Speicherpunkte

Zur Zeit spiele ich in meiner Freizeit (wieder) das Videospiel Elden Ring. Es ist ein Spiel eines Studios, die selbst ein ganzes Genre damit geprägt haben, die so genannten "Soulslikes", weil ihr erstes Spiel "Demon Souls" mit ganz bestimmten Mechaniken auf sich aufmerksam gemacht hat. Eine davon ist ein Risiko-Belohnungs-System und Verhältnis. So gibt es in den Spielen immer eine Form von Speicherpunkt von dem aus gespielt werden kann, wenn die Spielfigur ihr Leben verliert. Allerdings werden diese Punkte auch verwendet um auf der Karte als Zielpunkte für Teleporation zu dienen und damit Wege abzukürzen, außerdem werden dort auch die Heilgegenstände der Spielfigur wieder aufgeladen.

Wo ist das Risiko? Zum einen sind diese Speicherorte nicht immer leicht zu erreichen oder raffiniert versteckt. Gehe ich also lange Wege, die voller Gefahren und damit möglichen Misserfolgen sind, kann es sein, dass mir irgendwann die Ressourcen ausgehen und ich entweder umkehren muss oder alles riskieren. Denn wenn meine Spielfigur sterben sollte, lasse ich alle bisher erworbenen "Seelen", die sowohl Währung als auch Basis sind um die Spielfigur zu verbessern, fallen an der Stelle an der ich scheiter. Will ich diese bisher erworbenen Seelen wieder einsammeln, muss ich genau an den Punkt, wo ich sie fallen gelassen habe. Je länger ich also ohne sicheren Speicherpunkt erfolgreich war, desto höher wird mein Risiko die Währung meiner Erfolge zu verlieren. Andere Gegenstände die ich auf dem Weg finde, oder auch Ausrüstungen, behalte ich hingegen. So kann ich mein Geld, aber nicht mein neues Schwert verlieren. Ein weiteres wichtiger Faktor zum Risiko ist aber auch, dass wenn ich einen Speicherpunkte verwende um mich wieder aufzuladen, auch alle Gegner in der Region wiederbelebt werden. Also einen Speicherpunkt nutzen beinhaltet auch ein Risiko, beziehungsweise setzt manche Erfolge zurück.

In seinem Buch über Gewohnheiten und Gewohnheitsbildung erzählt James Clear, dass es bei bestimmten Fertigkeiten die wir erwerben wollen, Plateaus gibt. Plateaus sind ein erreichtes Niveau einer Fertigkeit, von der wir uns für den Moment nicht weiterentwickeln, allerdings auch der Weg dahin vorher nur so minimale Veränderungen in unseren Fertigkeiten zeigt, dass wir nicht merken, dass wir gerade besser werden. Sein - wie ich finde sehr gutes - Bild dafür ist ein Eiswürfel. Der sieht bei -4, -3, -2 und -1 Grad Celsius erstmal ziemlich gleich aus für uns, auch wenn sich eben etwas um ihn herum verändert. Erst ab 0 Grad fängt der Eiswürfel an sich auch optisch erkennbar zu verändern. Und dann, wenn er irgendwann geschmolzen ist, dann würde es noch einige Gradsteigerungen brauchen, bis sich das Wasser das nächste mal deutlich verändert.

Zusammen mit Jule Weber  darf aktuell Teil einer Produktion einer Oper sein, "L'amant anonyme" am Aalto Theater in Essen. Wir bringen uns mit Spoken Word ein und tragen Texte bei. Im Rahmen dieser Tätigkeit haben wir Spoken Word Stücke geschrieben, wofür es bestimmte Fertigkeiten braucht, werden wir Spoken Wort Stücke vortragen, wofür es bestimmte Fertigkeiten braucht und haben auch zusammen mit dem Orchester des Stücks, dem Dirigenten und Sänger*innen einen Part auf der Bühne. Wofür Jule und ich unterschiedliche Fertigkeiten vielleicht schon mitgebracht haben, aber auch eben Sachen in der Probe auch erlernen mussten und verstehen. Ich kann nicht für Jule sprechen, aber ich für meinen Teil habe mich damit in ein Risiko-Gebiet begeben, nämlich in Kunstformen mit denen ich mich nicht auskenne. Ich bin in die sogenannte Lernzone gegangen. Aber ich habe eben auch gemerkt, dass ich Speicherpunkte nutzen konnte.

Denn meine erreichten Fertigkeiten im Schreiben und Vortragen habe ich nicht mehr in Frage gestellt. Unterbewusst wusste ich, dass ich alles was es braucht um diese Skills zu nutzen immer da habe, so wie einen aktiven Speicherpunkt in meinen Videospielen. Als mir am Theater gesagt wurde, dass meine Texte angepasst und überarbeitet werden müssen, war vielleicht dieser "Versuch" gescheitert - ähnlich wie ein misslungener Durchgang in einem Videospiel - aber ich wusste genau an welchen Punkt ich zurück muss um neu anzusetzen. Ähnlich wie ich eben in einem Spiel verstehen kann wie bestimmte Fertigkeiten zusammen funktionieren und ich eine schwierige Stelle vielleicht anders lösen kann, mich anders fokussieren oder vorbereiten muss oder eben auch vielleicht den Abschnitt komplett umgehen und später machen muss.

Zu spüren wann mensch auf einem sicheren Plateau angekommen ist, dass ich vielleicht nicht ganz einfach, aber es gibt sie eben, die Momente, wo wir eine Sache, auch wenn wir ganz neu anfangen müssen, nicht mehr als anstrengend oder herausfordern empfinden. Eindrücke und Gefühle von Stolz können da ein ganz guter Hinweis sein, aber auch andere Momente der Freude, da diese oft mit Meisterschaft einherkommen. Und Meisterschaft ist hier in dem Sinne des Wortes gemeint, wie mensch eben ein Handwerk meistert. Ähnlich wie bei Elden Ring - oder anderen Videospielen - kann es sehr motivierend sein, mal etwas zu riskieren und es gibt Moment wo wir merken, dass wir jetzt ein wenig zu weit raus gegangen sind. Das Verhältnis von Risiko und Belohnung passen nicht mehr zueinander. Dann sollten wir uns schnell bewusst machen, wo und in welcher Form wir unseren bisherigen Erfolg jetzt speichern können.

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