Gut

In meiner Jugend war ich, denke ich, gar nicht mal so beliebt, aber bei meinen Freunden war es sehr beliebt, bei mir zuhause abzuhängen. Was mich immer etwas verwundert hat, weil wir hatten jetzt keine besonders krasse Wohnung, auch nicht sonst irgendwelche besonderen Feature, dass es sich gelohnt hätte. Und meine Freunde haben jetzt auch nicht irgendwie unseren Kühlschrank leer gefressen oder sowas. Klar, ich war so ein bisschen der Gaming-Experte in unserem Umfeld, aber ich muss sagen ansonsten war ich schon durchaus nicht ganz einfach als Person und auch sonst nicht so spannend für die Leute mit denen ich da rumgehangen habe. So übermäßig viele Gemeinsamkeiten hatten wir auch nicht. Aber manchmal waren es eben die Unterschiede.

Das ist mir aufgefallen, immer mal wieder, wenn ich mich über meine Eltern geärgert habe. Ich war ein Teenager, ein Jugendlicher, Abgrenzung von den Eltern gehört da einfach dazu, egal ob sie jetzt dann schluss endlich wirklich etwas gemacht hätten, was es wert gewesen wäre sich aufzuregen, oder nicht. Wenn ich mich über meine Eltern aufgeregt habe, dann haben sich aber meine Freunde aufgeregt, denn eine Besonderheit gab es dann eben doch: Meine Eltern waren nicht geschieden. Nicht getrennt. So wie es bei den meisten meiner Freunde war. Und deshalb fanden sie, ich dürfte mich nicht beschweren, denn ich hatte es ja "gut". Eltern die zusammen sind, das ist gut.

Ich weiß nicht, ob es gut war oder ist, wie meine Eltern zusammen waren und sind. Ich habe damals darauf geschaut und war mir da nicht immer so sicher. Denn während meine Freunde gesagt haben, ich dürfte mich nicht beschweren, weil das ja etwas gutes sei, hat die Art wie meine Eltern mit einander und auch oft mir mir umgegangen sind nicht "gut" angefühlt. Die Schablone, dass das gut sei, die kam also irgendwie nicht aus dem, was meine Realität war. Es war eine Projektion, denke ich. Vielleicht die, weil da der Wunsch der anderen Jungs war, denn ja, nur Jungs haben das kommentiert in meine Richtung, dass sie auch beide Elternteile hätten und eine - ihrer Meinung nach - stabilere Familie. Eine funktionale Familie. Vielleicht auch eine, die nach außen gut aussieht. Ich weiß es nicht genau, über sowas konnten wir früher nicht sprechen und jetzt bin ich mit keinem dieser Menschen von früher mehr in Kontakt.

Aber ob etwas "gut" ist, das kann eben keine Schablone beantworten. Eine Schablone sagt uns höchstens, wie etwas am Ende aussehen soll. Vielleicht sind Schablonen Ziele. Aber wenn die Ziele nicht von uns selbst kommen, sondern von Außen, dann müssen wir uns schon fragen welches Interesse das Außen daran hat uns durch diese Schablone zu schieben? Warum Familie so lang in diese Schablone gesteckt wurde, dass hat viele Gründe, die sind ein Thema für sich, aber richtig viele haben mit einer größeren Schablone zu tun, die wie ein Patriachat aussieht.

Für mich war es nicht "gut". Und ich glaube halt, dass es eben nicht Stabilität gibt, wenn die Schablone gut ist, sondern die Substanz. Die Inhaltsstoffe. Die Schablone für einen Schneeball oder mit Sandförmchen ist relativ eindeutig, aber wenn eben das Material, also der Schnee oder Sand nicht im richtigen Zustand sind, dann zerfällt was wir in die Form pressen sofort. Und wir haben sauviele Schablonen da draußen die uns sagen wollen, wie etwas gut ist. Da ist eine Menge Bewertung kombiniert mit Projektion. Egal ob es aus der Wirtschaft, aus Mehrheiten, aus Ängsten, aus Unsicherheit und einer Kombination aus alldem kommt. Die Projektionen von Schablonen machen wir auch, weil wir uns unserer Form nicht sicher sind. Das denke ich. Denn so habe ich projeziert. Wenn ich allen sage, dass sie so wie ich sein müssen, die das dann auch machen, dann bin ich Teil einer Mehrheit und werde damit zunehmend "richtiger", weil andere wie mich selbst zu sehen, bestätigt mich. Das war nur halt auch eine gar nicht mal so nützliche Schablone, die ich da erlernt hatte.

Für mich versuche ich mich von "gut" zu trennen. Besonders wenn es von Außen kommt. Das bedeutet nicht, dass ich das Wort nicht mehr verwende oder nicht auch danach strebe, manchmal anderen zu gefallen. Ich versuche nur, mir lieber die Beschaffenheit anzuschauen und mich zu fragen, was ich in Zukunft erreichen will, nicht wie es aussehen soll. Denn Aussehen ist immer auch irgendwie eine Fassade. Und wer in einem Haus von vor 1990 in Deutschland wohnt, weiß dass die Qualität der Fassade wirklich nichts über das Innenleben eines Hauses aussagt. Sich aber mit der ganzen Substanz zu beschäftigen ist anstrengend. Und kostet Zeit. Und Energie. Ressourcen, die uns auch teilweise mit Hilfe von Schablonen verknappt werden und wo uns Schablonen erklären wollen, dass es sich nicht lohnt in diese Richtung zu arbeiten, zu denken, zu lernen, zu reflektieren, zu meditieren.

In meiner Substanz finde ich dann auch schnell Sachen, die mich mit manchen Menschen verbinden und von anderen wiederum ein wenig abgrenzen. Ein neues Wort dafür, welches gerne verwendet wird, sind Label. Label sind so effektiv als Beschreibungsmethode, weil sie schnell erlauben sich eine eigen Vorstellung zu machen, ohne aber eine ganz präzise Form anzugeben. Label bieten eine Orientierung, aber geben eben keine Schablone vor. Wo Schablonen nämlich machen, dass alles am Ende gleich aussehen soll, erlauben Label das Vergleichen.

Vergleichen hat einen schlechten Ruf bekommen, weil es viel mit Wettbewerb verknüpft wird und gerade Menschen die kritisch mit dem Kapitalimus und anderen streng hierachischen Systemen sind, finden "das ewige Vergleichen" nicht so toll. Haben auch Angst davor. Klar, in Systemen die bestimmen wollen was "gut" ist, bedeutet verglichen zu werden, dass als Ergebnis herauskommen könnte, das mensch nicht ausreichend ist, um die "gute" Schablone zu erreichen. Vergleichen ist aber super wichtig, um die Welt zu verstehen. Vergleichen in sich ist kein toxischer Prozess, wenn wir es schaffen, es ergebnisoffen zu tun. Ohne vergleichen wüsste ich nicht, welche Dinge giftig zu essen sind und welche nicht. Denn dafür muss ich mit Wissen und Einsicht Gegenstände betrachten können und unterscheiden können. Ich wüsste nicht, wann ich in Gefahr bin und wann nicht. Ich wüsste nicht, was moralisch ist und was nicht. Ich hätte keine Ziele und keine Wünsche und keine Identität. Denn für all diese Dinge müssen wir Handlungen, Personen, Momente, alles vergleichen und durch unsere Seele laufen lassen. Ich glaube, wir können das Vergleichen auch gar nicht verhindern. Ich glaube aber, dass wir die Schlüssel nach denen wir bewerten verändern können.

Dafür braucht es Übung und eben auch ein Wissen über die Schablonen, die uns jeden Tag von Außen aufgepresst werden. Manche Formen sind Angebote, aber manche sind eben mit Zwang verbunden. Wir müssen hinterfragen, warum jemand Zang auf uns anwendet und eventuell auch, wie wir uns davon befreien können. Die Psychoanalytikerin Karen Horney war sich sicher, dass ungesunder und "toxische" soziale Umwelten ungesunder Glaubenssytem in uns erzeugen. Und das hindert uns daran, unser eigenen Potential zu entfalten. Statt von Schablonen spricht sie aber von verinnerlichten Botschaften und Geboten, den "Solls". Und diese Solls haben Einfluss darauf, dass wir in uns ein Selbst entwerfen, dass so ideal in die Schablonen passt, dass es uns in der Realität aber nicht mehr gelingen mag diese Ideale überhaupt zu erfüllen. Und weil wir dann verletzt und frustriert sind, entsteht ein sich "verachtenes Selbst". Und das kann ja nicht wünschenswert sein.

Aus einem berührenden Video über einen jungen Mann, der seine Halbgeschwister adoptiert hat in den U.S.A., nachdem diese von ihren Eltern verlassen wurden, habe ich in aller Klarheit eine Frage gefunden, die ich selbst sehr hilfreich fand, um über die eigene Form nach zu denken, die Mensch mit seiner Substanz haben möchte. So hat er auf die Frage wie er so eine große Entscheidung treffen konnte gesagt, dass er sich überhaupt gar nicht bereit und fähig gefühlt hat mit Anfang Zwanzig die Verantwortung für zwei Kinder zu übernehmen. In gewisserweise könnte mensch hier sagen, dass er nicht bereit war die Schablone eines "Elternteils" so zu erfühlen, wie er sich das vorgestellt hat und wie er sie kannte. Als er sich allerdings gefragt hat, was sein zukünftiges Ich sich von ihm wünschen würde, wie er sich verhalten sollte, war die Antwort klarer. Er hat als angestrebte Form gewählt, wie er selbst gerne wäre. Auch ein Ideal-Selbst, aber eines aus dem Inneren. Auch eine Projektion, aber zwischen eigenem Jetzt und eigener Zukunft. Auch mir gelingt es nicht jedes Mal dem Gerecht zu werden. Schablonen und Schemate und Solls, die sind stark in uns. Vorallem wenn wir schon lange mit ihnen gelebt haben. Aber ich bin froh, dass ich diese neue Frage immer öfter versuche zu beantworten: "Was würde mein zukünftiges Ich von mir wünschen?"

Und wenn ich in diese Richtung laufe, die ich dann in mir finde unter Berücksichtung meiner eigenen Werte, dann, dann finde ich das immer öfter mal "gut". Im Vergleich. Mit mir Selbst.


Kommentare

Vielleicht auch spannend: