Traurigkeit

Wenn es auf den Herbst zu geht, ist eine der schlimmsten Sachen, eine verstopfte Regenrinne. Nicht nur im Herbst, aber eben besonders da, weil die Saison des Versterbens und Erholenes beginnt. Die Blätter fallen von den Bäumen und während wir Menschen uns an den Farben in dem bischen Rest der Sonne die durchkommt erfreuen, müssen die Blätter eben gesammelt werden, damit sie nicht alles verstopfen. Sie können Kompost werden, aber in der Regenrinne, da können sie besonders gut den Fluss des Regenwassers stören.

Der Regen ist ein wichtiger Teil unseres Systems unseres Wetters und wenn auch wir Menschen ihn oft nicht mögen, ist es für die Natur unabdingbar ausreichend und frisches Wasser zu bekommen. Alles in einem großen Zyklus, immer das selbe, auch wenn es eben trotzdem niemals zweimal der selbe Wassertropfen sein wird, weil sich alles bewegt und unerschöpflich ist. Nicht unverwundbar, aber auch das beschädigste Wasser wird Wasser sein und verdunsten und regnen und der Lauf nimmt seinen Lauf.

Ein Gefühl wie Traurigkeit zu unterdrücken, dass fühlt sich wie eine verstopfte Regenrinne an. Es stört dich erst nicht genug um etwas zu tun. Die Tränen kommen plötzlich manchmal in Momenten wo wir sie nicht erwarten, so wie das Wasser es nicht mehr bis zum Ablauf schafft uns seitlich am haus herunter läuft. Wir können es noch weiter ignorieren, darauf hoffen, dass das System noch mehr verstopft. Aber das Wasser ist Wasser, die Traurigkeit ist Traurigkeit und alles findet also einen Weg. Entweder dann durch die Fassade, bis im Inneren die Tapeten fallen oder sich Schimmel durchdrückt, oder die Regenrinne hält das Gewicht irgendwann nicht mehr und bricht ein und ab und reißt herunter. Jetzt kommt immer jede Traurigkeit sofort durch, wir haben nichts mehr, was sie auffängt.

Traurigkeit kann viele Gründe haben, braucht aber keine Gründe. Gefühle haben nicht zwingend logische Erklärungen. Ähnlich wie wir das Wetter nur in Tendenzen vorher sagen können und eben nicht präzise vorher planen können, wo wann welcher Tropfen in welcher Größe herunter kommt, können wir nur erahnen, wann welche Emotionen aufkommen in uns, aber nicht wie stark, wie heftig und auch nicht zwingend immer mit dem Wissen, wie wir es lösen können. Nur sicher haben wir, dass wenn wir zuviele Emotionen versuchen zu unterdrücken, wendet sich die Energie gegen unser System und wir nehmen Schaden.

Die Regenrinne sauber zu halten, das bedeutet sich Zeit zu geben und zu nehmen. Zeit in der die Betäubungen weggelassen werden. Zwanzig Minuten laufen ohne Medien, ohne Handy in der Tasche, da sagen einige und auch Studien, dass das schon deutlich hilft. Mit seinen Emotionen etwas zu machen, manchmal auch, etwas zu schreiben, zu malen, darüber zu reden, was auch immer der passende Modus ist. Allerdings ist die Linie zur Betäubung da auch immer mal wieder dünn und es kann schnell sein, dass das Erschaffen und Teilen eine Grundlage dafür ist, an den eigentlichen Schmerz nicht dran zu gehen. Je nachdem wie tief der geht, kann es auch sinnvoll sein, sich dafür Hilfe von Expert*innen zu holen. Aber ansonsten ist es immer gut die Sachen erstmal zu fühlen.

Und den Emotionen ihr Färbung zu nehmen. Denn Traurigkeit wird oft als negative Emotion gesehen und daher als unerwünscht beschrieben, dabei ist sie so wichtig um Trennungen zu verarbeiten. Und Trennungen können auch etwas positives sein, oder auch in guten Sachen auftreten. Wenn wir zum Beispiel eine Arbeit weg schicken für einen Wettbewerb oder ein Projekt abschließen, dann ist das etwas gutes, kann sogar ein großer Erfolg sein, wir aber eben auch traurig werden, weil es eben vorbei ist und fertig und wir uns davon trennen. Von dem was Menschen um mich herum beschrieben haben gibt es auch andere Erlebnisse die schön sind, aber traurig machen. Das Gebären eines Kindes. Das Beenden einer Ausbildung. Das Anfangen einer neuen Stelle. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt und es gibt keinen Katalog der korrekten Emotionen für die korrekte Situation.

Ich werde immer ein bisschen traurig sein. Meine Traurigkeit ist mir ein guter Begleiter und ich weiß, dass ich sie in gewisserweise immer auf meiner Schulter mit mir trage, teilweise sichtbar. Wenn Leute mir eine Depression bescheinigen wollen, muss ich immer ein wenig nach ihnen beißen, weil sie zu leichtfertig mit diesem Wort umgehen. Meine Traurigkeit lähmt mich nicht, sie bewegt mich und Traurigkeit und Depression sind eben lange nicht das selbe. Meine Traurigkeit kommt daher, dass ich sehr gut darin bin die Trennungen zu sehen, die kleinen Momente und die Tragik in allem schönen zu erkennen. Aber sie belastet mich kaum, weil ich versuche die Regenrinne frei zu halten.


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