Zu einfach

Gestern Abend war ich recht spontan und zufällig auf einer Lesung im Kunstmuseum Bochum. Es handelte sich um den Auftakt einer Lesereihe in diversen Lokalitäten im Ruhrgebiet, mich hat meine Freundschaft zu Miedya Mahmod dahin geführt und etwas Lust wieder mutiger zu sein und mich mehr raus zu trauen, denn ich bin doch ein wenig ein in ein Einsiedler zwischen meinem Schreiben und Lesen und den kleinen Arbeiten die ich gerade habe geworden. Also raus, wie Julia Cameron sagt "den Brunnen anfüllen" und ein wenig zuhören.

Eine Rezension werde ich nicht schreiben, geht zu allen Kulturveranstaltungen, erlebt was, schaut euch etwas an mit dem ihr wenig Kontakt habt, seit offen, überrascht euch selbst mit neuen Ideen und Gedanken, wenn ihr Glück habt lasst ihr euch ein bisschen im Herzen berühren. Das ist mir alles passiert, und dabei hat mir auch ein ganz wichtiger Aspekt geholfen.

Elona Beqiraj, die andere vortragende Person neben Miedya, war mir vorher nicht bekannt, weder als Persönlichkeit noch in Schrift und Wort. Aber spätestens als sie über sich selbst sagte, dass sie einige ihrer Texte selbst "sehr einfach geschrieben" findet und teilweise Sachen von vor ein paar Jahren inzwischen "naiv", hat mich das sehr erreicht. Zum einen, weil viele schreibende Personen, aber auch andere künstlerische Personen die Angst sehr gut kennen auch nur irgendeines der vielen möglichen "zu"s zu sein. Zu laut, zu leise, zu herausfordernd, zu einfachgedacht und was es da nicht alles für schmerzliche (Selbst-)Einschätzungen gibt. Allerdings gibt es für jedes "zu" auch immer ein Publikum.

Als Kind mochte ich Gedichte von Heinz Erhardt, aber auch alte Sinnsprüche, Bauernweisheiten und Witze. Weil sie in einer Sprache waren, die ich verstehen konnte. Wenn auch ich die Chance hatte meine Eltern in der Bildungsbiografie zu überholen, wenn mensch so will, habe ich eine Sprache gehabt die nicht akademisch war. Eine Sprache, die oft einfach, direkt, platt, aber deutlich war. Keine Metaphern, keine Fremdwörter, keine Schnörkel. Ob du eine ins Maul rein haben möchtest habe ich dich gefragt. Einfache Sprache ist eine meiner Sprachen. Und sie ist sowas wie ein Türöffner. Weil sie für alle ist, weil sie den Mut anfüttert eine Kunst zu mögen und den Schleier davon nimmt, dass die hohe Kunst vielleicht auch nur für die hohen gebildeten Schichten ist.

Ja, es gibt Kunst, die sich nicht gut erklärt. Und das muss sie auch nicht. Und es gibt Stücke und Werke und Lieder und alles mögliche, die als ihre Zielgruppe eine hochgebildete hochintelligente Gruppe haben. Und das ist auch nicht nur in der Kunst so. Es gibt in jeder Form ein steigendes Niveau und Bereiche die sich menschen verschließen ohne gewissen Kenntnisse. Aber um einen Einstieg zu finden, da braucht es dann eben manchmal die einfachen Sachen. Die Sachen die uns erlauben zu sagen: "Ah, okay, das kann ich interessant finden." Weil es mich nicht ausschließt. Weil es Bildung, Herkunft, Kenntnis als Machtmittel und trennende Bauteile verwendet.

Ich selbst hätte niemals Elona Beqiraj eine "zu einfache" Sprache bescheinigt, weil ich zu beschäftigt war die Geschichten in ihren Texten zu hören, die Momente vorzustellen und so manches Gefühl in meine Seele zu lassen, die sie angeboten hat. Und das wird sicher auch eben funktioniert haben, weil es Texte ohne Geheimnisse waren. Aber einladende Texte, die mir und vielleicht anderen Menschen den Mut machen können uns dann an etwas komplizierteres zu trauen.

Denn wenn es keine zugängliche und "einfache" Kunst gibt, dann schließen wir Menschen aus. Und vielleicht, wenn ihr das nächste Mal beim Kunst machen die Sorge habt, dass es etwas zu einfach oder nicht intelligent genug oder besonders gebildet klingt, fragt euch vielleicht, mit wem eure Kunst sprechen soll und von wo.




Kommentare

  1. Neben dem was du in deinem Text schon geschrieben hast, würde ich noch sagen wollen, dass es viel schwerer ist komplexe Dinge in einfache Worte zu fassen. Genau so wie naivität in meinen Augen ein Skill und keine hürde ist.

    Wenn man versucht Dinge Mal zu einfach zu formulieren wird man schnell merken, dass dieses zu einfach garnicht so leicht ist.

    "ob du ein paar aufs Maul willst!?" Ist in einem Satz Situation, Milieu, Bildungsgrad, Emotion etc. Also richtig schön einfach ne Menge vermittelt 😊

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