Gastbeitrag: Warum mir das Lesen beim Schreiben hilft

Warum mir das Lesen beim Schreiben hilft

Aus unterschiedlichen Gründen habe ich über viele Jahre hinweg kaum geschrieben und eben so wenig gelesen. Es fehlte, beides, weil beides vorher so normal gewesen war, greifen konnte ich das damals leider nicht.

Irgendwann kamen vorsichtig wieder Zugänge. Ich fand mich regelmäßig lesend im Ruheraum einer Sauna wieder, tastete mich an Bücher heran ohne die Ablenkung durch Social Media und die ganze laute Welt draußen. Zuhause las ich manchmal nur fünf Minuten, den Wecker gestellt. Manchmal hörte ich danach auf, manchmal las ich weiter. Mit dieser Methode und den regelmäßigen Zeiten ohne Handy 

gewann ich mir langsam, aber sicher ein regelmäßiges Lesen zurück.
Irgendwann, als ich mich endlich für einen Poetry Slam anmeldete (LG an dieser Stelle an Christofer mit F), fing ich auch wieder an zu schreiben. Unregelmäßig, eigentlich selten, aber immerhin, ich hatte wieder angefangen. Je mehr Auftritte folgten, desto mehr schrieb ich. Ich hörte anderen Auftretenden zu, ließ mich inspirieren, schaute mir Techniken ab, lernte dazu, probierte aus. Gleichzeitig las ich auch zunehmend mehr. Weniger als ganz früher, mehr als in den Jahren zuvor.

Als dann mein Kind geboren wurde, passierte das Gegenteil von dem, was alle mir prophezeiten: Ich las mehr als je zuvor. Ich las beim Stillen und bei der Einschlafbegleitung, wenn das Kind schlief und wenn es allein spielte. „Ja ja, spätestens wenn das Kind laufen kann, ist das eh vorbei.“, unkten dann einige. War es nicht. Ist es nicht. Das mag an meinem Kind liegen, das weiterhin auch mal gern allein spielt und z.B. auch gern allein Bücher anschaut. Das mag an mir liegen, weil ich mittlerweile wirklich überall hin ein Buch mitnehme. Fünf Minuten Wartezeit an der Bushaltestelle? Cool, ich lese. Fünfzehn Minuten Fahrzeit im Zug zum Slam? Ok, lesen.

Ich lese im Moment im Schnitt zwei Bücher pro Woche. Zugegeben, mittlerweile auch fast schon aus Trotz und weil ich festgestellt habe, dass 100 Bücher in einem Jahr ganz schön krass wären. Ich mag auch sagen, dass ich das Tempo nach diesem Jahr etwas entspannen möchte, aber einmal 100 schaffen ist gerade ein kleines Ziel.

Je mehr ich lese, desto mehr verändert sich auch mein Schreiben. Ich lese regelmäßig Bücher, bei denen ich denke: Wow, okay, so möchte ich auch schreiben können. Das kann die Form sein (Versromane z.B.), der Schreibstil, die Art, Figuren zu entwickeln. Und dann probiere ich das vielleicht aus. Vielleicht direkt, vielleicht erst Monate später, vielleicht unbemerkt und unbewusst. Lesen inspiriert mich, lesen lehrt mich, lesen macht mein Schreiben besser. Und nicht nur lesen selbst, eben auch das Zuschauen bei anderen Künstler*innen, die in irgendeiner Form Literatur und Wort performen.

Meine Kunst kommt aus mir, aus meinem Inneren, aber sie wird dort nicht aus Leere geboren, sondern aus der Fülle, die ich vorher zu mir genommen habe.

Wichtig: Niemand muss so absurd schnell und viel lesen, wie ich das tue, nur um besser schreiben zu lernen. Aber wenn ihr lest und euer Schreiben entwickeln wollt: Lest bewusst. Sucht euch Bücher aus zu euren Themen, lest in Bücher hinein, bevor ihr sie kauft/ausleiht, fragt euch, wonach ihr gerade sucht in eurem Schreiben, was ihr lernen wollt. Und: tauscht euch aus mit anderen. Sprecht über die Bücher und anderen Schreibenden, die euch inspirieren, erzählt einander, was ihr gelernt habt, was ihr ausprobieren wollt. Gebt einander Feedback, wenn die Löffel da sind. Und, vielleicht am allerwichtigsten: Schreibt.

Einige der Bücher, bei denen ich dachte, dass ich so schreiben können oder mir davon etwas mitnehmen möchte:

So forsch, so furchtlos von Andrea Abreu (Roman, fantastisch aus dem Spanischen übersetzt von Christiane Quandt)

Sieben Sekunden Luft von Luca Mael Milsch (Roman)

Dunkelkalt von Olaide Frank (Gedichte)

Im Wasser sind wir schwerelos von Tomasz Jedrowski (Roman, aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit)

The Black Flamingo von Dean Atta (Versroman, gibt es auch in deutscher Übersetzung)

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Foto: Johannes Schembs
Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist und [sensitivity] reader*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2021 gewann dey den alemannischen Literaturpreis Alemannisch Läbt, 2022 den Gerhard-Jung-Wettbewerb, jeweils in der Sparte Prosa. Valo findet ihr am besten hier: https://www.queersensitivityreading.com/

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