Wir sind keine Freund*innen
Wir haben die selbe Leidenschaft. Wir treten bei den selben Veranstaltungen auf, wir haben das gleiche Hobby, wir machen den gleichen Job, wir sind am selben Ort, arbeiten zusammen oder auch gleichzeitig am selben Werk oder Projekt. Wir sind schon zusammen zur Veranstaltung hin und zurück gefahren, oder haben uns ein Taxi geteilt. Wir haben über den Abend, die Auftritte, die Kunst, die Schwierigkeiten gesprochen. Wir haben Anekdoten ausgetauscht. Wir sind keine Freund*innen.
Ich kenne es vom Poetry Slam. Da sind Leute, die ich in einem Monat mehrfach, in einem Jahr ständig sehe und treffe. Wir sind in der selben Region oder zufällig in den selben Zeitfenstern unterwegs. Weil es anders auch komisch wäre, reden wir natürlich mit anderen Auftretenden, schon wenn wir sie auf dem Weg zur Location treffen oder im Zug oder in einer anderen Situation. Da wird dann mal gefragt, wie es der anderen Person so geht, da bekommt mensch schon mal mit, was bei anderen so los ist. Es entsteht ein Eindruck von Verbindung, weil ob wir wollen oder nicht, wir bekommen etwas von den anderen Personen mit und lernen sie kennen.
Durch die niedrige Hürde an einem Poetry Slam teilzunehmen, treffen dort sehr gemischt erfahrene und sehr unterschiedlich professionelle Menschen aufeinander. Die Leute, die es nur ein mal machen wollen, die es als Hobby haben oder die, die daraus ihren Beruf machen wollen, die sind oft alle zusammen dort. Manche von ihnen stehen auch auf der Linie zwischen zwei dieser Bereiche. Gleichzeitig ist die Kunst ein Bereich, wo wir immer mit unserer Seele auch arbeiten. Wir öffnen uns, oder etwas in uns auf der Bühne manchmal, zeigen einen Teil unser Geschichte oder ein abstraktes Bild aus unserem Inneren. Da kann das Gefühl der Verbindung entstehen.
Das bedeutet aber eben nicht, dass wir Freund*innen sind. Egal wie gut wir glauben uns zu kennen. Ich denke, Freundschaft ist auch eine Verabredung. Freundschaft kann sich zwar unsichtbar entwickeln, aber nicht ohne Konsent von beiden Seiten als solche benannt werden. Wenn wir Leute, die sich selbst nicht so sehen, als unsere Freund*innen sehen, kann das sehr doll schief gehen. Wenn wir auf Veranstaltungen sind, um soziale Verbindungen zu knüpfen, das aber nicht offen ansprechen und unserem gegenüber die Wahl lassen, dann ist das ein Übergriff in deren Privatsphäre. Und in der haben wir nichts verloren.
Wenn eine Person auf einem Slam geht, dann ist sie in gewisserweise mehrere Personen gleichzeitig. Wir sind die Person die auf der Bühne steht, eine Kunstfigur, unser Charakter der die Kunst vorstellt. Wir sind aber auch die Person neben der Bühne, die an einer Kulturveranstaltung mitwirkt und sich dort aufhält, im Gespräch mit Publikum und Kolleg*innen ist. Und dann sind wir irgendwo in uns drin aber auch noch wir selbst, mit unseren Wünschen, Bedürfnissen und Gedanken, die wir gerade haben, aber eben nicht für die anderen Rollen bestimmt sind.
Wenn wir also glauben, mit jemandem in Freundschaft zu stehen, nur weil wir uns im Backstage gut verstanden haben, dann sollten wir dringend mit den anderen besprechen, ob wir uns als die echte Person hinter allem begegnet sind und verbunden fühlen.
So wichtig wie unangenehm, zum Teil.
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