Was mit dem Körper zu sagen ist

Foto: Mella Steckelberg
Bei der Probe zu einer Oper in der ich mitwirken darf, bin ich in der Lernzone und damit aber auch ganz harmlos uns sanft nicht über- aber gefordert. Ich war noch nie in einem Opernstück aktiv, kenne die Abläufe nicht, hatte zwar schon Proben meiner Aufgaben im Stücke, aber heute sollen wir zum ersten Mal alles zusammen führen. Wir spielen das Stück in der korrekten Reihenfolge und so zusammenhängend wie möglich, mit gelegentlichen Unterbrechungen für Korrekturen. Als ich signalisiere, dass ich nicht alle Abläufe gut verstehe, bekomme ich sehr kooperativ hilfreiche Antworten.

Dann legt mir mein Kopf ein Bild aus der Arbeit meines Vaters hin. "Diese Probe heute ist also wie die Hochzeit bei einem Auto?", frage ich und werde nicht sofort verstanden. Als Hochzeit wird bezeichnet, wenn der Motor in die Karosserie eingesetzt wird. Beide Bauteile sind absolut notwenig um ein funktionierendes Auto zu haben, aber sie müssen erstmal getrennt entworfen und aufgebaut werden. Aber dann gibt es den Moment, wo der Motor in die Karosserie eingelassen wird und die Teile so verbunden werden, dass sie eine funktionale Einheit bilden.

Bei der Probe war es ähnlich, wir haben Gesang und Tanz und Requisite und Spoken Word und all das was da noch in diesem Stück passiert zum ersten Mal versucht zu verbinden und geprüft, wo wir alles gut fest miteinander verschweißen und verschrauben müssen, damit dieses Stück nachher auch fährt.

Seit es in unserem Schreibtisch neulich Thema war, beschäftige ich mich weiter mit dem Thema der "Performance" bei Spoken Word und auf der Bühne. Dazu geschrieben habe ich schon hier und hier ein paar Übungen hingelegt. Ich habe den Schreibtisch und die Fragen dort, aber auch meinen eigenen Weg zurück auf die Bühne zum Anlass genommen, meine Hausaufgaben zu dem Thema zu machen. So denke ich darüber nach, probe selbst wieder und suche Quellen und gute Impulse zum Thema Performance.

Bei der Probe zu dem Stück sehe ich, wie Sequenzen der Geschichte ohne Sprache erzählt werden. Da läuft Musik, Menschen bewegen sich, es wird getanzt und im Kontext des Ganzen fängt es an einen tieferen Sinn zu ergeben. Ich bekomme Hinweise auf die Atmosphäre der Situation in der Geschichte und auch Gefühle der Figuren werden verstärkt. Da die Oper auch in Sprachen gesungen wird, die ich nicht verstehe, muss auch dort ein weiterer performativer Aspekt eine Rolle spielen, denn die Lage der Figuren verstehe ich trotzdem, ohne wirklich irgendwie italienisch zu können. Ich bin mir sicher: DAS ist eben Performance, die da passiert. Aber wie kann das gehen?

Erdem Gündüz sagt in einem Artikel in dem Buch "the truth is concrete", dass er als Choreograph immer die Sorge hat, "what you can say with the body". Die Frage, was ich mit dem Körper erzählen kann. Und natürlich ist die Stimme ein Teil des Körpers, aber wir haben kein Organ in dem in uns die Sprache wächst. Wir erlernen die Sprache und haben ein Organ um Lautieren zu können. Die Frage ist also, was ich mit dem Körper erzählen kann? Was ist die Sprache des Körpers? Was bedeutet das für meine Kunst?
Der Choreograph hat im Rahmen einer Perfomance in einem Protest sich dafür entschieden, auf einem Platz in der Türkei zu stehen und dort eine Statue von Atatürk fokussiert anzuschauen, dessen soziale Ideale er erstrebenswerter fand als die seiner aktiven Regierung. Erdem Gündüz hat nicht gesprochen, nicht getanzt, sich nicht groß bewegt. Ein Mensch auf einer Position mit einer einzelnen Handlung, einem Blick. Sein Protest zeigt Wirkung, das Bild geht durch die Medien, durch die Welt, sein Handeln schafft Neugierde für seine Geschichte und somit für die Inhalte die er bewegen will. Ohne selbst etwas zu sagen. Nur mit seinem Körper.

Wenn wir beim Poetry Slam oder bei anderen Formaten auf die Bühne gehen, dann tun wir das mit unserem Körper, haben aber oft alles genau darauf ausgelegt, was wir mit unserer Stimme und unseren Worten tun können. Aber was können wir sagen, ohne Worte zu verwenden? Was passiert, wenn ich um zu spielen, einen meiner Texte nehme und nicht versuche ihn verbal, sondern nur mit meinem Körper zu erzählen? Vielleicht filme ich mich dabei oder probe das mit Freund*innen. Vielleicht bespreche ich mit ihnen was verstanden wurde, ohne das ich gesprochen habe.

Wenn ich dann soweit bin und weiß wie beide Teile einzeln funktionieren und in sich ihren Zweck erfüllen, dann kommt die Hochzeit. Ich führe meine Bewegungen, meinen Körper und meine Stimme und meine Sprache wieder zusammen. Und vielleicht muss ich dabei ein paar Sachen anpassen oder verändern. Meine Sprache als der Motor, mein Körper als die Karosserie. Was kann ich erreichen, wenn ich beide aufeinander abstimme und zu einem Vehikel meiner Kunst und Ideen mache?

Oft in der Kunst kann es hilfreich sein, sich für den Moment etwas weg zu nehmen. Zu erforschen, was passiert, wenn wir ein Werkzeug oder eine Technik wegnehmen. Dann die Erkenntnisse aus diesem Spiel wieder mit zurück zu bringen. Selbst mit meiner Begeisterung für Ganzheitlichkeit mag ich sagen, dass es zwar immer darum geht, dass ganze System oder den größeren Zusammenhang zu sehen, das bedeutet aber nicht die Kleinteile aus dem Blick zu verlieren. Für mich bedeutet das zu versuchen, ihnen nacheinander die Aufmerksamkeit zu geben, die es braucht, damit nachher alles im Ganzen auch funktioniert.

Frohes Forschen, liebes Rudel.

Kommentare

  1. Anonym4.3.24

    Stark. Das Bild mit der Autobau(-hochzeit) find ich eindrucksvoll und passend in dem Zusammenhang. Spannend, was du da alles machst. Wirst du verraten, was da dein Part ist und wann/wo mensch dich da sehen kann?

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    1. Wir werden als Spoken Word Artists mit Sprachstücken einen Beitrag zur Geschichte der Oper "der anonyme Fremde" im Aalto-Theater in Essen eingesetzt. Wir sind Jule Weber und ich, die auch Teil des Projektes ist. Die Premiere ist am 16.03. und ich werde mich bemühen sehr bald meine Termine-Seite auf diesem Blog zu aktualisieren. ;)

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    2. Anonym9.3.24

      Klingt interessant! :) Danke für die Antwort.

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