Die Angst vor der persönlichen Geschichte
Es liegt daran, dass ich Arbeiter*innen-Kind bin, denke ich. Und das ist sicher nicht der einzige Grund. Aber ich denke und merke, dass ich mich vorallem über Wissen in andere Kreise freischalten will. In die, in denen ich auch selbst das Wissen vermute, das ich selbst gerne bekommen würde. Dass ich als Kind die Chance hatte mit einem sehr belesenen Menschen in Kontakt zu kommen, ist für mich ein großes Glück gewesen. Lutz hat mir Bücher in die Hand gedrückt, die ich nicht gelesen habe, hat mit mir zusammen gesessen und klassische Musik gehört und Jazz und mir seine Geschichten dazu erzählt. Obwohl ich in einem linken politischen Jugendverband aktiv war, war es Lutz der sich am heftigsten dagegen ausgesprochen hat, dass ich den Militärpflichtdienst antrete. Seine Geschichte mit dem Militär und meine fehlende Einsicht haben ihn verletzt. Ich war und bin dankbar für Lutz. Ich habe früh gelernt, dass die Schutzblasen in denen ich schwebe nicht stabil sind, angegriffen werden können und welchen Gewinn es für mich hat, viele Meinungen zu einer Sache zu kennen. Lutz hat sich mir in einigen Sachen anvertraut und deshalb denke ich, ging es.
An verschiedenen Stellen werde ich immer wieder daran erinnerst, was ich durch die Erfahrung im Spoken Word schon lange spüre: Wir Menschen suchen nach den persönlichen Geschichten. PErsönliche Geschichten und was uns wichtig ist, das macht, dass wir verstehen wollen und empatisch werden und dann aus uns heraus über uns hinaus wachsen. Lutz war zig mal einer anderen Meinung als ich, aber er hat mir erklären können, wie er die Welt sieht, was ihm wichtig ist und wie er leben möchte. Und das hatte und habe ich auch und konnte es verstehen. Ruhe in Frieden, mein alter Freund und Mentor.
Was ich glaube aktuell nebeneinander zu sehen in unserer Gesellschaft ist ein hoher Wunsch nach persönlichen Geschichten und dabei aber auch ein hoher Bezug zur Betäubung von allem was schwer, schlecht, herausfordernd ist. Es fehlt uns an Sicherheit in einigen Bereichen und Lebensumständen. Wir haben viele Ängste und lassen uns davon lenken. Deshalb glauben wir auch nicht mehr daran die Zeit zu haben uns die Geschichten von Menschen anzuhören. In Ruhe. Mit Geduld. Und Zeit. Und der Energie, zu zuhören. Und das sage ich mit einem "wir", weil ich das auch bei mir sehe. Ich habe so viel über Kommunikation und das Erzählen und das Zuhören schon gelernt, aber ich merke auch immer wieder, wie ich gar nicht den Idealen folge, die ich da auf meiner Lernreise entworfen habe. Weil es an Energie fehlt. Denke ich immer wieder. Aber real betrachtet, fehlt es mir an Zeit die ich mir nehme.
Ganz nebenbei klopfen bei mir aber auch toxischen Schulen der Männlichkeit und des Kapitalismus an. Die sagen nämlich, dass wir niemandem vertrauen sollten, Gefühle schwach machen und alles effizient und kalt sein sollen. Nichts davon trifft mit dem überein, wie ich die menschliche Natur erlebe. Als ich aus Sorge um meine Verbindungen zum Lernen einen Podcast mit Charles Duhigg höre, sagt dieser, dass Kommunikation unsere eine Superkraft als Menschen ist. Kommunikation und wie wir sie entwickelt haben ist das, was uns seiner Meinung nach den evolutionären Vorteil gegenüber anderen Lebewesen gibt. Vorteil. Als wäre es ein Wettbewerb. Aber es unterscheidet uns massiv von anderen Lebewesen, deren Kommunikation ihnen weniger Optionen bietet. Für mich ist es also absurd, dass es Bewegungen gibt, die uns diese Superkräfte nehmen wollen oder madig reden wollen. Was aber Sinn ergibt, denn wenn es eine Superkraft ist, dann wollen Menschen die Macht haben wollen natürlich darüber bestimmen, wie kommuniziert wird. Und aufgrund der Art wie ich in der Welt aufgezogen wurde, kann ich mich davon auch nicht frei machen.
Mag ich aber ganz gerne. Ich mag keine Angst vor persönlichen Geschichten und dem Erzählen haben. Ich mag sehen, dass ich mehr Menschlichkeit erfahre durch aktives Zuhören, als ich an Zeit verliere. Und ich mag auch herausfinden, wie ich mich besser trauen kann auch meine persönliche Geschichte zu erzählen. Denn wenn auch ich jeden Tag hier blogge und das ja zwangsläufig meine Perspektive ist, sehe ich auch, dass ich oft auf einer sachlichen Ebene bleibe. Und das ist sicher nicht immer schlecht, aber manchmal braucht es eben die menschliche-emotionale Verbindung. Und da traue ich mich nicht immer hin, weil ich da in der Vergangenheit sehr verletzt wurde und mich verletzt habe. Aber da es heute um die Angst vor dem Erzählen der persönlichen Geschichte geht, werde ich hier noch nicht den Mut fassen sie auch zu erzählen. Und wer weiß, vielleicht ist ja genau das schon ein wichtiges Bauteil um sie zu erzählen?
So wichtig. Bonusrunde ist dann, die Geschichte der anderen Person, nicht zur eigenen zu machen. Oder in der Geschichte und dem Schmerz von anderen nicht automatisch einen Angriff auf das eigene Denken zu hören. Oder Verknüpfungen zu ziehen, wo keine sind, weil es sich so nach Episoden in der eigenen Geschichte anfühlt. Gelingt mir manchmal sehr gut, manchmal braucht es genau diese Verlinkung für Verbindung/Verständnis zu vertiefen und manchmal darf sie komplett außen vor bleiben. Da lerne ich weiterhin, besser zu erkennen, welcher Fall gerade passend ist.
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