Gastbeitrag: Der nächste kleinste Schritt

In der Dusche passiert es. Ich denke über den kommenden Tag nach und muss mich setzen. Da ist diese Impfung die ich mir heute holen muss trotz meiner Nadelphobie, die stressige Situation auf der Arbeit, diverse organisatorische Sidequests, die Mahlzeiten die gegessen, zubereitet und eingekauft werden wollen und eigentlich müsste ich dringend lernen. Und vergiss nicht, dass du jeden Tag etwas für deine Kunst machen möchtest. In meinem Kopf ist meine Zeit nicht greifbar, sondern fliegt in losen Fetzen durch meine Gedanken, doch ich weiß, dass sie in meinem Kalender zu einem rot gelben 16 Stunden Block verschmelzen.

Ich sitze also in meiner Dusche, mein Atem schneller werden und in meinem Inneren eine Verweigerungshaltung, weil ich eigentlich nach der Impfung eine Pause bräuchte und ich mein Wollen zu einem Müssen mache.

Der erste kleinste Schritt ist Atmen. Ich versuche meine Aufmerksamkeit darauf zu richten, normal zu atmen. Im nächsten kleinsten Schritt nehme ich den Duschkopf. Nächster kleinster Schritt: Haare ausspülen. Ich achte darauf wie es sich anfühlt: an meinem Kopf, an meinen Händen… Bereits als ich früher joggen gegangen bin, habe ich mir angewöhnt auf kleine 2 Meter Abschnitte der Strecke zu achten: Bis zu dem Pflasterstein, dann zum Schild, dann zum Zweig – bis der Rest der Strecke erträglich aussah - oder bis ich einen neuen Blickwinkel auf den Tag habe und darauf, was heute wirklich wichtig ist. Wenn ich ein Buch oder eine Hausarbeit schreiben möchte zerteile ich mein Projekt in kleinere und kleinere Aufgaben, bis sie machbar erscheinen, bis ich glaube den nächsten kleinsten Schritt gehen zu können.

Der Tag verläuft anders als ich es in der Dusche geplant hatte. Ich hole mir meine Impfung, gehe zur Arbeit und erkläre danach den Tag zum Tiefkühlpizzatag. Von den Sidequests erledige ich das Dringendste, verquatsche mich mit Freunden, ruhe mich etwas aus, weil die Impfnebenwirkungen reinballern und schreibe abends diesen Blogartikel.

Der Textcursor blinkt auf einem leeren Word Dokument. An manchen Tagen passiert beim Schreiben alles gleichzeitig. Ich schreibe meinen Text an einem Ort und mache mir gleichzeitig Stichpunkte an einem Anderen. An Tagen wir heute sitze ich vor einem leeren Blatt. Ideen und Themen fliegen in losen Fetzen durch meine Gedanken und ich kann sie nicht zu einem Text verschmelzen. Aber ich fange an: Mit dem ersten kleinsten Schritt. Und dem nächsten kleinsten Schritt. Manchmal schreibe ich immer wieder das selbe Wort, bis ich es von einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Ein Buchstabe wird zu einem Wort wird zu einem Satz wird zu einem Absatz wird zu einem Text wird zu

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Was kreative Hobbys angeht macht Kuri von allem ein bisschen. Seit 2021 tritt sie bei Poetry Slams auf und schreibt seit 2023 ebenfalls einen Blog. Dazu macht sie gerne Musik, insbesondere mit ihrer Ukulele und man munkelt, dass sie regelmäßig zu Pen and Paper Rollenspielen gezwungen wird.





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