Die Frage nach dem Talent

Talent ist diese mystische Fertigkeit, die scheinbar macht, dass irgendwo in uns die Anlge ist, dass wir bestimmte Dinge besonders gut können. Im Sport wird manchmal von einem "Jahunderttalent" gesprochen wenn jemand auftaucht, der besonders herausragende Leistungen erbringen könnte und eine besondere Zukunft vor sich hat. In Gesprächen mit Künstler*innen merke ich manchmal auch das "Da fehlt mir das Talent" als Argument verwendet wir um zu sagen, dass etwas nicht gekonnt wird oder noch schlimmer es auch den Versuch nicht wert ist. Als könnten wir unser Innenleben so genau auslesen und vorhersagen was uns gelingen könnte. Und dann kommt auch noch eines meiner Lieblingszitate daher, was nochmal eine anderes Licht auf Talent wirft: "Hard work beats talent, if talent doesn't work hard".

Was also sicher ist, dass Talent ein Wort ist, welches mit einer Dehnbarkeit und Beweglichkeit angewendet wird. Der bittere Anteil in mir mag sagen, dass wir nicht mehr darüber nachdenken was das Wort bedeutet. Das Gute ist, dass mein Anteil der gerne lernt und lehrt lieber ein wenig an dem Wort forschen will. Und bei dem bisschen das ich übers Forschen zu Wörtern weiß, starte ich häufig in meinem Fremdwörter-Duden. Denn - haha - Talent ist vielen ein Fremdwort.

Ihr könnt es in dem Bild sehen, aber ich mache den relevanten Teil auch nochmal als Bildbeschreibung.

Talent, das (griechisch-lateinisch):

1.a) Anlage zu überdurchschnittlichen geistigen oder köprerlichen Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet; angeborene besondere Begabung;
b) jemand, der über eine besondere Begabung auf einem bestimmten Gebiet verfügt
2. alt-griechische Gewichts- und Geld-Einheit.


Na gut, das letzte können wir für unsere Überlegungen ausschließen. Die Anlage, also etwas was schon da ist, bevor wir etwas hinzugeben. Die Anlage ist etwas, was in uns liegt, der Name sagt es gut, es ist in uns angelegt.
Überdurchschnittliche Fähigkeiten. Das finde ich eine spannende Definition, weil wenn sie zutrifft, müssen wir uns immer auch damit beschäftigen, was der Durchschnitt ist und ob dieser in unserem Gebiet überhaupt messbar ist? Was ist der Durchschnitt in der Malerei? Was beim Schreiben? Und bedeutet dass, wenn immer mehr Menschen auf einem Gebiet schlechter werden, dass dann aber auch die Zahl derer steigt die Talent haben, weil der Durchschnitt steigt? Das ist der Moment, wo ich Talent als Begriff gar nicht mehr so nützlich finde. Denn wenn wir doch mit unserem Augenmaß manchmal bestimmen sollen, ob jemand Talent hat, dann müssen wir uns ja auch eigentlich in dem Gebiet auskennen, um sicher sagen zu können, ob jemand von sich aus schon über dem Durchschnitt liegt. Und dabei auch wichtig, dass es einen unterschiedlichen Durchschnitt gibt zu einem anderen Zeitpunkt der Karriere.

Nehmen wir mal Kinder als Beispiel im Vergleich zu erwachsenen. Im Durschschnitt können wir uns darauf einigen, dass Erwachsene ihre Schuhe binden können, wenn sie keine körperlichen Einschränkungen haben, die dies verhindern. Wie gut Menschen Schuhe binden können, würde wir im Erwachsenenalter kaum vergleichen. Kinder lernen allerdings unterschiedlich gut und schnell Schuhe zu binden. Das bedeutet aber auch, dass wenn sie mit - keine Ahnung wann das erlernt werden sollte - mit drei schon vor anderen Kindern Schuhe binden können, dann haben sie da Talent, aber schon ein paar Jahre später, wenn alle sich ihre Schuhe binden können, dann spielt das keine Rolle mehr. Wir können uns aber darauf einigen, dass das Talent irgendwann kein schwerwiegendes Kriterium ist. Schöne Grüße von dem Lieblingszitat aus dem ersten Absatz.

In einer Ausgabe der Psychologie Heute, lese ich, dass es gerade Streitpunkte in der Forschung zum Thema Talent gibt. Denn ob Menschen wirklich eine Anlage für bestimmte Gebiete haben ist unklar und nicht eindeutig in der Wissenschaft beweisbar. Natürlich gibt es Körperbilder die bestimmte Tätigkeiten eher erlauben, aber dann gibt es eben auch einen Haufen Ausnahmen, die nicht so eindeutig zu erklären sind. Zu mal die Talentforschung auch festgestellt hat, dass es große Unterschiede in der Betrachtung von Talent bei den Gendern gibt. Das ist ein einer Gesellschaft die Gender immer wieder trennt und in unterschiedlich unterstützende Kontexte packt erstmal nicht überraschend. Aber mit der Frage der Gender beginnend, gibt es in der Talentforschung eben auch die Frage, ob Talent in Wirklichkeit nicht Privileg ist.

Denn was wohl viele Menschen mit Talent vorallem gemein haben, dass sie es zeigen und es nicht unterdrückt wird. Wir bemerken Talent, wenn Menschen sich trauen zu versuchen Leistungen zu erbringen. Und sich in Gesellschaft zu trauen Dinge zu tun ist leider mit zunehmendem Privileg - also gesellschaftlichen Vorteilen - deutlich einfacher, weil egal wie große die Niederlage ist, das Rettungsnetz dahinter stärker ist als bei anderen. Es ist ein Unterschied ob eine reiche Person oder eine arme Person zum Beispiel eine Karriere verfolgen, die viele Ressourcen und Material brauchen. Denn wenn auch mehrere Jahre Arbeit nirgendswo hinführen, ist eine reiche Person vorraussichtlich danach auch immer noch reich, aber eine arme Person gefährdet damit schon ihre Existenz. Wir wissen nicht wieviele Kinder in prekären Verhältnissen vielleicht die nächsten großen Denker*innen sind, Sportler*innen sind, Philosoph*innen sind, weil sie nicht die Chance bekommen es zu riskieren. Und auch wenn es da Ansätze der Talentförderung gibt, fokussieren diese sich eben wieder auf Erfolgschancen und nicht aufs Risiko. Denn Projekte die Talente fördern nehmen nicht in Kauf über längere Zeit falsch zu liegen. Und so werden dann meist auch doch wieder Menschen gefördert, die teilweise schon ausreichend priviligiert sind und sich trauen.

Selbst bei Kunstpreisen die "junge Talente sichtbar machen wollen" muss erstmal gegeben sein, dass sie die Anforderungen einer Einreichung erfüllen. Das hat oft auch gar nicht so viel mit Talent zu tun, sondern mit eben dem beschriebenen Gefühl von Sicherheit. Aber ja, in gewisserweise ist auch Privileg eine Anlage die wir haben. Allerdings liegt diese nicht in uns und könnte mit einer anderen Chancenverteilung sich ganz anders austragen.

Wenn ich auf meine Haltung schaue, dann mag ich den Begriff des Talents gar nicht so sehr. Es mag meiner Mission, meiner Neigung zum Lernen oder meiner Ausbildung im Pädagogischen geschuldet sein, aber ich mag lieber auf Potentiale schauen. Und Potential hängt eben nicht nur von Talent ab oder Privileg, sondern auch von Motivation. Und Motivation kann sehr lange wege gehen, je näher sie am eigenen inneren roten Faden liegt. Und Potential können wir kultivieren und pflegen. Wenn Talent wirklich eine Anlage ist, dann verändert sich diese ja nicht mehr. Unsere Gene, unsere Familie, die Geschichte vor unserer Geschichte, das bekommen wir alles genau ein mal. Aber Potential schaut auf die Gegenwart und die Zahl der offenen Möglichkeiten. Damit ist in meiner Vorstellung Potential unendlich. Und das stimmt vermutlich auch nicht, aber das ist vielleicht ein anderes Gespräch, wo es dann auch um Vorstellungskraft geht.

Was ich sagen mag: Lasst euch nicht davon ausbremsen, wenn ihr glaubt für etwas kein Talent zu haben. Bock haben ist die Wurzel für einen Haufen gute Arbeit und Kunst da draußen. Und da sowieso kaum jemand vorhersagen kann was mal Erfolg oder Wirkung haben wird, ist es das Risiko wert, wenn ihr die Chancen habt eure Kunst zu machen.

Internetprofis sagen am Ende von so Artikeln soll mensch noch eine öffnende Frage stellen, aber dazu fehlt mir -haha- das Talent. Trotzdem: Was denkt ihr dazu? Wie würdet ihr Talent beschreiben? Was bedeutet es für euch?

Kommentare

  1. Mella7.11.23

    Das ist so spannend, weil ich auf diese Themen immer aus der Perspektive als Psychologin gucke und bzgl. beruflicher Orientierung. Die Kunst-Seite blende ich da meist aus, aber die Parallelen sind richtig gut zu sehen. Wenn Menschen bei mir sitzen und Wünsche für ihre Zukunft haben, sich aber nicht trauen, weil sie sicher sind, dass ihnen das Talent fehlt... oder das notwendige Zertifikat... die aber gleichzeitig so vor Liebe und Begeisterung für eine Sache brennen, dann dreh ich erst richtig auf.

    Denn auch hier: Motivation sticht häufig alles andere aus! Den letzten Feinschliff eines Skills? Kann man lernen. Ein Programm, mit dem du noch nicht gearbeitet hast? Hier ist ne Schulung dafür. Aber wenn ich verschiedene Menschen habe, die grundsätzlich auf eine Stelle passen, dann ist die Person, die es mit mehr Motivation und Überzeugung tut, die bessere Wahl. Leidenschaft kann man NICHT in einem Seminar vermitteln und das bügelt ganz viele andere Dinge wieder aus. Aber die weniger privilegierten unter uns, trauen sich häufig nicht und halten sich eher zurück, wenn nur ein Funken Zweifel an der eigenen Eignung übrig bleibt. Daran arbeite ich, um diese Zweifel zu zerstreuen, auf Potenziale zu schauen und den nötigen Schubs zu geben, den es braucht, um die Angst zu überwinden. Denn auch hier: Veränderungen bedeuten natürlich immer auch Risiko, wenn keine Absicherung im Rücken ist.

    Das, was du im Kunstbereich machst, ist davon gar nicht so weit entfernt und ich finde es wirklich immer wieder spannend zu sehen, wie nah sich das doch alles ist. Und wie gut es tut, jemanden zu haben, der von außen auf die eigenen Möglichkeiten schaut, um zu beleuchten, wo man selbst nicht hinschauen kann. :)

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  2. Ich hatte tatsächlich zuletzt mit einem Freund über den Begriff "Talent" gesprochen.

    Ich mag den Begriff persönlich nicht, auch wenn dieser eine gern gesehene Ausrede ist, so mag ich das nicht. In Kunstkreisen höre ich den Begriff immer wieder: Er/sie/they ist voll talentiert wow! Und gemeint ist eigentlich: Wow, er/sie/they ist mega gut in dem was mensch tut! Talent versucht, nach meinem Gefühl Fähigkeiten von Menschen zu erklären, die Mensch nicht versteht. Krass harte Schüsse im Fußball, (OK ich bin ehrlich, mit Sport kenn ich mich nicht so aus) oder wenn Menschen Münzen verschwinden lassen können usw. Ich verstehe dabei nur leider nicht, wieso das der Mensch tut. Also wieso versucht der Mensch etwas zu erklären, was er "nicht versteht", was er aber doch eigentlich versteht. Das der kleine Messi bei Geburt kein Fußball durch den Kreissaal geledert hat, dürfte ja dem klar sein. Und wie Messi zu einem krassen Fußballer würde doch auch. Arbeit. Durch Training und harte Arbeit. Und ich finde, die bleibt aufgrund des Begriffs "Talent" häufig gänzlich unerwähnt. Und schlimmer noch: Nicht respektiert. Aber vielleicht kann mir ja jemand hier meine Frage beantworten, wieso Menschen den Begriff nutzen? Ansonsten hat mir der Artikel super gefallen, neue Abendroutine unlocked👍

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    1. Jay Nightwind7.11.23

      Vollständig erklären kann ich es vielleicht nicht, aber wir dürfen natürlich nicht übersehen, dass wenn der Begriff aus dem griechischen-lateinischen kommt, dass er dort sicher in einer anderen Zeit und anderen Kontexten verwendet wurde. Wo in historischen Schriften so etwas wie Herkunft sehr deutlich mit bestimmten Eigenschaften verbunden wurde - z.B. wird "spartanisch" ja heute noch verwendet - , kann so ein Begriff anders geprägt sein und sich über die Zeit verändert haben.

      Talent als Grundlage um Menschen zu beschreiben ist eben auch eine Frage des Überzeugungssystems. Denn es ist weder sicher bewiesen noch wiederlegt, dass Menschen für bestimmte Eigenschaften in ihren Genen zum Beispiel eine Veranlagung haben. Aber ich kann mich dafür entscheiden zu sagen: "Jaja, das XYZ liegt in der Familie, weil wir sind eine Familie von XYZs" und es stimmt ja auch, dass wenn alle gewohnt sind eine bestimmte Sache zu tun, dass für andere Generationen leichter wird.

      Ich kann mir vorstellen, dass es eben nicht immer bewusst ist, dass viel Arbeit darin steckt. Bei vielem. Wir vergessen wie lange das Produkt im Supermarkt bis dort hin gebraucht hat. Ein Slam-Text dauert Fünf Minuten, aber ihn zu schreiben und in Form zu bringen vielleicht Jahre. Unsere Wahrnehmung vereinfacht die Dinge vielleicht., damit wir nicht immer an alles denken müssen. Und ironischerweise hat auch das mit Kultur und Anlage zu tun.

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    2. Mella8.11.23

      @Leon: NA, ENDLICH! XD Nein, Spaß. Gut Ding will Weile haben. Aber guter Blog zum Einbau in Routinen. ;) Freut mich sehr zu lesen.

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    3. @Jay Wow, hey, cool, gibt mir nochmal was zum drüber nachdenken. Danke dir für den Input. Das mit den Generationen find ich iwie wirklich interessant. Erst vor kurzem mit einem SpokenWordArtist gesprochen, der super krasse Reimketten baut. Im Gespräch erzählte er dann, dass bei ihm auf Familienfeiern die ganze Familie Gedichte rezitiert und Reimt. So, kann ich mir vorstellen, wird ja dann schon durch die Sozialisierung und Erziehung bestimmte Fähigkeiten vermittelt. Die ersten Berührungspunkte sind bereits schon viel früher, und wenn alles passt, Motivation und so weiter, dann ist der "Weg auf dem gearbeitet wird" viel früher angefangen. Verrückt das alles. Das diese Vereinfachung von alltäglichem ja eh was automatisches ist, und wenn sich jeder bei allem bevor Mensch es beschreibt, erstmal den gesamten Aufbau durchdenken muss, wäre auch sehr kompliziert. Mit dem Gedanken nochmal den Begriff Talent, bzw. Meine Ansicht auf den Begriff, anzuschauen, ist da auch nochmal interessant. Und ich glaube, dass dennoch vielen Menschen die Kunst konsumieren, schon bewusst ist, dass dort mehr Arbeit hintersteckt. Aber was nicht erwähnt wurd, is nicht erwähnt. Und mit Transferleistung ist es wie mit Selbstverständlichkeit. Erst wenn's erwähnt ist, ist's erwähnt und sichergestellt. Wenns nicht erwähnt wird, müssen wir darauf hoffen, dass diese Transferleistung gemacht wird, und die Arbeit dahinter gesehen wird. Nur eben etwas, das wir nicht sicherstellen können. Sprache ist etwas verrücktes und wie, obwohl die Sprache uns doch helfen soll, Informationen weiterzugeben, uns doch auch nochmal zur Diskussion reizt, welche Information es ist. Verrückt diese. Cooles Thema, und ich les mir dann jetzt mal den Artikel zu Büchern durch👍

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    4. @Mella Jaaaa, verrückt diese👍😂 na, is schon nice der Blog. Und ich arbeite an der Fähigkeit Routinen aufzubauen, und lern noch was dazu. Zwei Trottel in mir mit einem Blog geschlagen. 🎉🎉

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    5. @Jay ou und das mit der sprachlichen Nutzung find ich interessant. Daran hatte ich überhaupt gar niemals gedacht. Talent und dessen sprachliche Herkunft. Verrückt diese. Ich muss das später mal googlen. Oh Damn echt ! Krass, danke dir👌

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