Gastbeitrag: Die europäischen Meisterschaften im Poetry Slam

Im Januar fanden in Antwerpen die Europäischen Meisterschaften im Poetry Slam statt und eigentlich hatte ich sehr viel früher davon berichten wollen, und dann kam ganz viel Leben dazwischen, ihr kennt das.

Fakt ist: Viele Menschen wissen nicht einmal, dass es überhaupt Meisterschaften im Poetry Slam gibt, selbst einige regelmäßige Zuschauende kriegen das erst mit, wenn mal zufällig Landesmeisterschaften in ihrer Stadt sind. Tatsächlich gibt es Poetry Slam Meisterschaften auf Stadt- und Landes-, sowie auf internationaler Ebene. Im deutschsprachigen Raum sind die deutschsprachigen Meisterschaften die größten derartigen Veranstaltungen für Spoken Word. Wenn wir aber noch internationaler gehen, gibt es eben auch kontinentale Meisterschaften und sogar auch Weltmeisterschaften. Weiß nur niemand. Wissen selbst viele in der deutschsprachigen Szene nicht, weil selten jemand zu den internationalen Meisterschaften hinfährt und das dann wiederum irgendwie niemand mitkriegt. Das warum eigentlich diskutieren wir aber vielleicht besser an anderer Stelle.

Dass niemand von solchen Meisterschaften weiß, ist aber natürlich auch beim Publikum ein Problem. In Antwerpen ist vielleicht die Hälfte, höchstens zwei Drittel des großen Saals gefüllt und das obwohl auf der Bühne die besten Poet*innen Europas ihre Poesie performen. Im Vorfeld hatte es massiv an Werbung gefehlt, es gibt bisher keinen Instagramaccount für die europäischen Meisterschaften und online waren Infos nur beim Veranstaltungshaus zu finden, sonst gähnende Leere im Internet.

Trotz nicht gefülltem Saal geben die dreißig Poet*innen ihr Bestes, schließlich geht es um den Meister*innentitel – und um 10 Startplätze für die Weltmeisterschaft. Eröffnet wird der Abend nach einigen Stücken einer Jazzband vom Poetry Slam Weltmeister 2022, Xabiso Vili aus Südafrika. Dey spricht über die Nähe vom Schwarzsein zum Tod mit vielen Wassermetaphern, der Text fließt, erzählt von Verbindungen, Rassismus, Gott* und Ängsten. Hinter ihm wird sein Text in mehrsprachiger Übersetzung an die Wand gestrahlt. Tosender Applaus, insbesondere von den übrigen Auftretenden und begleitenden Slammaster*innen, gemeinsam bestimmen sie die Atmosphäre im Saal maßgeblich mit allein aufgrund ihrer Anzahl.

Danach folgen im 3-Minutentakt alle Poet*innen im Wettbewerb. Die Moderation begrüßt und verabschiedet sie, während eine Jazzband spielt, wodurch man teilweise die Namen der Auftretenden nicht versteht. Leider zeigt auch die Präsentation im Hintergrund nur den Text, nie den Namen des*der Auftretenden und das Land, für das angetreten wird. Dadurch geht auch die Chance verloren, den Künstler*innen beispielsweise auf Social Media zu folgen oder anderweitig im Blick zu behalten, was sie sonst so machen (z.B. Bücher schreiben usw.). Es fällt auch auf, dass die Übersetzungen teilweise nicht vollständig sind, manchmal gibt es neben dem Original Englisch, Spanisch, Französisch und Niederländisch, manchmal fehlt letzteres. Bei einer Meisterschaft, die in einer flämischsprachigen (flämisch = belgische Varietät des Niederländischen) Stadt stattfindet, wirkt das einigermaßen unprofessionell und unzugänglich für das anwesende Publikum. Eine Barriere, die definitiv nicht hätte da sein sollen, ebenso wie nichtlesbare Farben in der Präsentation.

Auf poetischer Ebene überzeugt der Abend jedoch vollends. Die Auftretenden sind Meister*innen ihres Fachs, viele haben schon die Meisterschaften ihrer Herkunftsländer gewonnen oder zumindest Vizetitel. Die Auftritte sind pointiert, tiefgehend, manchmal witzig, oft klug, immer wieder politisch, alle kann ich absolut ernstnehmen in ihrer Kunst. Fast alle performen auswendig, als ein Poet einen Texthänger hat, hilft das Publikum aus, weil der Text ja an die Wand projiziert dasteht, und schon geht es weiter.

Besonders bei mir hängen bleiben die Auftritte von Großbritannien und Spanien. Großbritannien, weil Poet*in Mithago Craze über deren chronische Krankheit und Behinderung, sowie Queerness spricht und das politische Nichtstun in einer Dringlichkeit poetisch macht, wie ich es selten erlebt habe. Spaniens Kandidatin Mama Fiera hingegen spricht über Zeit und nimmt dabei sprachlich alle in ihren Bann. Unendlich geschickt reiht sie Worte aneinander, die in ihrer Performance ein Uhrenticken entstehen lassen, sie spielt mit Geschwindigkeit und nutzt die lautsprachlichen Möglichkeiten des Spanischen bis ins Detail aus. Außerdem eindrücklich der Auftritt von Pawel Roginski aus Polen, der komplett überzieht, ein anderes Bühnenstück bringt, als an die Wand gebeamt wird und uns allen klar macht, dass wir auch mit Sprachbarriere einiges verstehen, wenn gut performt wird (es geht um Dinos! – glaube ich).

Auch die deutschsprachigen Auftritte sind mehr als solide. Lisa Pauline Wagner performt für Deutschland über Tabs im Kopf, zu viele offen, zu jeder Zeit, wir kennen es. Sara Andjelkovic aus Luxemburg spricht über Sprachen, über Serbisch, Deutsch, Lëtzebuergesch und über das dazwischen Zerrissensein und Identitätsstruggle. Emil Kaschkas (Österreich) Auftritt beendet den Wettbewerb mit mehreren kurzen, körperlich wie komödiantisch performten Workouts, was einen guten, lockeren Abschluss bildet für die drei Stunden, die wir bereits zuschauen (inkl. einer Pause, na gut).

Nun folgt die Abstimmung. Neben dem Jurypreis, der die*n neue*n europäische*n Meister*in bestimmen wird, gibt es auch einen Publikumspreis, für den alle online abstimmen können. Die Besprechung der Jury dauert ewig, die Jazzband spielt, es wird spät, alles dauert zu lang. Schließlich erfolgt die Verkündung. Den Publikumspreis hat Ungarn gewonnen, dessen Text mir nicht mal im Gedächtnis hängen geblieben ist.

Den Jurypreis vergeben sie wie beim ESC: alle Jurymitglieder – aus jedem der angereisten Länder eine Person – konnten bis zu 12 Punkte vergeben. Die meisten Zwölfen werden auch prompt an meine Favorit*innen aus Spanien und Großbritannien vergeben, offenbar aber genug niedrigere Noten an ein anderes Land, denn die beiden landen auf den Plätzen 2 und 3. Es gewinnt Joonas Veelmaa aus Estland mit seinem Piece darüber ein Poet zu sein. Ein lustiges, nettes Gedicht, ein Text und Auftritt inhaltlich sehr für die Szene – aus der auch die Jury bestand.

Insgesamt zeigt dieser Abend wie so viele Poetry Slam Abende, dass nicht immer das beste Gedicht oder die beste Performance gewinnt. Aber er zeigt auch, was eben zählt: Poesie bringt Menschen aus unterschiedlichen Orten zusammen, sorgt für Austausch, Unterhaltung, Kunstliebe. Jetzt, am Ende des Abends wird dem Publikum mitgeteilt, dass der Poet aus der Ukraine wegen eines verpassten Zugs von der Front mit dem Auto durch ganz Europa gefahren wurde um teilzunehmen. In den Tagen danach sammeln die anderen Auftretenden Geld, um diese Extrakosten zu finanzieren. Es ist, wie Philipp Meersman am Ende sagt: Poetry unites. Poesie bringt uns zusammen, sie verbindet uns. Und daran kann und will ich glauben, davon möchte ich selbst auch weiterhin ein Teil sein.

Wer sich die Auftritte ansehen möchte, kann das hier tun:




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Foto: Johannes Schembs
Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist und [sensitivity] reader*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2021 gewann dey den alemannischen Literaturpreis Alemannisch Läbt, 2022 den Gerhard-Jung-Wettbewerb, jeweils in der Sparte Prosa. Valo findet ihr am besten hier: https://www.queersensitivityreading.com/

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