Statt Niemand

Nehmen wir euch ein bisschen mit in meinen Kopf. Vielleicht treffen wir ja auf Gedanken, die ihr auch kennt. Über meine Arbeit mit mir selbst, vorallem in Form von "Morning Pages", einer Meditations- und Journaling-Methode nach Julia Cameron, bin ich jeden Tag ein mal mindestens im "Gespräch mit mir selbst". Stellt es euch vielleicht wie im Film "Alles steht Kopf" vor, nur dass ich nicht meine Emotionen dort rumwuseln habe, sondern meine Anteile meiner Persönlichkeit. Und aber eben als vermittelnde "Person" mein Selbst. Meine wahrnehmende Präsenz die im hier und jetzt stattfindet. Es klngt alles mystisch und ein wenig ist es das auch, auch für mich, aber das gehört wohl zu Meditation dazu.

So ungewöhnlich das alles klingt, auch nach über einem Jahr die ich jetzt diese Methode anwende, so hilfreich war es aber auch für mich. Was nicht bedeutet, dass es für alle hilfreich ist. Dies ist keine Werbung. Aber was es mir erlaubt, ist eben mit mir ins Gespräch zu kommen. Und das ist auch wichtig, denn im Gespräch mit mir, kann ich mich auch verändern, kritisieren und aber auch besser verstehen und akzeptieren. Ein Thema, welches ich mit mir, aber auch mit Freund*innen immer wieder habe, was ich bei Ihnen kritisiere, aber auch von ihnen kritisiert wird bei mir, ist die Verwendung von Superlativen, wenn es uns schlecht geht.

Beispiel:
Die meiste Zeit am Tag weiß ich, dass es Menschen gibt, die mich lieben und wenn ich weg bin auch vermissen. Wenn ich aber mich nicht gut fühle, unerfüllte Bedürfnisse habe und meine Laune kippt, dann komme ich zu Aussagen, von denen ich eigentlich weiß, dass sie nicht stimmen. Trotzdem sage ich dann emotional: "Niemand vermisst mich." Und das stört mich dann etwas später oft, denn wenn Freund*innen z.B. dabei sind und so eine Aussage mitbekommen, sind sie zum einen, weil sie selbst nicht emotional sind mit einem faktischen Blick auf die Sache anderer Meinung. Zum anderen könnten sie aber auch verletzt sein, denn wenn ich sage "Niemand" unterstelle ich ihnen sprachlich gleich mit, dass sie mich nicht vermissen würden. Und das steht mir halt eigentlich nicht zu zu entscheiden, weil ich das nur wissen kann, wenn ich es abfrage. Tue ich aber nicht, wenn es mir nicht gut geht. Emotionen verschieben den Filter.
Ähnliche Situationen hatte ich auch in meinem Leben schon mit "Niemand braucht mich.", "Keine*r fragt nach Zeit" und haufenweise anderen selbstverletzenden verkürzten Aussagen.

In meine Pages habe ich die Frage mitgenommen, was ich dagegen tun kann. Denn die Emotionen sollte ich ganz dringend nicht abschalten und verhindern, das schafft nur neue Probleme an anderer Stelle. Was ist erkennen konnte, dass es sich um eine Angewohnheit handelt. Der Superlativ in der Sprache, den verwenden wir auch oft im Alltag. Das Gute ist aber, dass ich über Angewohnheiten und wie mensch sie verändern kann schon einiges gelernt habe und auch Übung habe. Auch in meiner Sprache, da sehe ich bei mir das Gendern, Pronomen, aber auch das Ablegen einiger verletzender Worte, die mir immer weiter besser gelingen.
In Artikeln in der Psychologie Heute und auch an anderen Stellen lese ich "Das Denken ändert sich über die Sprache". Es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass wie wir Reden, Schreiben und uns Ausdrücken auch beeinflusst, wie wir zu Inhalten stehen. Deshalb versuchen Techniken wie "Framing" uns auch in bestimmte Richtungen zu lenken. Mal ist das gut für uns, mal ist es gut für andere die eben bestimmte Denkmuster wollen. Für mich bedeutet das aber, dass wenn ich meine Gewohnheit ändern möchte und meine Sprache ändern möchte ich etwas finden muss, was besser erfasst was die Lage ist. Und wie ich gelernt habe ist es einfacher eine bestehende Gewohnheit zu verändern, als sie zu beenden oder eine neue zu erschaffen. Also muss ich etwas finden, was besser an die Stelle statt "Niemand" passt.

Ein weiterer Punkt ist auch, wie es Fussballprofi Oliver Kahn mal in einem Buch formuliert hat: "Wir können keine Gespenster bekämpfen". Und "Niemand" und "Keine*r", das sind ja unendliche Größen und damit nicht real und wir können nicht bekämpfen, was nicht real ist. Und ja, auch dieses Zitat von Oliver Kahn ist mir beim Meditieren und Denken wieder eingefallen. Und ergänzt um seinen Gedanken ist mir dann bewusst geworden, was mein Versuch sein könnte:

Ich mag versuchen und üben, statt "Niemand" zu sagen, dass ich nicht weiß wer. "Ich weiß gerade nicht, wer mich vermisst." Das erfasst nämlich eine Realität - mein Unwissen oder Fehlen der Wahrnehmung - und schließt eben die Menschen neben mir nich aus und verletzt sie vielleicht nicht. Denn wenn ich sag, dass ich etwas nicht weiß, ist es eben schneller möglich sich selbst zu melden und zu sagen, "Ich würde dich vermissen". Was natürlich weiterhin bleibt ist das Hindernis, in emotionalen Momenten den Fokus zu finden die Sprache zu ändern. Aber auch da wende ich einen Trick an der empfohlen wird um Gewohnheiten zu ändern: Sozialen Druck und Accountability. Denn in dem Moment wo ich einen öffentlichen Artikel dazu poste, mache ich mich für - haha - Ich-weiß-nicht-wen ansprechbar auf meinen Plan. Wenn ich dann wieder "Niemand" sage, kann ich daran erinnert werden, dass ich mich anders äußern wollte.

Für mich gibt es zwei Gründe das zu teilen: Ich habe schon häufig bei Menschen beobachtet, dass sie zu diesen Superlativen neigen. Künstler*innen die unter Applaus von einer Bühne kommen, nicht ihre Runde im Wettbewerb gewonnen haben, unzufrieden sind und dann sagen: "Niemand mochte meinen Auftritt" und dann schmerzt es mich, dass sie so hart mit sich sind und auch leider nicht sehen, was ich in dem Moment sehe: Da wird ja applaudiert. Freiwillig. Ich hoffe das Menschen die zu diesen selbstverletzenden Superlativen neigen hiermit die Chance einer Alternative sehen. Und das muss nicht meine sein. Denn der zweite Grund ist, dass ich mal einen Einblick in mein Denken geben wollte, so fern das überhaupt möglich ist. Nicht weil mein Denken besonders wäre, sondern weil es für uns Menschen sehr gut sein kann zu sehen, wie andere schlussfolgern und ihren Prozess gestalten. Das erlaubt uns unseren eigenen Prozess zu reflektieren und vielleicht neu zu gestalten. Ich selbst höre auch sehr gerne bei anderen, wie sie zu Ergebnissen und Ideen kommen.

Was denkst du dazu? Was sind deine Superlative?

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