Buchempfehlung: Mareice Kaiser - Wie Viel

Ich hasse Geld. Das sage ich. Und es steht in diesem Buch. Und das war ein sehr befreiender Moment. Über Geld wird wenig gesprochen oder nicht auf die Art, wie wir es vielleicht sollten. Und weil ich eben auch fast nie darüber rede, es voller Tabus und Scham als Thema steckt, konnte ich es zu selten in der Klarheit sagen, aber vorallem habe ich es fast nie von anderen Menschen gehört. Jetzt steht es da in Tinte in einem Buch vor mir:
Ich hasse Geld.

Und nicht nur in diesem Punkt hat das Buch von Mareice Kaiser viel in mir losgetreten. Denn egal ob im "regulären" Berufsleben, Leben oder auch als selbstständige Person, schlimmer noch, Künstler*in: Irgendwann muss mensch immer über Geld nachdenken, über Geld reden und sich fragen, wieviel denn jetzt eigentlich fair, gerecht, angemessen, ausreichend, zu wenig, gefährlich wäre. Aber wir reden nicht drüber. Und auch darüber schreibt Mareice Kaiser. Warum wir nicht drüber reden.

Kurz mag ich schreiben, dieses Buch wäre eine Bedienungsanleitung für Geld, aber dann klingt es mir zu sehr nach einer tollen Sammlung von Tipps, wie mensch seine Finanzen zusammen bekommt. Es ist aber keine Bedienungsanleitung. Aber vielleicht ist es ein Trouble-Shooting. Eine Sammlung von all dem, was wir an Geld schwierig und fragwürdig finden. Und ein paar Hinweise darauf, was wir noch zusätzlich alles fragwürdig finden sollten. Dabei macht es etwas, was der Politiker Gregor Gisy mal vor einiger Zeit in einer Bundespressekonferenz gefordert hat: Es hört auf, nach unten zu treten, sondern schaut nach oben. Denn die kritische Beschäftigung mit dem Geld zeigt oft auf die, die zu wenig davon haben oder glauben zu wenig zu haben und sagt ihnen, dass sie mehr anhäufen sollten. Dieses Buch zeigt auf bauliche Mängel im System. Dieses Buch stellt heraus, dass es egal ist was wir aktuell in die Waagschalen legen, weil die Waage nicht mehr sozialgerecht geeicht ist.

Ich empfehle dieses Buch allen Menschen. Denn mir fällt niemand ein, der nicht von Geld betroffen ist und auch ehrlich gesagt niemanden, der nicht auch durch Geld Nachteile erfährt. Ja, in dem Buch geht es sogar um Menschen mit Reichtum, die dadurch Nachteile erfahren und empfinden, weil sie reich sind. Denn Mareice Kaiser hat nicht nur Fakten uns Wissenwertes aus Denkrichtungen und Forschungen zu Geld recherchiert und kluf zusammengestellt, sondern auch Treffen und Interviews mit Menschen unterschiedlicher Lebensrealitäten geführt. Diese Interviews schaffen eine Empathie mit verschiedenen Lebensenwürfen und öffnen für die Überlegung, dass Geld wirklich allen eine Eisenstange in die Radspeichen wirft. (Will sagen: Geld macht, dass wir uns aufs Maul legen)

Ja, das hier ist keine richtige und keine richtig gute Rezension. Weil mich dieses Buch persönlich macht und persönlich betrifft. Selten lese oder höre ich die Perspektive einer Person aus der Arbeiter*innen-Schicht oder mit so einer Sozialisation. Selten schafft es jemand von uns so weit ein Buch schreiben und veröffentlichen zu können und oft hat es etwas mit Glück zu tun. Und ja, leider war es befreiend zu lesen, dass auch andere kreative Köpfe mit gepfändeten Konten zu kämpfen hatten. Auch wenn ich schon vorher wusste, dass es eine Realität in Deutschland ist, dass das Menschen passiert. Es war befreiend für mich, als jemand der im letzten Jahr auch mit seiner Geschichte über gesperrte Konten auf Slam-Bühnen stand, mit zu bekommen, dass auch andere anfangen über Geld und all das Gift damit zu sprechen. Und es war wirklich befreiend, denn ich weiß nicht ob ich mich ohne dieses Buch wieder getraut hätte, selbst mit manchen meiner Freunde über Geld zu sprechen. Über finanzielle Realitäten. Über Schmerzen daran.

Was diese Empfehlung hier also ist, ist zum einen, dass ich allen Menschen die Schmerzen rund um Geld haben empfehle dieses Buch zu lesen. Eric Liu sagt in seiner Citizen University, dass wir einer "Literarität der Macht" brauchen als Bürger*innen, damit wir diese Macht auch wieder umverteilen können, um selbstwirksam an Gesellschaft beteiligt zu sein. Heißt einfacher gesagt: Wir müssen alle dringend Macht verstehen, um sie denen zu nehmen, die sie missbrauchen. Daran hat Mareice Kaisers Buch einen Anteil. Es schafft Verständnis für Geld. Und es erlaubt damit jedem und jeder, kritisch die Menschen zu hinterfragen, die es verteilen und als Machtmittel einsetzen.

Zum anderen ist diese Empfehlung auch ein großer Dank an Mareice Kaiser, welche mit ihrer Art zu erzählen und zu schreiben auf verschiedenen Ebenen geöffnet hat. Am Ende dieses Buches habe ich mir gewünscht, dass es einen Podcast gäbe, der dieses Buch fortsetzt. Dass ich mehr Ansichten, mehr Erfahrungsberichte, mehr Repräsentation von benachteiligten Gruppen gewünscht hätte. Nicht, weil mich das Buch da unzufrieden hinterlassen hat, sondern weil mehr verschieden Medien zu einem Thema auch bedeuten, dass es mehr Menschen gibt die erreicht werden. Und gerade im Bereich Geld braucht es ein Gegengewicht zu all diesen beschissenen Finanzberater*innen, die einem glauben machen wollen, dass alle es zum Ferrari vor der eigenen Haustür schaffen können. Ich möchte da mehr Geschichten von denen erzählt werden, die sich kaum das Spielzeugauto eines Ferraris für ihr Kind leisten können. Nicht, weil ich die Tränendrüse gedrückt sehen möchte, sondern weil diese Geschichten relevant für unser Leben sind und für die Realität, wie wir in Zukunft leben wollen. Und dafür brauchen wir, dass die Geschichte des Geldes weiter erzählt werden. Und eben nicht nur von denen, die es haben.
 

Kommentare

  1. Anonym16.9.23

    Danke für die Rezension, kommt auf die Leseliste.

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  2. Anonym16.9.23

    Uff... Klingt, wie ein Buch, das ich dringend lesen sollte, auch wenn alles in mir nicht möchte, dass das so ist.

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    1. Darum geht es in dem Buch auch. So wie ich es verstehe, hätte Mareice es am liebsten auch nicht schreiben müssen.

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