Der befreiende erste Fehler
Als ich zur Probe gehe, spüre ich, dass irgendwas schief ist. Es geht steil auf die Premiere zu, es fühlt sich immer weniger danach an, als würden wir bei den Proben "proben", sondern als wären wir schon im Ernstfall angekommen. Ja, die Regie und der Dirigent und das Kostüm und alle die wichtige Funktionen haben, haben nochmal hier und da was zu fixen, aber bei mir steht bisher alles fest und es gibt nichts zu ändern. Es richtig hinbekommen, darum geht es. Und während das Projekt sich eben von einer "Idee" zu einer Realität verwandelt hat, stehe ich hier und kann es auch teilweise doch noch nicht ganz glauben - Ich weiß gleichzeitig ganz genau was ich tue und gleichzeitig auch gar nicht. Ja, ich mache Spoken Word, da kenne ich mich aus und habe Skills. In einer Oper. Da habe ich keine Ahnung von nichts und verstehe auch die Sprache hier nicht immer. Zum Glück gehe ich damit offen um, spreche alles an was ich brauche oder nicht verstehe und treffe auf ein zutiefst kooperatives Umfeld.
Dann kommt in der Probe diese komplexe Nummer, die mehrere Sachen abruft, die ich bisher nie oder selten machen musste. Ich muss Timing und Einsätze beachten. Ich will auf keinen Fall etwas falsch machen, weil eine Stimme in mir sagt, dass wenn ich einen Fehler mache, mein Platz hier angefochten wird, meine Expertise in meiner Kunstform schaden nimmt und dann bin ich im Text und wir machen das Ding und ich denke.....Ja, ich denke. Anstatt meinen Satz und Einsatz zu treffen, denke ich und stare in die Leere des Opernhauses. Und dann habe ich es endlich hinter mir. Der Fehler ist endlich passiert.
Es ist ein ironisches Spiel. Wenn wir etwas erschaffen oder performen und unsere Kunst machen, wollen wir ganz dringend keine Fehler machen. Dabei sollten wir eigentlich sicher haben, dass wir sehr wahrscheinlich mal Fehler machen. Vorallem in Proben, die genau dafür da sind, Fehler zu machen, Wege zu finden sie zu beheben und dann nicht mehr zu machen. Proben sind fürs Muskelgedächtnis, ja, auch bei Kunst, weil wir die Abläufe und den Moment wo wir die Stimme ansetzen so oft durchgehen, dass wir es irgendwann ohne Denken hinbekommen. Denken ist toll, aber stört während er Fahrt eines Bühnenstückes dann doch sehr.
Als der Fehler dann aber gemacht ist, bin ich befreit. Zum einen, weil meine Ängste natürlich viel zu groß angesetzt waren. Nichts von meinen Sorgen bewahrheitet sich, was daran liegt, dass nichts davon eine Wahrheit ist. Ich mache mir auch klar, dass wir ein kooperatives Projekt sind. Sehe ich auf der Bühne schlecht aus, ist das schlecht für alle. Das bedeutet aber auch, dass alle mir helfen werden und würden, besser zu werden. Im Rahmen ihrer Rollen und Energien. Wäre schlecht was ich mache und sie lassen mich unkritisiert mitmachen, ist das eben mehr deren als meine Verantwortung. Denn ich bin für meine Kunst verantwortlich und meinen Anteil. Und den mache ich ja. Nach besten Möglichkeiten. Aber wenn da im größeren Ganzen etwas nicht stimmt und keine*r sagt etwas, dann sind die anderen auch irgendwie ein bisschen mit Schuld. Auch das ist Verantwortung als Team tragen.
Als ich den Fehler raus hatte, von dem ich schon vorher gespürt habe, dass einer passieren wird, kann ich danach befreit mitspielen und mitmachen. Ein Effekt, den ich bis in die Premiere tragen kann. "Ich habe meinen Fehler schon gemacht" denke ich und bin damit frei. In der Premiere des Stückes mache ich dann auch einen, allerdings habe ich meinen Griff um die Kontrolle so weit gelockert, dass ich mich ganz schnell wieder einfangen kann und es außer mir überhaupt niemand bemerkt.
Dann frage ich mich, ob sich der erste Fehler auch einplanen lässt? Kann ich ihn absichtlich machen, damit er aus dem System ist, wenn es wichtig wird? Das weiß ich nicht sicher, aber ich erkenne erneut, dass die Proben der Fehlerraum sind, der den Schutz bietet dann etwas zu lernen. Und das scheinen die Kriterien zu sein um Fehler gut los zu werden: Sie machen dürfen und den Schutz seiner Umgebung deshalb nicht zu verlieren.
❤️🔥 Immer wieder eine Aufgabe, mir Fehler zu erlauben und nicht zu viel zu denken. Das klappt in unterschiedlichen Momenten und Kontexten unterschiedlich gut. Aber das Mindest für eine offene Fehlerkultur ist auf jeden Fall da. :)
AntwortenLöschenBei Kunst mag ich es nicht mal mehr Fehlerkultur nennen, weil ich ja nur versuche meine Vorstellung gerecht zu werden, da gibt es ja kein faktisches richtig und falsch. Ich glaube da wäre eben mein Gedanke, dass es im Spiel keine Fehler gibt.
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