Was anderes: Neo-Venedig

"Ich war hier ewig nicht mehr.", schiebe ich über den hohen Kragen meiner Second-Hand-Militär-Jacke.
"Und, was macht das mit Ihnen?", fragt meine Begleitung.

Wir stehen an einer beliebigen Straßenecke, das Neonlicht trinkt jeden noch so kleinen Tropfen Feuchtigkeit von unseren Netzhäuten. Zumindest versuche ich mit einer Sonnenbrille, in der Nacht, dagegen zu halten. Ich weiß aber, dass ich sie trage um ein bestimmtes Bild zu vermitteln, nicht wirklich als dass sie irgendeine Funktion für meine Augen erfüllen sollte. Vehikel deren Modelle und Ziele ich nicht eindeutig bestimmt habe, ziehen immer mal wieder tonlos an uns vorbei. Es wirkt auf mich alles etwas ungenau, als hätte es eine künstliche Intelligenz mit mäßigen Eingaben versucht zu erschaffen.

"Ich glaube gar nicht mal so viel. Das alles hier ist halt ein altes Projekt. Ich weiß nicht warum ich damals hier war und ich war mir immer sicher, dass ich niemals zurück wollte." Ein Teil von mir glaubt die nächste Frage vorhersehen zu können, ein anderer hält sich offen, dass wir uns selbst überraschen. "Aber ist es schlimm, dass wir wieder hier sind?" Keine Überraschung. "Nein nein. Ich glaube, es ist nur zwecklos."

Ein Stück laufen wir, durch Straßen die mir egal sind. Die Straßen waren mir schon immer egal. Es war, was darauf passieren sollte. Nur deshalb hatte ich ihnen Formen und klare Regeln gegeben. "Und das alles hier haben Sie erschaffen?", fragt meine Begleitung. "Naja. Es sieht nach viel aus, aber das ist nur der optischen Größe geschuldet. Es ist eher eine zufallsgenerierte Suppe. Wenn wir nochmal hierher kommen würden, wäre nichts genauso wie vorher. Es ist nicht sorgfältig gedacht. Es ist immer schon nur das gewesen, was ich brauchte um etwas anderes zu erzählen." Während wir langsam die Straße entlang laufen, nimmt diese einen Knick nach unten, um dann langsam in einen gläsernen Tunnel unter die Wasseroberfläche überzugehen. Es zeigen sich die Stelzen, welche bis zur Sinnlosigkeit in den Untergrund des Meeres an dieser Stelle greifen müssen. Der Unterbau ganzer Wohnviertel, der zwar Halt, aber keine technische Haltbarkeit und Substanz bietet. "Die Stadt ist so gut, wie sie ein Teenager erschaffen konnte." sage ich und rauche zu meiner eigenen Verwirrung eine Zigarette.

Ich erinnere mich nicht mehr sicher, wann ich das erste Mal hier war. Aber ja, vielleicht war es das halbe Jahr wo ich versucht habe mich cool zu rauchen. Oder die Zeit darum, wo ich dachte mensch könnte cool rauchen. Allerdings wollte ich auch schon damals nie diese Leute sein. "Sie sind zu hart zu sich.", sagt meine Begleitung, die sich als eine Quersumme aller Psycholog*innen herausstellt, die ich jede getroffen und in Klischees kennengelernt habe. Für einen Moment schaltet sich die Simulation für einen Moment ab. "Meine echte Therapeutin ist nicht so.", sage ich in meinen Kopf hinein. Dann fährt die Stadt aus einer alten Geschichte wieder hoch.

Ich merke, dass ich doch wieder hier bin. Und dann frage ich mich, während ich immer weiter den Tunnel entlang unter dieses fischfreie leblose Meer gelange, ob ich hier vielleicht doch noch offene Arbeit habe? Was wenn ich mit den heutigem Wissen und Fertigkeiten die Figuren von damals nochmal durch diese Cyberpunk-Science-Fiction-Geschichte steuere? Was wenn ich herausfinde, ob es da damals mehr in mir gab, als diesen Fetzen der darauf basierte, dass zwei junge Menschen vertraut zusammenarbeiteten, ohne sich zu verlieben, ohne eine romantische Verbindung zu haben, so wie es in jeder Popkultur, Leuchtreklame und Geschichte früher war? Mit einem Finger schneide ich einen Ausgang in die alte Welt dieser Kurzgeschichte. "Ich bin vielleicht wirklich manchmal zu hart zu mir, aber diesmal bin ich soft. Ich lasse das hier los." Meine selbsterschaffene Illusion einer Begleitung hat sich aufgelöst, als ich sie konkret benannt habe.

Ich kann diese Stadt ja eh immer nutzen, wann ich es will. Es ist meine Idee und Welt in meinem Kopf. Aber ich will nicht. Ich mag sie lieber freilassen. Sollte Konfuzius recht haben, kommt sie von alleine zurück, wenn ich sie brauche. Verdammt, denke ich. Da ich gerade diese Kurzgeschichte geschrieben habe, ist genau das passiert.

Kommentare

  1. Anonym18.2.24

    Danke für diese kleine Reise.

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  2. Anonym20.2.24

    Würd ich mehr von lesen, falls du doch mal wieder für nen Abstecher dort bist.

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    1. Das ist nett. Es kann durchaus passieren, dass ich mehr Kurzgeschichten und wieder in den Blog werfe. Ob die dann an Orte oder Settings die mein Kopf früher mal gut fand gebunden werden, wird sich zeigen müssen.

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