Du wirst es nicht sagen können

"Das war jetzt aber sehr Englisch", bekomme ich als Antwort in einem Chat, als ich formuliert hatte, dass ich den Eindruck habe, alles würde gerade an seine Plätze fallen. Kurz bin ich verwirrt, aber dann vertraue ich der anderen Person, die in Lektorat und Übersetzung arbeitet, denn: "Diese Redewendung ist so im Deutschen nicht üblich."

In einem Projekt mit jemand anderem aus meinem Umfeld formuliert diese Person, dass sie verunsichert ist, weil sie sich im Englischen wohler fühlt, als im Deutschen. Denn sie hat lange Jahre und mehrfach in verschiedenem Ausland gelebt. Spricht mehrere Sprachen. Ich habe da für unser Projekt kein Problem mit, denn ich finde Mehrsprachigkeit aufregend, auch wenn ich selbst nur Deutsch und Englisch spreche.

Deutsch und Englisch habe ich aber auch einen Moment lang studiert an der Universität und da etwas gelernt, das mich seitdem begleitet: Die beiden Sprachen unterscheiden sich, weil die eine im Aufbau und Sprachgewohnheit auf Fakten, die andere aber auf Gefühle mehr Priorität legt. Selbst bei Fragen danach wie sich Menschen fühlen, selbst wenn diese sich recht gleichförmig übersetzen lassen, zeigt sich in den Antworten, dass der Fokus woanders liegt. Und wenn auch Sprache sich wandelt, gibt es da eben eine Sache, an der wir nichts machen können.

Alan Watts sagt in seiner Lesung zum "Eternal Now", dass die Natur und damit das Leben mehrdimensional ist. Sprache hingehen ist gradlinig. Zur Natur und dem Leben, da zählt Watts das eigene Erleben und Wahrnehmen und die Gedanken die uns auftauchen. Und es stimmt, da kommen Bilder, Worte, Emotionen, Zustände zusammen in einer Gleichzeitigkeit, der wir schon sprachlich gar nicht gerecht werden können, weil es immer eine Verzögerung im Erleben und im Formulieren geben wird, schon alleine auch, weil wir zwar gleichzeitig sehr viel verschiedenes in uns als Reize wahrnehmen, nicht wahrnehmen und erleben können, aber immer nur eine Sache erzählen können in einem Moment. Und ist der Moment vorbei, dann fängt unser Hirn schon an Impulse zu sortieren, zu vergessen, als Gefühle in unser Bewusstsein und Unterbewusstsein zu übertragen. Es ist nicht möglich das alles auszudrücken.

Scott McCloud schreibt in seinem Buch "Comics richtig lesen", dass selbst wenn wir uns sehr gut mitteilen und ausdrücken können, es ja aber auch nie eine vollständige Übertragung der Erfahrung und des Erlebenes geben kann. Wenn ich euch von den Menschen die und der Art wie ich liebe erzählen oder schreiben würde, dann würdet ihr diese Menschen nicht so (er-)kennen wie ich und sie nicht auch automatisch lieben, egal wie lebhaft und "gut" ich es erzählen kann. Da ich mit meiner Biografie und Erinnerungen in den Austausch gehe, ihr aber mit euren eigenen, wird es da immer eine Differenz geben.

Ich habe geschrieben, dass ich nur zwei Sprachen beherrsche, aber vielleicht stimmt das nicht. Denn ich merke, dass ich auch innerhalb einer Sprache mehrere Sprachen spreche. Und manchmal fällt es auf, weil ich dann in der einen nicht weiterkomme und auf eine andere zurückgreife. So habe ich eine Variante des Ruhrdeutschs gelernt, bei recht unvollständigem Vokabular, aber immer mal wieder Ausflügen in die Gewohnheiten dieser eher bürgerlich gesprochenen Sprache. Und während ich diese Sätze schreibe, merke ich aber auch, dass ich für Schule und Uni ein anderes Deutsch lernen musste, welches akademischen Ansprüchen gerecht(-er) werden kann. Beide Arten Deutsch zu sprechen können aber Dinge ausdrücken, die es in der anderen Sprache nicht gibt.

Es wird immer passieren, dass wir etwas gar nicht ausdrücken können. Sprache kann nicht alles abbilden, was wir vielleicht gerne "sagen wollen". Denn dafür ist Sprache nicht gemacht. Der zuvor erwähnte McCloud formuliert, "Sprache ist eine Notlösung" und unterstützt diese Aussage mit einer Zeichnung, da sein Fachbuch ein Comic ist. Weil er so Dinge ausdrücken konnte, die er in Worten nicht geschafft hätte. Sprache kann allerhöchstens eine Annäherung erreichen, aber nie eben eine wahrheitsgemäße und vollständige Darstellung. Und das kann befreiend sein, aber auch Klarheiten geben.

Für mich als Künstler, aber eben auch Mensch, bedeutet das nämlich, dass es Bereiche meines Lebens geben kann, wo ich mehrere Versuche brauchen werde, bis ich Formulierungen finde, die zumindest für mich zufriedenstellend vertreten können, was in mir vorgeht. Und es kann eben sein, dass ich in Momenten merke, dass in mir meine Muttersprache gar nicht nah genug dran ist an meinem Erlebnis. Vielleicht kann ich es im Englischen besser ausdrücken. Oder und da kommen wir zu einem anderen Aspekt davon was Sprache ist: Vielleicht kann ich es besser malen als sagen, besser singen als schreiben, besser tanzen als bloggen, vielleicht kann ein Foto besser abbilden, als es jede erlernte Sprache von mir kann. Das Medium kann eben auch einen Unterschied machen. Und da gibt es so deutlich aktuell Hinweise drauf, dass in Experimenten sich aktuell herausstellt, dass wir sogar auf verschiedenen Plattformen im Internet zum Beispiel verschiedene Sprachen sehen. So kommentieren und schreiben wir anders aus Youtube, als auf Bluesky, als auf Instagram, als im Whatsapp-Chat, als in Telegram. Anders in einem Telefonat, als in einer Sprachnachricht, als in geschriebenen Chat. Weil alle diese Sprachorte auch mit eigenen sprachlichen und auch sozialen Regeln und Angewohnheiten daher kommen.

Ich werde mich vielleicht nie vollständig ausdrücken können. Wenn ich meine Geschichte erzählen möchte oder meine Gedanken, dann muss ich das immer wieder neu versuchen. Ich prüfe meine Medien, mein Format und suche Wege so nah wie möglich an das heran zu kommen, was ich im Multiversum meines Innenlebens gerne ausdrücken wollen würde. Wissend, dass ich am Ende aber eh nicht kontrollieren kann, ob ich verstanden wurde. Ich kann nur kontrollieren die Offenheit zu haben mit anderen Menschen gemeinsam im Gespräch zu versuchen, dass wir uns annähern und die Sprache und die Regeln des anderen erlernen. Und das kann gelten wenn wir zu zweit reden, aber eben auch wenn ich von der Bühne mit einem Publikum spreche.

Mit diesem Bewusstsein, versuche ich auf mich und meine Kunst zu schauen. Ich werde es immer wieder neu versuchen müssen, mich wiederholen, akzeptieren, dass ich nicht weiß, was meine Worte bei anderen bewirken und die Verantwortung dafür übernehmen, wenn unterschiedlich verstandene Worte verletztend verwendet wurde. Ich werde immer wieder schauen müssen, in welchem Medium mein Erleben gerade stattfinden möchte. Ich werde auch ein Teil davon sein, Worte zu finden, die anderen Menschen helfen etwas aus sich auszudrücken, was sie bisher nicht sagen konnten. Ich glaube da kommen unsere Lieblingslieder her. Weil jemand in der Sprache der Musik und Gesangs ein Gefühl ausgedrückt hat, für das wird selbst in uns keine Worte gefunden haben. Und vielleicht ist es so in jeder Kunst. Denn mir fallen auch Bilder ein, die das für mich tun.

Mit diesem Wissen fällt es mir leichter, dass alles in seine Plätze fällt. Auch eine Redewendung, die ich  brauchte, es da aber eigentlich so nicht gibt.

Kommentare

  1. Ich hab diesen Artikel wirklich gern gelesen, zum Einstieg in den Tag. Weil er ein paar spannende Blickwinkel aufmacht über die ich so noch nicht nachgedacht habe... Aber auch, weil ich bis kurz vor Schluss noch dachte, es würde eine mir wichtige Facette darin fehlen und dann tauchte sie doch noch auf. :)

    Tatsächlich stolpere ich manchmal darüber, wenn mir jemand sagt, dass ich niemals werde verstehen können, was in der Person los ist.. Was sie denkt und fühlt... Weil Worte nicht ausreichen, um das zu bewirken und weil ein vollständiges "Verstehen" oder "Nachempfinden" gar nicht möglich ist. Mich piekst es ein wenig, weil ich mich als sehr mitfühlend erlebe und diese Aussagen bei mir so ankommen als würde mir das abgesprochen... Als würde mir erklärt, warum mein Erleben nicht valide sei und warum das ein Problem wäre.

    Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um zu begreifen, dass das nicht ist, was mir da vermittelt wurde und diese Interpretation auf meiner Seite (und mit Rückbezug auf meine eigene Biografie) passiert und für die Verletzung daher nicht automatisch mein Gegenüber die Verantwortung trägt. Und dass die Motivation hinter dieser Einordnung keine Ablehnung sein muss, sondern auch Verbindung herstellen kann, wenn beide Seiten bereit sind, sich aufeinander und die jeweilige Sprache einzulassen. Es kann also genauso eine Einladung sein.

    Der Moment, in dem ich begriffen habe, dass selbst die eigene Muttersprache uneindeutig ist und wir uns immer wieder abgleichen und synchronisieren müssen, war heftig. Es war frustrierend für mich, mich missverstanden zu fühlen und das Gefühl zu bekommen, dass ich gar nicht in der Lage bin, mein Gegenüber wirklich zu verstehen. Als ob es sich um komplett fremde Sprachen handelt, die ich einfach gar nicht spreche.

    Aber der Knackpunkt ist dann am Ende eben gar nicht, ob wir einander zu 100% verstehen, sondern ob wir bereit sind, es schrittweise zu versuchen und miteinander und voneinander zu lernen. Not gonna lie: Es ist unfassbar frustrierend und arbeitsintensiv, aber auch ein wirklich schönes Gefühl, wenn es denn dann klappt... Wenn Räder ineinandergreifen... Der Sand aus dem Getriebe gepustet ist..

    Oder... wenn alles endlich an seine Plätze fällt. 💜

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    1. Ich finde, dass ein erster ganz entscheidener Punkt ist, dass es ja mit(!)-fühlend heißt. Das sagt schon, dass mensch nur daneben etwas fühlt, es aber eben nicht die identischen Gefühle sind. Und eben auch nicht sein können, weil wir mit anderen Vorraussetzungen in eine Beschreibung gehen und diese konsumieren. Jedes Gefühl ist seid seinem Ursprung hier schon mehrfach verwertet.

      Ich finde aber auch die Frage ob Gefühle "valide" sind nicht hilfreich. Validität ist ein Kriterium der Logik, der Beweisbarkeit. Gefühle sind einfach nur. Sie brauchen keine Beweisbarkeit, keine Gründe, keine Erklärbarkeiten. Gefühle müssen gefühlt werden. Das ist alles. Und wenn wir wissen, dass sie da sind, dann reicht das aus. Das kann niemand anderes bewerten oder entscheiden, weil sie, lol, eben nur mitfühlen können, aber nicht an unserer Stelle.

      Wenn wir versuchen die Validität von Gefühlen von Menschen aber doch abzusprechen, dann ist das eine Handlung die unterdrückt oder Macht ausüben will. Und das ist dann dringend sehr genau zu beobachten und zu entscheiden, weil unter Umständen kann das sehr sehr verletzend sein, wie du es ja auch andeutest.

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    2. Anonym18.3.24

      Der Text hat mich an einen Beitrag aus "Gute Literatur" (Hanser Akzente Heft 3/22) erinnert. Maria Wollburg schreibt hier [auf die Frage, was für sie gute Literatur ausmacht]: "Der Wunsch, sich verständlich zu machen, ist ein zentrales Motiv in den Briefen von Heinrich von Kleist. So schreibt er 1803 an seine Schwester: 'Ich weiß nicht, was ich Dir über mich unaussprechlichen Menschen sagen soll.' Diesen Versuch zu wagen, der an den Grenzen der Sprache scheitert, ist für mich die Geste guter Literatur: Die Hand ausstrecken nach dem Anderen, und sei es vergeblich."

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    3. Ja, das ist ein absolut passendes Zitat. Danke fürs Teilen.

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