Ich bin es leid wie über Poetry Slam geredet wird

Und als ich dann so auf Threads rumhänge, dem neuen Bluesky für Leute die Twitter vermissen, dem neuen Kurznachrichtendienst der einem unvernünftig mächtigen weißen Mann gehört, weil wir nicht mehr bei dem Dienst seinen wollen, der einen einem unvernünftig mächtigen weißen Mann gehört, da lese ich wie jemand schreibt, dass Friedrich Merz so schlimm wäre, dass er doch dann auch gleich Poetry Slam machen könnte. Und mit Vibrieren im Finger überlege ich etwas drunter zu schreiben. Drunter zu schreiben, dass Friedrich Merz beim Poetry Slam schlechtere Wahlergebnisse einfahren würde und weniger zitiert würde, als das jetzt der Fall ist. Würde gerne schreiben, dass er ganz schnell nicht mehr gebucht würde, er vielleicht seine Haltung überdenken oder dann stattdessen in einer anderen Kunstform auftauchen würde. Aber das ist mir dann auch zu fad, weil dann müsste ich auf die Beleidigung eines Formates mit der Beleidigung eines anderen reagieren. Das ist mir dann zu sehr so, wie es vielleicht Friedrich Merz machen würde. Vielleicht überlege ich auch darunter zu schreiben, dass Poetry Slam ja auch gar keine Kunstform ist und wenn er "Slam machen würde", dass für mich eher bedeuten würde, dass er eine Veranstaltung durchführt. Aber auch das ist ein fruchtloser Kampf im Internet und überhaupt, weil selbst in unserer Szene selbst die wenigsten den Unterschied sehen zwischen dem Format und der Kunst. Ich frage mich dann immer, ob wir auch sagen würden, dass wir ein Museum gemacht haben, wenn wir Bilder malen würden, aber hier bin ich einfach nur genervt und werde deshalb zynisch.

Über viele Wege - und das ist kein neues Thema für mich - haben wir zugelassen, dass Poetry Slam ein häufiges und billiges Ziel von Witzen ist. Es wird gedacht, dass weil die Leute Julia Engelmann gehört haben, sie ein Schema erkannt haben. Und natürlich profitieren sie davon, dass Menschen wie ich dann mit einer gewissen Verletzheit auf solche Beiträge reagieren. Besonders zwickt mich immer noch, dass diese Beiträge oft auch von Leuten kommen, die Teil der Szene sind oder die Anfänge ihrer Karrieren dem Format verdanken. Aber ich bin es echt leid. Da wird Slam genutzt als Beispiel für den Ort für die schwächsten politischen Aussagen, aber diverse aktuell erfolgreiche Stimmen der Kritik in Comedy, Kabarett und Kunst kommen eben aus unserer Szene. Dafür hat die Szene unterschiedlich viel getan, aber wenn es bei uns doch so scheiße wäre, wie kann es dann sein, dass diese Leute trotzdem vorwärts gekommen sind? Das passt halt gar nicht zusammen. 

Ich bin mir sicher, dass sich da die Leute äußern im Netz, die keine Ahnung haben. Die Slam nicht kennen, die Spoken Word nicht kennen, die nicht wissen dass Slam ein ganzes Weilchen in DE auch die Bühne für Comedy war, weil in vielen Regionen Stand-Up-Comedy noch gar keine Struktur hatte. Ich vermute mal, dass diese Leute insgesamt vielleicht gar nicht mal so viel über Kunst wissen. Aber ich bin es wirklich dolle leid. Was aber am Ende nichts ändert. Außer zu versuchen für das Format einzustehen und weiter zu zeigen, wie offen und überraschend barrierearm es ist, kann ich da eh nichts gegen tun. Im Netz hassen ist halt einfach und billig und deshalb vielen als Hobby ausreichend.

Für mich ein Problem an dem Ganzen: Die Scham. Aber nicht bei mir. Sondern ich sehe da draußen junge Stimmen die als Hobby oder Berufung Kunst machen wollen und dann vielleicht von einer guten Bühne wie Poetry Slam abweichen, weil schon der Ruf des Formates ihnen vermittelt, dass sie eh nicht ernst genommen werden. Und das ist einfach nicht so. Vielleicht in ganz seltenden Fällen, aber grundsätzlich ist Poetry Slam das Format, wo sich Künstler*innen und Publikum am deutlichsten darauf einigen, dass niemand vorher weiß was passieren wird. Das öffnet den Rahmen für fast alles was auf Bühne passieren könnte. So viel Freiheit in der Kunst ist selten.

Sicher, Kritik lässt sich an Slam als Format, an Slam als Szene, an Aspekten der Arbeit in dieser Szene auch üben und das sollte auch unbedingt passieren. Aber Kritik ist etwas anderes, als einen Begriff als Beleidigung zu verwenden. Denn da ist die Wahrheit, dass Kritik an jeder Szene geübt werden kann, weil die Probleme in vielen Kunstformen gar nicht so sehr an der Form, sondern an der Gesellschaft in der sie stattfinden liegen. Und wenn ich dann darauf schaue wieviele engagiert Menschen in der Szene daran arbeiten Umstände zu verbessern, dann bin ich fast stolz. Ich weiß nicht, wie es anderswo ist, aber ich bin stolz darauf, dass es in unserer Szene einen Verein für nicht-männliche Personen gibt und deren Rechte und Wünsche erkämpft, einen Verein für Trans-, Inter- und nonbinäre-Personen, einen Verein für migrantische Slam-Poet*innen, Awareness-Personen auf den Festivals, Entwicklung von Bildungsarbeit innerhalb der Szene, Schutzkonzepte für Jugendliche in der Szene, Diskussionen über "Code of Conduct" und so vieles mehr. Und ich mag nicht sagen, dass es das in anderen Szenen nicht gibt, aber ich nehme es dort eben nicht wahr. Und ich nehme wenig wahr, dass wir darüber an den öffentlichen Orten sprechen, an denen über Poetry Slam gesprochen wird.

Ja, vielleicht ist das eben dann Teil der notwendigen Bewegung. Selbst mehr laut und deutlich über alles sprechen was Poetry Slam abbildet und eben bei der Kritik auch dazu zu stehen, dass es ein gutes Format sein kann. Dass es viele Bühnen geschaffen hat für Menschen, denen sonst niemand zugehört hätte. Und weiter daran arbeiten, dass es besser wird. Laut und deutlich.

Kommentare

  1. Valo6.2.24

    Ich möchte anmerken, dass die Slam Alphas nicht der Verein für nicht-männliche Personen sind, sondern ein feministischer Verein der vorrangig FLINTA* Personen unterstützt (und zu FLINTA gehören ja auch Männer :) aber zb im Falle sexualisierter Gewalt auch nicht-queere cis Männer supportet.

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    1. Danke für die Korrektur, das habe ich dann falsch erfasst und gemerkt.

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  2. Mella6.2.24

    Hab ich gerne gelesen und mag ich zusätzlich unterstützen. Einige der Vorurteile habe ich selbst eine Weile unbedacht reproduziert. Da war es sehr heilsam, mich einmal WIRKLICH damit zu beschäftigen, was Poetry Slam eigentlich "ist und kann".

    Dass ich mich dabei so Hals über Kopf in das Format verliebt habe, hat vor allem mit der Niedrigschwelligkeit zu tun. Nirgendwo sonst habe ich erlebt, wie breit die Bühne für alle möglichen Perspektiven geöffnet wird und Menschen hier ein paar Minuten die Möglichkeit haben, gehört und gesehen zu werden. Das ist ganz fantastisch und ich bin gern ein Teil davon.

    Auch in Diskussionen mit Menschen einer benachbarten WortSportArt. (<= OMG, das ist spontan passiert, aber ich liebe es! <3) Ich habe diverse Gespräche darüber geführt, dass sie eben nicht die cooleren Kids sind, die alle Slammer:innen in den Sack stecken. Da dürfen Egos auch gerne mal einen Realitäts-Check machen und gestutzt werden. Und ich werde nicht müde, Einsteiger:innen ein paar gute und sichere Orte zu empfehlen, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eher Slam-Bühnen sind. AUS GRÜNDEN! Und darüber darf sehr gerne noch viel mehr gesprochen und geschrieben werden.

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    1. Ich sehe sogar noch den Wunsch und Bedarf, dass es noch niedrigschwelliger werden darf. Denn was ie Zugänglichkeiten angeht, da darf noch einiges passieren. So sind viele Bühnen nicht voll barrierefrei und durch den Ruf des Formates bleiben eben auch einige Menschen ihm fort, die sich dann in anderen Formaten wieder finden, aber da zum Teil gar nicht voll ausdrücken können. Ja, es sind schon Sachen gut, und es kann noch einiges besser werden.

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