Ich weiß was ihr denkt
Als ich bei einem Poetry Slam einem Text lausche, da passiert es. "Ich weiß was ihr denkt und das ist es nicht, sagt jemand im Rahmen seines Stücks auf der Bühne und mein erster intrinsischer Gedanke, eingefahren wie ein Blitz, sagt nur ein Wort: "Nein." Und dann merke ich, wie mich das beschäftigt. Denn da ist eine Trennung die zwischen mir und dem Text passiert. Dabei denke ich, dass die meisten Stücke auf so einer Bühne verbinden sollen. Was ist das Problem?
In privaten Gesprächen mache ich selbst leider etwas vergleichbares. Auch in Blogartikeln passiert es mir. Ich formuliere etwas, werde mir eine Mehrdeutigkeit oder eines Vorurteiles bewusst und versuche vorher zu sagen, was andere zu diesem Satz denken werden oder könnten. Dabei kann ich das gar nicht. Ich weiß ja gar nicht, wer am anderen Ende wann sitzt und mit welcher Biografie, welcher Sprache auf meine Aussagen guckt. Trotzdem schreibe ich sowas wie: Ja, ich bin ja auch nicht besser, als würde ich auf eine*n Dialogpartner*in reagieren, die gar nicht da ist. Also, irgendwie schon, aber in uns selbst. Es handelt sich möglicherweise um eine Art der inneren Kritik, die nämlich schon beim Schreiben und noch vor dem Editieren sagt: Na, dass ist aber schon unpräzise. Vielleicht korrigierst du dich direkt mal lieber. Nur das dieses Kontrollieren auch ein Versuch wäre, Kontrolle auszuüben. Nämlich darüber, was andere denken. Und das ist nicht möglich. Und auch nicht wünschenswert, denn das Denken anderer bestimmen zu wollen, das ist schon ziemlich übergreifend.
Ein weiteres Problem dieser Trennung ist aber auch, dass ich damit ungefragt Menschen einer Gruppe zuteile. Nämlich der von Menschen, die so denken, wie ich denke, dass sie denken. Und wenn die Leute die meine Inhalte empfangen aber nicht sich damit identifizieren, dann verlieren wir den Kontakt. Und das ist in einer Kommunikation schlecht. Und auch eine Performance auf der Bühne ist eben im weitestens Sinne eine Kommunikation zwischen der Kunst und dem Publikum. Natürlich kann ich mich für die Trennung als Stilmittel entscheiden, aber da muss es schon gut überlegte Gründe geben, wie da Inhalt und Kommunikation und Ziele im Verhältniss zueinander stehen. Charles Duhigg erklärt in seinem Buch "Supercommunicators", dass dieser Effekt in der Psychologie als "Identity threat" bezeichnet wird. Wir haben großes Unwohlsein damit, wenn unsere Identität aberkannt wird oder wir einer Gruppe zu geordnet, der wir uns nicht zugehörig fühlen. Was zum Beispiel auch der Fall sein kann, dass wir uns damit unwohl fühlen, selbst wenn die Marker der Gruppe auf uns zu treffen. So sind alte weiße Männer vermutlich alte weiße Männer, aber nicht alle männlichen Personen die älter und weiß sind, identifizieren sich mit den Inhalten, die dieser Gruppe zugeschrieben werden.
Ich selbst versuche dieser sprachlichen Angewohntheit entgegen zu gehen und meine Gewohnheiten zu verändern. Das kann im kleinen sein, dass ich den Satz verändere, der überhaupt meinen inneren kritischen Dialog verursacht hat, so dass es keine Missverständnisse mehr gibt. Das kann für mich aber auch sein, zu markieren, was da wirklich in mir vorgeht. So versuche ich nicht zu sagen "ich weiß was du denkst", sondern "ich habe eine Vorurteil, was Menschen über meine Aussage denken könnten" und lasse so mehr Offenheit, dass Menschen selbst beantworten können ob sie sich da sehen, oder dieses Label nicht annehmen.
Gemessen daran, wie oft wir (Menschen, falls ihr euch dieser Gruppe angehörig fühlt) auch von unserem eigenen Denken komplett überrascht werden können, finde ich es sehr überraschend wie sicher wir uns manchmal sind, andere vorherzusagen. Vielleicht hat das etwas mit einem kulturellen Menschenbild zu tun, vielleicht auch mit Unsicherheit und Sorge etwas falsches bzw. nicht akzeptables zu sagen. Vielleicht hat es ganz andere Gründe. Wenn ihr da Ideen habt, mag ich die gerne lesen, gerne in den Kommentaren.
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