Langsamer
Geschwindigkeit verknüpfen wir mir Perfektion und hoher Qualität. Einen sicheren Bewegungsablauf können wir sehr sehr schnell durchführen. Je schneller wir den Parkour absolvieren, desto besser beherrschen wir ihn vielleicht. Bestzeit ist immer die schnellste Zeit. Aber wer mal testen möchte was Meisterschaft bedeutet, kann mal versuchen so langsam wie möglich mit einem Fahrrad zu fahren. Oder den langsamsten möglichen Klimmzug zu machen. Und ganz plötzlich merken wir, dass es nochmal ein ganz neues und anderes Set an Fertigkeiten braucht, um seine Sache zu beherrschen.
Dann geht es ums Aushalten. Ums Balancieren. Um Geduld. Darum zu merken, ob wir überhaupt ein Gespür für Zeit haben. In ihrem Buch "What it is" gibt Lindy Barry die Aufgabe eine bestimmten Aktivität zu folgen, egal welche, eine die einem okayisch genug liegt und sich vorzunehmen eine Stunde nichts anderes zu machen. Dann stellt mensch sich zwei Wecker, einen auf 50 Minuten, einen auf 60 Minuten und stellt sie irgendwo hin wo sie nicht sichtbar sind und auch sonst keine Uhr verfügbar ist. Durch die sehr unterschiedlichen Intervalle wird unser Zeitgefühl getestet und geeicht. Empfinde ich die Zeit bei der Aktivität als lang? Wie lang haben sich die Zehn Minuten angefühlt?
Viele Schreibübungen basieren auf begrenzter Zeit. Fünf-Minuten-Gedichte zum Beispiel, hier in einem alten Gastbeitrag erklärt. Und das ist dann sinnvoll, wenn wir die Kreativität ein bisschen in den Arsch treten wollen und in Schwung bekommen. Manche künstlerische Herausforderung braucht aber eben Ausdauer. Es kann gehen ein Buch nur aus Fünf-Minuten-Sessions zu schreiben, aber die Chancen stehen auch gut, dass es mal länger gehen muss. Was passiert also wenn wir uns zur Aufgabe setzen unsere Sache so langsam wie möglich zu machen? Was wenn ich alle Fünf Minuten nur einen Satz schreiben und behalten darf? Was wenn ich eine Stunde lang nicht aufhören darf zu schreiben? Was wenn ich den Pinsel so langsam wie möglich bewegen muss? Welches Lied entsteht, wenn ich alle Noten länger mache oder die Pausen vergrößere?
Auch im Alltag kann es sich leicht einbetten lassen zu üben Dinge langsamer zu tun. Mir helfen dabei Selbstgespräche, Point and tell. Also auf die Sache zeigen und sagen was mensch als nächstes tut. Oft fallen mir dabei Fehler besser auf oder ich merke, dass ich Dinge anders tun könnte. Außerdem fange ich an bewusster und präsenter zu werden. Auch das empfinde ich als wertvolle Eigenschaft fürs kreative Schaffen, aber auch fürs Leben. Denn ich schaffe es wenn ich langsamer werde oft auch gut, mich weniger ablenken zu lassen.
Also, werdet langsamer. Probiert es aus. Kaut euer Essen öfter als sonst. Lasst es im Mund liegen für einen Moment. Lauft langsamer, bleibt stehen. Schreibt so langsam wie möglich, malt so langsam wie möglich, tanzt so langsam wie möglich. Und dann erzählt mir gerne was ihr erlebt habt.
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