Wert

Auf einen Instagram-Fragen-Sticker schreibt mir ein Bekannter, wie ich denn den Wert von Kunst in Zeiten der digitalen Vervielfältigung sehe. Ich möchte richtig gerne darauf antworten, also denke ich viel darüber nach, stelle mir die Frage immer wieder neu. Als Künstler beschäftige ich mich zum Beispiel ja auch eh schon mit Themen wie künstlicher Intelligenz und dort erstellten Produkten. Ich schaue aber auch als Veranstalter und Künstler darauf, was ausmacht ob etwas im Internet oder in Präsenz konsumiert wird. Ich hatte zu letzt ein Buch über die Geschichte eines Malers in der Hand, darin waren Bilder von ihm, die mich berührt haben, aber auch das sind natürlich Kopien für die Literatur und nicht die Originale, die irgendwo auf der Welt hängen, wo ich vielleicht niemals hinkomme. Aber egal wie lange ich an der Frage in meinem Kopf und in meinem Notizbuch rumknobel, falle ich immer auf eine Frage zu der Frage zurück:

Wie entsteht eigentlich Wert?

Denn auch in meiner Therapie und der Reflexion von mir selbst, stellen wir irgenwann fest, dass ich Probleme mit meinem Selbstwert in meinem Leben hatte und habe. Also wollen wir daran arbeiten. Jetzt bin ich kein Gemälde und kein Film und kein Buch und keine Statue, ich selbst bin keine Kunst, ich nutze mich nur um welche zu erschaffen. Aber wenn ich ein Wort wie "Wert" eben klar verwenden will, dann mag ich dafür Merkmale suchen, die ich eben auf mich anwenden kann, aber auch auf ein Sandwich. Das klingt vielleicht komisch, aber wenn mein Begriff von "Wert" nur in einer einzelnen Umgebung funktioniert, dann finde ich kann er nicht eindeutig gewählt sein.

Und die Ironie ist ja, dass wir im Alltag "Wert" als Maßstab nehmen um Dinge zu vergleichen. Denn wir haben direkt Bilder im Kopf wenn ich zum Beispiel nach dem Unterschied frage zwischen einem Auto das wenig Wert hat und einem das viel Wert hat. Aber wie entsteht dieses Wert?

Eine Sache die ich sicher sagen kann, ist dass investierte Zeit den Wert bestimmt. Wenn ich mir vorstelle, dass jemand 100 Stunden in das Malen eines Bildes investiert oder Fünf Minuten, dann macht das etwas mit meinen Erwartungen. Ja, es kann auch sein, dass eine Person einfach langsamer ist, als die andere, oder bestimmte Handgriffe einfach schneller gehen, aber der Punkt darin ist glaube ich, dass Zeit eine unwiederbringbare Ressource ist. Jede Minute die ich in eine Tätigkeit stecke, bekomme ich erstmal nicht zurück. Und sich dafür zu entscheiden für eine Sache eine so eindeutige Ressource einzusetzen, dass hat Einfluss auf den Wert.
Diese investierte Zeit kann sich auch in anderen Kategorien äußern, denn auch Erfahrung ist eine Art wie investierte Zeit sich bemerkbar machen kann. Da braucht es dann vielleicht nicht jetzt sofort viele Stunden, aber wenn ich über mein Leben schon viele Jahre etwas tue, dann verbinden wir das mit Wert. Eine meiner Testfragen für meine Merkmale von Wert war auch, ob diese Dinge im zwischenmenschlichen als wertvoll empfunden werden. Freundschaften, Verbindungen, romantische Beziehungen, gewinnen diese, wenn wir dort Zeit investieren? Ja. Also nehmen wir investierte Zeit als Marker für Wert mit.

Eine weiteres Merkmal ist Mühe. Wer etwas tut, was für einen Selbst schwer, anstrengend, herausfordernd ist, gibt schon selbst der Sache einen Wert. Denn wer sich belastet um etwas zu tun, muss dahinter für sich eine lohnende Erfüllung sehen. Egal ob es ein Lernerfolg ist oder eine Leistung, oder die persönlicher Erfahrung etwas zu können. In den Lerntheorien sind sich viele Forscher*innen gerade einig, dass das wichtig ist um sich zu verändern, um zu lernen und sogar auch um glücklich zu werden: Sich Aufgaben setzen, die einen herausfordern. Empfohlen wird dabei etwas zu wählen, was immer noch realistisch zu erreichen ist, aber schwer genug, dass wir nicht sicher vorher sagen können, ob es jedes Mal gelingen würde.
Auch dieser Faktor ist für mich auf viele Sachen anwendbar. Wenn ich etwas koche was ich noch nie gekocht habe, wenn ich mit ins Musical gehe, obwohl ich mich damit unsicher fühle, wenn ich meine so genannte Komfortzone verlasse und Menschen das erkennen, dann wissen sie das zu schätzen, denn diese Energie kommt vielleicht einem von ihren Wünschen zu gute. Wenn ich mir Leistungssport anschaue, dann ist unsere Anerkennung, auch wenn wir selbst den Sport nicht betreiben auch dafür. Da sind Leute die jeden Tag trainieren, um uns entweder ein Spiel zu bieten, das wir anfeuern können, oder um die Grenzen von menschlich leistbarem herauszufordern. Wir sehen den Aufwand den sie betreiben, wir sehen die Widerstände die sie übergehen und fühlen uns inspiriert, denn auch wir werden in unserem Leben auf Widerstände treffen. Sachen die uns aufhalten wollen, da die sich die Mühe zu machen, lohnt sich. Und was sich lohnt, steigt im Wert im Vergleich zu anderem, was sich nicht lohnt.

Ein weiterer Faktor der mir gerade im Kapitalismus aufgefallen ist um Wert zu bestimmen, ist die Seltenheit. Gehen wir nur von bloßen Rohstoffen auf dem Markt aus, dann ist was weniger verfügbar ist meist teurer oder erfordert eine größere Gegenleistung. Seltenheit ist dabei ein subjektives Empfinden. Ein Lebensmittel, das in der eigenen Region viel und häufig vorkommt ist dort nicht selten und deshalb vielleicht auch nicht so wertvoll. Deshalb hängt Seltenheit auch davon ab, wie einzigartig oder individuell etwas ist. Wie unterscheidbar. Als Personen streben wir nach Individualisierung, nicht zwingend um unseren Wert zu bestimmen, aber schon um uns als Person und Identität abgrenzen zu können. Kapitalismus nutzt das auch gerne um uns in diesem Streben zum Konsum zu bringen. Wir machen Produkte teilweise mit zu unseren Eigenschaften. Unsere Vorlieben. Aber wenn wir dann eben Menschen mit den gleichen Vorlieben finden, kann das ein verbindenes Element sein. Trotzdem sind bestimmte Kobinationen von Menschen für uns besonders. Und das können wir ganz klar daran sehen, dass wir nicht mit allen Menschen die wir den ganzen Tag über sehen gleich befreundet sind. Manche sind für uns selbst wertvoller, weil sie Kombinationen von Eigenschaften haben, die diese Menschen für uns unterscheidbar und selten machen.

Vielleicht gibt es noch mehr Marker, die ich noch nicht gefunden habe, aber mit diesen Dreien fällt es mir schon leicht die Frage nach dem Wert der Kunst in Zeiten von digitaler Vervielfältigung zu beantworten. Denn ich kann mit diesen Markern in Worte fassen, was mich zum Beispiel bisher an den Produkten von künstlicher Intelligenz stört, die als Kunst markiert werden. Künstliche Intelligenz muss vielleicht Zeit aufwenden, aber hat darin nicht das Empfinden der fatalen Endlichkeit wie wir. Künstliche Intelligenz muss sich keine reale Mühe machen. Selbst wenn begrifflich beschrieben wird, dass die Algorithmen trainiert werden und lernen, sind das am Ende Menschen die da die Ziele definieren für die künstliche Intelligenz. Sie selbst hat - bisher- keine eigenen realen Ambitionen etwas zu lernen, sich herauszufordern oder zu entwickeln. Es ist eine Prozedur nach einer Formel und die mögliche eingesetzte Mühe bestimmt ein Arbeitsspeicher. So wird aber eine künstliche Intelligenz nie etwas schaffen können, was real größer als sie Selbst ist, weil sie -bisher- kein Selbst ist. Schaue ich auf die Seltenheit, geht diese vollkommen verloren. Ich kann innerhalb weniger Sekunden unzählige sehr ähnliche Produkte auswerfen lassen. Und wenn auch sie individuell und unterscheidbar sind, und damit vielleicht sogar einzigartig, haben sie überwiegend Gemeinsamkeiten mit sich selbst und schon bestehenden Werken.

Der Witz daran ist aber, dass das nicht den Wert von anderer Kunst senken kann. Denn die zur Verfügung stehende Menge von etwas hat zwar Einfluss auf den Wert, aber am Ende ist das Empfinden dazu subjektiv. Und so kann ich ein Buch, von dem ich das Gefühl habe, dass es mit Mühe und Zeit erschaffen wurde, um über einen Künstler zu informieren sehr wertvoll finden, wenn auch es eine Vervielfältigung seiner Kunst ist, die dem Original vielleicht nicht gerecht wird. Mir wäre es mehr Wert, ein Original, als das Buch zu sehen, genauso wie es mir bei vieler Musik es mehr wert wäre sie live zu sehen, als im Streaming-Dienst zu hören. Aber da kommt eben die Verfügbarkeit zu tragen und der Aspekt, dass wir beim Wert manchmal auch bereit sind Abstriche zu machen. Lieber eine mühevoll gemachte Kopie, als gar kein Zugang. Auch wenn diese Kopie dann weniger Seltenheit hat.

Eine Falle in der Frage nach dem Wert ist so oft, dass das Thema Geld da mit eingemischt wird. Geld ist ein Mittel mit dem wir Waren bewerten, es hat selbst einen Wert, der im Verhältnis zu anderen Werten steht. Von dem was ich verstehe behauptet der Kapitalismus auch, dass wir unsere Zeit und Mühe in diesen Wert umwandeln können, um wiederum Zeit, Mühe und Seltenheit zu erwerben. Also ganz weit weg ist es nicht. Aber Geld für sich ist eine abstrakte Sache, die auf die Frage des Wertes mit oben drauf gelegt wird. Durch Geld werden Vergleiche möglich, die eben eigentlich nicht vorgesehen sind und nicht zwingend zusammen passen. Geld macht, dass wir glauben Leute feuern zu können, weil sie durch eine K.I. ersetzt werden können, weil wir uns von diesen Werten täuschen lassen. Den während Geld abstrakt ist, sind die Zahlen dahinter sehr konkret. Aber was es bedeutet, dass eine Box Sushi im Supermarkt genauso viel kostet wie eine Stunde Mindestlohn und wie das zusammen passt, wird zu einer Mythologie für uns, die nicht klar aufzulösen ist. Was ist mehr wert? Etwas Gemüse mit Reis eingewickelt, oder eine Stunde Mühe und Zeit eines Menschen? Was ist mehr wert, der Arbeitstag eines Managers eines Unternehmens oder ein Bild von Banksy? Das ist eine sehr große andere Diskussion, die Künstler*innen leider auch führen müssen, wenn sie von ihrer Kunst leben wollen. Wieviele Gedichte sind eine Monatsmiete? Fragen, deren Antwort sich eben nicht in Zahlen stecken lässt.

Aus der Therapie und dem anliegenden was ich gelernt habe, habe ich auch für mich herausgefunden, dass Dinge nicht von alleine einen Wert haben. Ich gebe Sachen ihren wert. So zum Beispiel meinem Tag. Ich frage mich weniger "Bin ich wertvoll?" und frage mich häufiger "Wie kann ich meinem Tag jetzt wert geben?" Und dann kann ich schauen, wie ich Zeit, Energie oder eben Besonderheit in meine Aktivitäten legen kann. Und ich merke, dass weil ich es entscheide und es für mich selbst einen wert hat, eben das entsteht: Selbstwert. Unabhängig davon, wie andere es sehen würden. Die paar Sekunden mein Mittagessen nicht aus einer Verpackung, sondern von einem Teller zu essen, die Entscheidung nicht am Schreibtisch am Rechner vor den Emails, sondern im Esszimmer zu essen, ohne Handy daneben, ein Moment den ich so nicht so oft habe, schon so etwas zahlt sich für mich aus, weil es gut ist seinen Erlebnissen wert zu geben.

Was ist Kunst in Zeiten von digitaler Vervielfältigung wert? So viel wie du bereit bist selbst zu investieren und so viel du bereit bist Merkmalen einen Wert zu geben.

Kommentare

  1. Zu dem Teil mit Kapitalismus und Geld: Es gibt momentan häufig in Shops, wie Shein gehäkelte Produkte für unter 10€. Die sind auf jeden Fall handgemacht, denn häkeln kann man (im Gegensatz zum Stricken) nicht mit Maschine und irgendein Mensch wird auf der anderen Seite extrem offensichtlich ausgebeutet.
    Und sowas verschiebt dann auch den (monetären)Wert den die Gesellschaft solchen handgemachten Produkten zuschreibt nach unten und das Handwerk wird weniger wertgeschätzt.

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    1. Ich befürchte halt, dass der Kapitalismus aus solches immer auf Ausbeutung basiert. Denn er funktioniert nur, wenn Wert als urteilende Macht verwendet wird.

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