Präsentismus
Das Gefühl so dringend auf der Arbeit gebraucht zu werden, dass mensch auch zum Beispiel krank hin geht. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern jemals krank geschrieben waren. Ich habe keine Bilder im Gedächtnis davon, wie meine Eltern eine Erkältung haben oder eine Grippe und im Bett liegen bleiben. Meine Eltern waren entweder nicht zu hause, weil sie arbeiten waren oder wenn sie zuhause waren haben sie dort Sachen gearbeitet. Das stimmt nicht ganz, es gibt auch eine hohe Quote von Zeit, wo meine Eltern in Bademantel oder Unterbuchse vorm Fernseher gesessen haben und geraucht haben. immer aber mit dem Grund, dass sie sich von der Arbeit oder für die Arbeit erholen mussten. Ob sie dabei krank oder gesund waren, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich durchaus daran, dass ich als Kind auch mal krank war. Aber als Jugendlicher dann schon nicht mehr.
Präsentismus war für mich irgendwie auch, dass mein Vater aus dem Urlaub auf seiner Arbeit angerufen hat um zu Fragen wie es läuft. Mein Vater war weder irgendein unfassbar seltener Experte für irgendwas, dass nur er hätte helfen können. Und auch war die Firma nicht so wichtig in der Nahrungskette der Überlebens der Menschheit, dass es so wichtig war da anzurufen. Aber das Telefon in der Hottellobby - wir sind vor dem Handyzeitalter gerade - musste natürlich für ein Ferngespräch genutzt werde um zu hören wie es in über 3000 Kilometer Entfernung gerade läuft. Im Urlaub war die Arbeit halt auch wichtig. So sah es zumindest aus.
Die ersten Dellen hat meine heimlich übernommende Haltung zum krank sein bekommen, als ich meinen Pflichtdienst bei der Bundeswehr gemacht habe. Jemand mit dem ich Dienst hatte, musste plötzlich ins Krankenhaus. Herzmuskelentzündung, wegen einer verschleppten Erkältung. Ich wusste bei beidem nicht, was es bedeutet, aber konnte es gut an ihm sehen. Den für einen jungen Menschen der nur wenig älter als ich damals war, Anfang Zwanzig, nach einem halben Satz Treppenstufen eine Pause machen zu müssen, fand ich nicht erstrebenswert. Doll nicht. Ich hatte mich zu lange für unverwundbar gehalten, aber auch noch nicht genug daraus gelernt. Denn wenn ich jetzt mal krank war, blieb ich zwar zuhause, aber nicht um mich zu schonen, sondern um anderen die Ansteckung und mir die Diskussionen zu ersparen mit Leuten, die ein besseres Verhältnis zu ihrer Gesundheit hatten. Zuhause habe ich dann Haushalt gemacht, durchgebissen und hauptsache nicht gesagt bekommen, man würde wie andere Männer das Ding mit der "Männergrippe" durchziehen und so tun als würde mensch fast sterben. Ich sehe warum das ein Problem ist, ich sehe auch einen Haufen Dudes da draußen die nie gelernt haben, nach Fürsorge für sich zu fragen oder sich Mitleid zu wünschen. Also wieder überkompensiert. Naja, anderes Thema.
Pandemie, Longcovid, Homeoffice. Nochmal wird alles aufgeschüttelt. Wer jetzt krank und mit Symptomen in die Welt raus geht, riskiert möglicherweise nicht nur das eigene, sondern auch andere Leben. Die Sensibilitäten verschieben sich, viele wissen gar nicht sicher, ob sie nicht Teil von Risikogruppen sind. Die Lage ist so, dass Regierungen eingreifen. Zeit sich selbst nochmal zu prüfen. Aber Kapitalismus ist sich nicht zu schade, von Leuten die positiv getestet, aber fit sind, zu verlangen auch von zuhause aus zu arbeiten. Und ja, auch schon vorher gab es Chef*innen, die das verlangt haben. Krankheit ist kein Grund auszufallen oder immer nur dann okay, wenn dadurch keine Arbeit liegen bleibt. Wir haben gesellschaftlich kein gutes Verhältnis zu unserer Gesundheit und zu Krankheit.
Auch als Kunstpersonen fallen wir darauf ständig rein. Denn es ist eh schon nicht immer ganz so berechenbar für uns, wann wir die Ideen haben, die wir brauchen, um von unserer Kunst leben zu können. Wann wir die Energien haben, die es braucht, um vorwärts zu kommen. Also ist krank sein keine richtige Option, weil alle Zeit ist potentielle Arbeitszeit. Also machen wir irgendwelche von unseren Sachen auch wenn wir krank sind. Obwohl wir liegen und uns schonen sollten. Aber wir kein gutes Verhältnis dazu haben was Anstrengung ist und das nicht gut einschätzen können, auch weil Kunst in der Gesellschaft auch immer noch den Ruf hat, keine echte Arbeit zu sein und nicht anstrengend zu sein. Ist ja mehr ein Hobby, ne? Nee. Ist es nicht. Wenn etwas mein Job ist, dann ist es immer Arbeit und Arbeit kostet immer Energie.
Und dann die andere Seite der Münze, denn natürlich gibt es auch Phasen, in denen wir uns etwas fitter wieder fühlen und schlechte Laune bekommen, wenn wir nicht was für unsere Selbstwirksamkeit tun können. Wir wollen etwas schaffen, damit wir noch Belege dafür haben, dass wir überhaupt stattfinden. Und dann - hallo - schreiben wir doch noch irgendwie am Handy aus dem Bett, mit dem Fiebertermometer im Mund, der Wärmflasche auf dem Bauch, den Tabletten schon feinaufgereiht, einen Blogartikel oder arbeiten an einer Sache oder kommunizieren mit Leuten, mit denen wir gerade zusammenarbeiten die nächsten Schritte, von denen wir gar nicht sicher wissen, wann wir sie hinbekommen.
Japp. Dieser Artikel hat Probleme, aber keine Lösungen. Awareness ist eine. Bewusstsein. Wahrnehmung für die eigene Situation und Gesundheit. Einen Blick auf das Umfeld. Was kann ich abgeben? Was muss ich selbst machen? Wie kann ich meinem Körper helfen gesund zu werden? Was kann ich tun, um nicht emotional komplett abzuschmieren, aber nicht meine Energien auszubrennen? Das sind natürlich immer gute Fragen, aber in den Zeiten jetzt, wo wir alle doch schneller krank werden, weil wir gesenkte Resistenzen haben, ist es besonders wichtig auf sich und seinen Körper zu hören. Und ein Gefühl für sich zu bekommen, wie mensch ist, wenn mensch krank ist.
Gute Besserung euch allen.
Uff... Ja... Mehrere Infekte in wenigen Monaten nagen echt hart an meiner Fähigkeit, das auszuhalten und einfach anzunehmen, dass es grad nicht geht. Ich werd besser darin, aber mehrfach nacheinander schwindet dann auch meine Kapazität, weiterhin gut zu mir zu sein. Das war also n guter Reminder mit passendem Timing.
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