawk nimmt mit Widerwillen an. Als es zu dem Duell kommt, kämpft Mihawk nicht mal mit seiner vollen Kraft, erniedriegt Zorro dadurch, dass er eine viel kleinere und nicht seine Hauptwaffe verwendet und Mihawk besiegt Zorro vernichtend, verletzt ihn sogar fatal, wenn auch er Zorro am Leben lässt, dieser aber ein Weilchen in einer Art Koma liegt über die schwere der Verletzungen. Als Zorro wieder zu sich kommt, auch unter dem Einreden seiner Crew, denkt er gleichzeitig, dass er versagt hat, erkennt aber auch, dass er noch so viel lernen muss und noch viel lernen muss.

Manchmal wenn ich auf mein früheres Ich schaue oder auch frische Künstler*innen mit denen ich arbeiten durfte, dann sehe ich auch genau das. Da sind diese riesigen Träume und Ziele und manche versuchen den Endboss ihrer Geschichte schon am Anfang heraus zu fordern, kommen wirklich dahin, scheitern dann aber. Vielleicht wegen einer Art des Scalabrine-Effekts, hauptsächlich aber, weil sie noch gar nicht in die Tiefe ihrer Kunstform vorgedrungen sind oder auch noch gar nicht sicher haben, was ihre Kunstform ist. Da Scheitern in der Kunst immer auch mit Verletzung kommt, erholen sich manche Künstler*innen und/oder Kreative nicht davon und hören auf, immer mit dem Schmerz versagt zu haben, der dann nicht heilt. Irgendwo später im Leben beißen einem die "Ach-Hätt'-Ich-Dochs" in den Arsch.

Wir dürfen die Größe des Traumes nicht mit der Größe unserer Fertigkeiten verwechseln. Das ist, was Zorro vielleicht getan hat. Denn Zorro weiß scheinbar intuitiv, dass er sein Ziel erreichen kann. Er weiß, dass er dafür Arbeit macht, er weiß dass er einige Techniken beherrscht, aber er will die große Gelegenheit mit Erfolg ausfüllen ohne einen klaren Bezug dazu, was es eigentlich bedeutet in etwas zu den Besten zu gehören. Bis hier hin war er nur besser als alle anderen die er getroffen hat, nicht aber einer der Besten.
Und selbst wenn mensch das Talent hat, diesen Status sehr schnell zu erreichen, dann braucht es viele Arten von Wachstum und Aufmerksamkeit, um der größe des Traumes den mensch hat auch gerecht zu werden und da eben auch rein zu wachsen.

Lorenor Zorro hat zum Glück gute Umgebungsfaktoren, die ihn daran halten, seinem Traum weiter zu folgen und der großen Niederlage nicht eine Berechtigung zu geben, die ihn seines Traumes berauben würde. Aber er hat auch in sich diesen sturen ungebrochenen Willen weiter zu machen. Der eben hier fast einmal gebrochen worden wäre oder zeitlichbegrenzt auch war. Aber auch ein Willen, der mal gebrochen wurde, der war über 90% der Zeit immer noch ungebrochen und da und diese Statistik lässt sich nutzen um wieder den Willen über die Haltung zu stärken.

Früher fand ich Zorro eine blöde Figur in One Piece. Heute mit meinem Wissen über Kunst, Handwerk, mich schaue ich anders auf ihn und auch wenn ich seine eiserne Disziplin nicht für mich selbst sehe und anwenden kann und will, so habe ich größten Respekt vor dieser Figur und seiner Leidenschaft und Fehlerbereitschaft und kann von ihm lernen. Denn tiefe Niederlagen erfahre ich in der Kunst auch, auch in der Tiefe, dass ich immer wieder an den Träumen gezweifelt habe und auch ich habe schon deutlich größere Stücke abgebissen, als ich überhaupt kauen konnte. Aber inspiriert von solchen Geschichten kann ich darauf hoffen, dass ich auch auf dem richtigen Weg bin, wenn ich nach einem heftigen - fast fatalen - Niederschlag weiter kommen kann und der Traum nicht gestorben ist.

Was habt ihr schon angegriffen, das für euch (noch) viel zu groß war? Wie habt ihr es geschafft das auszuhalten? Wie habt ihr es geschafft dann weiter zu machen?

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