Ab wann ist es Kunst?

Bei einem der Schreibtische der Weststadtstory spricht eine der Teilnehmenden es aus: "Das was ich mache ist ja gar keine Kunst." Und dann erklärt sie, dass wenn sie an Kunst denkt, sie an Theater und an große Hallen und an historische Relevanz denkt. Und ich merke aber auch, dass meine Haltung für New-Comer*innen überfordernd sein kann. Denn für mich war es absolut befreiend den Kunstbegriff für mich aufzubrechen. Und es ist ein Politikum, warum ich auch bei Leuten von Künstler*innen spreche, die das noch gar nicht lange und vielleicht auch noch gar nicht "gut" machen. Was auch immer "gut" dann bedeuten mag.

Ich sehe dieses Denken in meiner Vergangenheit auch. Jetzt falle ich noch manchmal darauf rein. Wir haben eine Definition, eine Wahrnehmung von Kunst, diese sie in Kategorien einteilt. Wenn Kinder etwas basteln, dann ist das keine Kunst, sondern Kreativität. Wenn Van Gogh etwas gemalt hat, dann war das Kunst. Wenn ein historisch berühmte Komponist etwas geschrieben und aufgeführt hat, dann war das Kunst. Wenn ich an meinem Piano etwas ausdenke, ist das vermutlich erstmal nur Geklimper.

Ähnlich wie in anderen Lebensbereichen, gibt es eben in der Kunst auch Macht. Und Machtkämpfe. Und Menschen die ein Interesse daran haben, dass es eine Oberschicht, einen empfundenen Standard für Qualität gibt. Und oft geht es dann da auch um kapitalistische Motive. Denn wer bestimmt was Kunst "wert" ist, hat eben auch die Chance sich daran zu bereichern. Und so gibt es Namen, Kunstformen und leider auch Geschlechter in der Kunst, denen mehr Skill, mehr Qualität, mehr Relevanz zu geschrieben wird. Sich des Begriffes zu ermächtigen, ihn in mehr Kontexten zu verwenden, bricht für einen Moment diese Macht auf.

Die Frage ab wann es Kunst ist, die kann mensch für sich selbst beantworten. Denn mit Sicherheit geht es bei dem Thema auch um eine Haltung. Und meine Haltung ist eben, dass es dann Kunst ist, wenn die Person die es macht, es sagt. Denn ja, viele Menschen schreiben viel jeden Tag. In Mails, in Chats, aber nicht alle von ihnen sind Autor*innen. Und wenn ich im Auto und unter der Dusche singe, dann bin ich vermutlich auch noch nicht Musiker. Aber irgendwo auf dem Weg davon etwas als Hobby zu machen dahin, etwas eben nicht mehr nur als Hobby zu machen, wechseln wir eben die Kategorie. Wir machen eine Transition durch und die sollten wir selbst definieren dürfen.

Eine Haltung die Beth Pickens beschrieben hat, dass sie in der Arbeit als Berater*in und Psychologin für Künstler*innen gemerkt hat, dass sie oft die als Künstler*innen beschreiben würde, die einen Leidensdruck empfinden, wenn sie sich nicht ausdrücken können in einer ihrer Formen. Wer etwas als Hobby macht, kann das oft auch mit anderen Aktivitäten ersetzen und ist zufrieden. Wer gerade keine Idee zum Malen hat und sich dann zum Sport begeben kann und das auch den "Easy Fix" bietet, hat eben nicht die Leidenschaft als Antrieb. Ein Wort, dass ich nur zu passend finde im Deutschen. Es ist eine Schaffen in Verbindung mit Leid. Und zwar, wenn wir unsere Sache nicht machen können.

Denn das Künstler*innen immer Menschen sind, die selbst leiden müssen, ist ein toxischer veralteter Gedanke. Der allerdings eben darauf basieren könnte, mit welcher Intensität und Überzeugung Künstler*innen um ihr Handwerk und ihre Kunst kreisen. Und wie nah sie eben mit ihrer Seele an dem Werk arbeiten. Denn ich kann meine Kreativität auch ausleben, ohne meine Seele auf zu machen. Und da ist eben die Entscheidung "Ich bin Künstler*in, ich mache Kunst" eine andere Qualität.

Meine politische Haltung den Begriff der Kunst von einem Oberschichtendenken zu lösen, den darf ich nicht zu hart auf Menschen werfen, die noch unsicherer mit sich und ihrem Schaffen sind. Die vielleicht auch selbst nicht wissen, was sie denn jetzt gerade von und mit ihrer Kreativität wollen. Was ihr Bedürfnis oder Erlebnis ist. Aber auch dann braucht es einen aufgebrochenen Kunstbegriff, denn wenn es an den Rändern eine leichtere Durchlässigkeit gibt, dann wird es leichter für Menschen sich dazu zu entscheiden. Besonders in Zeiten, wo politische Entscheidungsträger*innen die Künste aus den Schulen und dem Bildungsbetrieb bekommen wollen, weil diese ja keine wirtschaftliche Effektivität begünstigen würden. Was nur das klare Wissen ist, dass Kunst schon immer auch ein Mittel war die Mächte zu kritisieren und Inhalte für Menschen zugänglich zu machen, die diese nicht bekommen würden sonst.

Ab wann ist es Kunst? Wenn du es sagst. So bald du so weit bist. So bald du dich dafür entscheidest. Ab dann ist es Kunst.

Kommentare

  1. Das K-Wort! Mittlerweile kann ich KUNST sogar sagen, ohne dass mir dabei die Nackenhaare hochgehen und mir schlecht wird. Auch u.a. Dank Beth und dir. Wilde Entwicklung auf jeden Fall.

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  2. Anonym4.4.24

    Sehr schön und gut. Danke dafür 🙏🙂

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