Kommentar: Zeit für Kollektive
In der ganzen Zeit die ich an Poetry Slams aktiv teilgenommen hatte, habe ich, trotz der Existenz von Teams und Lesenbühnen, trotz der Existenz von Veranstaltungskollektiven, immer wieder das Gefühl gehabt, dass Auftretende beim Poetry Slam am Ende alleine sind. Es gab immer Freund*innen-Kreise, aber auch diese mit großer Bewegung, es gab Leute die häufiger irgendwo zusammen aufgetaucht sind. Aber die Kunst stand immer für sich, die Künstler*innen meist alleine.
Dass ich ein Fan von aktiven Artists Circles bin, das ist kein Geheimnis. Ich zitiere mich selbst, wenn ich sage, dass die Idee vom einsamen alleine arbeitenden Genie so nicht stimmt. In allen Formen von menschlichem Fortschritt haben oft Kollektive gemeinschaftlich mehr erreicht. Einige Narrative haben dann nur die dahinterstehende Gruppe raus gekürzt oder verschleiert. Popkultur und Geschichtsforschung arbeiten das zum Teil wieder nach, wenn sie zum Beispiel Filme darüber drehen, welche schwarzen Frauen z.B. auch die Raumfahrt stark voran gebracht haben. Auch in den Kunstformen sind Kollektive absolut keine Seltenheit. Sein es heute überlieferte Briefwechsel oder Gespräche von Künstler*innen der selben Zeit, sein es aber eben auch ganze Bewegungen in Städte, die auf Gruppen basieren, die unterschiedlich starr, unterschiedlich elitär oder unterschiedlich aktiv waren.
Graffiti, Architektur, Malerei, Dada, Musik - natürlich Musik - in all diesen Bereichen sind es Zusammenschlüse, die den Erfolg bringen. Die sich austauschen, feedbacken, auffangen und weiter anschieben, wenn es gebraucht wird. Auch Poetry Slam hatte so manche Kollektive und wenn auch nicht alle davon gut waren - wie zum Beispiel die sogenannt Siff-Gruppe, die ein Chatzusammenschluss von einigen Personen war (oder ist) um gemeinschaftlich lästern zu können - haben einige davon eben eine Gemeinschaftlichkeit und Solidarität untereinander geschaffen und damit auch Einfluss auf die Qualität von Kunst gehabt. Aber gerade bei den Newcomer*innen oder (noch nicht) Profis in der Mittelzone, gibt es selten Kollektive und noch seltener welche, die sich namentlich bekennen und zu erkennen geben. So einiges läuft als versteckte Fäden und Strukturen, gerade bei Veranstaltenden zusammen, wo es in der Vergangenheit dann eben auch zu strukturellen Problemen der Szene gekommen ist. Andere Kollektive, wie zum Beispiel die Slam Alphas oder auch Tinte haben sich gegründet, um solchen problematischen Strukturen und Machtbündelungen entgegen zu stehen.
Als Wrestling-Fan sind für mich so genannte Stables und Factions normal. Das sind Gruppierungen die in sich kleine Tag-Teams haben, oder aber auch teilweise den Globus umspannende Zusammenschlüsse von "Künstler*innen" mit ähnlicher Haltung sind. Sei es "SPLX", die nebenbei auch eine Modemarke begründet haben, oder der legendäre "Bullet Club", der als Fraktion im japanischen Wrestling gestartet ist und dann die Welt umspannt hat. Es war den Fans immer klar, dass wenn diese Leute an ein und dem selben Abend anwesend sind, sie eben nicht nur für sich selbst, sondern auch den Erfolg ihrer Fraktion antreten, ihrer Haltung, ihrer Überzeugung. Während im Poetry Slam früher die Leute noch anmoderiert wurden mit den Städten aus denen sie kommen, haben Wrestler*innen ihr Teamshirt getragen, wurden als Mitglied ihrer Fraktion angesagt und haben ihre Siege gemeinsam gefeiert. Ein Bild, dass mir gut gefallen würde für den Slam.
Ich würde es mögen, einen Haufen neuer Instagram-Seiten zu sehen, wo diese Leute zeigen, dass sie arbeiten, auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Wo sie erzählen wer sie sind. Wo es eben nicht nur um eine Persönlichkeit, sondern um eine Gruppe geht und ihre Ziele. Sicher, eine Gruppe zu haben und zu leiten ist nicht einfach. Es braucht Arbeit, Kommunikation, manche würden nach kurzer Zeit vielleicht verfallen, aber es kann gesund für eine Szene sein. Besonders wenn diese Gruppen sich als Teil des Spiels sehen, aber auch unterschiedlich und offen sind, dabei aber Solidarität für einander haben. Es würde deutlicher machen, das Poetry Slam ein Spiel ist und kein Sport, der Wettbewerb nicht echt. Und es beinhaltet die Chance, dass Gruppen ganze Genres prägen könnten, etwas, was dem Slam und Spoken Word vielleicht auch fehlt.
Los los also, gründet eure Banden, wo jede*r mit jede*m einen Teamtext schreiben kann, wo alle sich künstlerisch unterstützen und ihr ganze Abende übernehmt, zusammen anreist und zusammen alles abreißt. Werdet eine Band, werdet eine Schule, werdet eine Gang. Redet darüber wer ihr seid und wie ihr alle in der Gruppe erhöhen könnt. Denn es könnte eine gute Zeit für Kollektive sein.
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