Es wird schlimmer
"Es wird erst schlimmer bevor es besser wird.", höre ich schon vor der Therapie, aber auch in einer der ersten Stunden sagt es meine Therapeutin. Auch wenn es stimmen mag, es ist kein so besonders positiver Werbeslogan für das Ganze Konzept Therapie. Der Satz beinhaltet zwar, dass es besser wird, aber wie soll mensch denn einschätzen, ob es schlimmer gerade noch geht? Denn wenn wir anfangen in Richtung von Therapie zu gehen, ist es meistens schon ziemlich schwer alles.
Ein Ratschlag der auch irgendwo im Kunstbereich aufgetaucht ist lautet "Start before you're ready". Fang an, bevor du bereit bist. Auch Eric Zimmermann empfiehlt in "The Rules we break" sich Feedback von Kolleg*innen geben zu lassen, bevor die Idee fertig durchdacht ist. Es scheint also was darin zu liegen, nicht erst zu warten, bis das Gefüh da ist bereit zu sein. Aber das ist auch schwer, denn gleichzeitig sollte mensch auch nicht unvorbereitet und unvorsichtig in sein Leben gehen.
Schaue ich auf meine Therapie, denke ich trotzdem immer mal wieder, dass wenn ich was ändern könnte, ich sie gerne schon früher gemacht hätte. Dass ich gerne in einem Umfeld gewesen wäre, dass eine Offenheit für Therapie hat und nicht so krampfhaft am Wunsch nach irgendeiner personenbezogenen Normalität hängt. Wenn ich mir aktuelles "normal" anschaue, bin ich auch in weiten Teilen echt okay damit, da vielleicht nicht dazu zu gehören. Aber die Normen aus jedem normal tauchen natürlich überall auf und ein Wunsch nach Verbundenheit ist natürlich da. Ich mag in einer Gesellschaft leben, wo der Wunsch nach Heilung bei uns selbst und bei anderen nicht dem Wunsch widerspricht in der Gruppe anerkannt zu sein. Sprich: Ich möchte da Menschen nicht dafür verurteilt werden, wenn sie Therapie machen.
Ich weiß nicht ob es schlimmer geworden ist als ich Therapie angefangen habe. Es ist schon unangenehm und schwer an Verletzungen und Verfehlungen in einem Selbst zu arbeiten. Herauszufinden, dass es letzteres vielleicht auch nicht in der Form gibt, wie wir es selbst glauben. Es ist anstregend in den Kabeln des Gehirns zu arbeiten. Besonders, wenn da was umgestaltet werden muss. Ob das bedeutet, dass es schlimmer wird, das weiß ich nicht.
Was manchmal schlimm ist, sind die Echos der Vergangenheit. Da ist mensch mit sich schon gut zu recht gekommen, hat gelernt, geheilt und dann kommen aber doch die alten Schemata nochmal durch. Plötzlich ist als der Schmerz, wo auch immer er in der eigenen Biografie liegt wieder da und leider reagieren wir kurz mit den alten Strategien, nicht mit dem neuen Umgang aus der Therapie. Und dann müssen wir das Lenkrad noch rumreißen und das ist in der Tat dann oft sehr schwer.
Es gibt reichlich schmerz in jedem Leben. Und wer den nicht sieht, schaut vielleicht nicht richtig hin. Es ist schwer ihm Herr zu werden in Momenten, wo er wieder zurück kommt. Aber es lohnt sich, es zu versuchen. Denn so finden wir neue Antworten auf Fragen, die wir vielleicht falsch gestellt haben in der Vergangenheit. Wir bauen neue Straßen in unserem Gehirn und müssen uns vor falscher Nostalgie schützen.
Kurz um: Versucht beim ersten Gedanken an Therapie vielleicht schon euch bei Therapeut*innen zu melden. Entweder bescheinigt mensch euch die Gesundheit, was gut ist, und hilft euch weiter zu forschen, oder ihr seid richtig dort. Denn eines weiß ich sicher, wenn die Notwendigkeit einer Therapie da ist, wird niemand euch sagen, dass ihr zu früh da seid.
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