Julia Engelmann

Foto: Sven-Sebastian Sajak

Es ist ein komischer Zeitpunkt über Poetry Slam und Julia Engelmann zu schreiben. Der Hype um die Künstler*in ist vorbei, ihr eines so super häufig geklicktes (14 Millionen mal) Video auf Youtube ist in der Normalität des Wetterwechsels der Internettrends wieder verschwunden. Sicher haben es einige in ihren Playlisten gespeichert und erinnern sich gerne, aber jetzt gerade gibt es eigentlich keinen unfassbar guten Grund um über sie zu schreiben, wenn auch sie vor kurzem erst ein einem der dritten Programme des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk durch ein Talkshow-Format aufgetaucht ist.

Die Tatsache, dass wir aber nicht mehr über Julia Engelmann sprechen, ist ein guter Anlass über sie und das Phänomem zu sprechen, dass das aufgetaucht war. Denn innerhalb der deutschsprachigen Szene gab es zumindest mal den "Fachbegriff" des Julia-Engelmann-Effektes. Was war da los? Was ist die Verbindung? Worum geht es da?

Die Geschichte:
Julia Engelmann tritt 2013 bei Hörsaalslam in Bielefeld an. Da die Universität Videoproduktion für den Lehrsender NRWision macht, entsteht ein recht hochwertiges Video von dem Auftritt, welches auch auf Youtube hochgeladen wird. Und dann passiert einen Moment lang eigentlich erstmal nichts. Denn Julia Engelmann, die zu der Zeit auch schon als Schauspielerin in Fernsehproduktionen bekannt hätte sein können, fällt an dem Abend in dem Format Poetry Slam erstmal gar nicht so sehr auf. Ungesicherten Überlieferungen nach "verliert" sie im Wettbewerb mit ihrem Text gegen eine Comedy-Nummer. Spannend wird es etwas später im selben Jahr, als der Blogger Kai Thrun ihr Video in den Umlauf bringt. Denn auf den Social Media Plattformen und eben auf Youtube schießen dann durch eine Kettenreaktion die Views nach oben. Das Internet macht dann Internet-Dinge, Julias Text steht im Fokus eines Hypes. Und am Ende dieses Hypes steht eine anderer spannender Fakt. Während Julia selbst nämlich gar nicht mal und mehr so viel auf Poetry Slams gegangen ist, sind es dann viele Zuschauende. Das Format ist dank Julia in den Fokus gerückt, wenn auch sie selbst innerhalb der Szene höchstens anfangs nur regional im Fokus war. Der Erfolgs holt sie sehr schnell ein, sie kann und darf von ihrer Kunst leben und entwächst aber damit direkt und sehr schnell vielen Slambühnen. Ironisch, bleibt sie damit mit einer Anzahl von Auftritten, bei der sie heutzutage manche Anfänger*in innerhalb eines halben Jahres überholt hat.

Warum ist das erzählenswert? Da gibt es viele Ebenen. Da könnte mensch darüber sprechen, wie natürlich Neid in der Szene aufgekommen ist, weil eine "Aussenseiterin" jetzt das Gesicht unseres Formates geworden ist. Sie sehr schnell sehr plötzlich (auch wirtschaftlichen) Erfolg haben durfte, für den andere seit Jahren gearbeitet haben und ihn nicht so erreicht haben. Da war Neid darüber, dass unser "People's Champion" es nicht ein mal zu einem Champion der Szene geschafft hat. Kaum jemand hat Julia Engelmann mal auf einem Slam getroffen, dafür waren die Auftritte zu wenig. Es ist nicht unwahr zu sagen, dass sie vielleicht eine Aussenseiterin war und geblieben ist. Durch ihren Erfolg wurde jeder ihrer Schritte und jeder ihrer Texte dann in Folge übergenau und überkritisch von einigen gesehen.

Es ist aber auch erzählenswert, weil Julia Engelmann nicht nur Publikum, sondern auch eine ganze Lawine neuer junger Slammer*innen in die Szene gespült hat. Menschen die von Julias Text berührt waren und verstanden haben, dass Poetry Slam ein Format ist, wo eben über Gefühle, Erleben und Wünsche gesprochen werden kann. Und ja, diese Lawine hat sich anfangs auch doll wie Julias Texte angehört, aber erfreulich viele davon, wenn sie geblieben sind, haben einen eigenen Stil entwickelt und sind vorwärts gegangen, wie es Julia selbst ja nun mal auch getan hat. Ein Aufleben einer U20-Szene im deutschsprachigen Raum, die auffällig mit nichtmännlichen Poet*innen geflutet wurde - vielleicht weil sie eben eine junge Frau mit Erfolg auf der Bühne gesehen haben, ist also vielleicht auch Julias Auswirkung zu verdanken.

Ich empfinde es erzählenswert, weil ich manchmal glaube, dass wir als Szene daraus nicht gut gelernt haben. Ja, der Erfolg von Julia Engelmann war vielleicht synthetisch. Er ist an einem anderen Ort entstanden, als ihre Performance und vielleicht hat sie davon profitiert, dass eben auch Unternehmen für die sie schon gearbeitet hat sie gepusht haben. Echt ist ihr Erfolg trotz alledem. Und wenn auch sie nicht das "Workhorse" der Poetry Slam Szene geworden ist, so trägt sie den Titel immer noch. In Talkshows steht in ihrer Bildunterschrift immer "Poetry Slammerin". Auch wenn sie nicht mehr in der Szene hängt, nicht auf den Events ist, Julia zeigt noch auf uns, während wir nur wirklich selten auf sie zeigen. Und noch seltener dankbar sind. Und ja, da können wir uns herrlich darüber streiten, ob wir ihre Texte repräsentativ oder gar gut finden und werden uns nicht einig werden. Oder wir werden uns sehr schnell einig, müssen aber zugeben, dass es keine Rolle spielt wie wir den Text oder die Texte finden. Ausverkaufte Shows, mehrere Millionen Klicks, da draußen hat eine Menge entschieden, dass ihnen der Text gefällt. Egal wie wir es finden.

Und es könnte besser sein, wenn wir zumindest Julias Wirkung gut finden. Denn Stars hat die Szene tatsächlich auch andere produziert und ja, wir feiern sie gerne nach Innen, aber selten sind wir gut darin, dass wir sie auch nach Außen feiern. Stolz auf sie sind. Ihnen ihre Erfolge gönnen. Und so schaffen wir es organisch nicht, Stars zu produzieren. Weil unsere großen Abgänge eher ungern auf uns zeigen und einige auch sich auch gar nicht so gerne an uns zurück denken. Klar, das haben wir ja auch vorgelebt: Wirst du zu groß für uns, dann reden wir schlecht über dich und werden giftig neidisch. Das war wohl kein guter Stil von uns. Also ist jetzt ein guter Zeitpunkt über Julia und uns zu sprechen und was dazu zu lernen. Nämlich das uns der Stolz auf große Talente der Szene nicht selbst kleiner macht und schon gar nicht Leute übersteigert. Sondern es erhöht die Chance, das Menschen verstehen, dass es sich lohnt seine Kunstform zu lieben. Denn auch deine Lieblingsband hat Lieblingsbands, dein*e Lieblingssportler*in hat Lieblingssportler*innen und auch Julia Engelmann wird Lyriker*innen und Spoken Word Artist haben, die sie am liebsten mag. Das schafft Verbundenheit und Gemeinschaft.

Ich glaube nicht, dass du das lesen wirst, Julia, aber ich bin als Mitglied der Poetry Slam Szene im deutschsprachigen Raum dankbar für das, was du da machst und das du weiter auf uns zeigst. Jede Person die wegen dir mit Slam anfängt, ist ein Erfolg für unsere ganze Szene und ein Beweis dafür, dass wir mit der Liebe zur Bühnenliteratur richtig liegen. Ich hoffe, dass wir irgendwann auch wieder zurück in den Mainstream der Kulturszene dürfen. Da hattest du uns mit hingenommen und wir waren so mit nach unten treten beschäftigt, dass wir uns dann nach unten getreten haben. Wenn wir dann wieder da sind, dann hoffe ich, dass einer deiner Fans der erste neue große Star wird. Und wenn das dann der Fall ist, dann werden wir froh sein, dass wir Legacy erschaffen aus dem was wir bekommen. Eine Geschichte des Slams, der du an ganz prominenter Stelle angehörst. Egal ob du in unserem "falschen" Wettbewerb gewonnen hast, oder nur den echten, den um die Köpfe und Herzen der Zuhörenden.

Danke und weiterhin viel Erfolg.

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