EY, Valo Christiansen
"Ey!" ist eine Kurzinterview-Reihe auf diesem Blog. Drei Fragen, so als
wäre mensch kurz auf der Straße spontan angequatscht worden. Alle
Beiträge findest du hier.
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was brauchen Queers in der Kunst?
Bewusstsein, Ernstgenommenwerden, Förderung, (safe) Spaces zum Arbeiten, Ausstellen, Veröffentlichen, Vorstellen, Vortragen, Vorspielen - zum Sein und Bleiben dürfen, zum Weiterziehen, zum Wiederkommen können. Das gilt, wenn auch teils in anderen Dimensionen, natürlich auch für alle anderen Marginalisierungen, auch und besonders, weil ja es auch immer Überschneidungen gibt - queere BIPoC, queere Menschen mit Behinderung, queere arme Menschen usw. (und dabei natürlich auch wieder Überschneidungen).
Welche Rolle spielt Gender für Kunst?
Eine größere als mir lieb ist. Aber das gilt fürs gesamte Leben, ich fänds richtig gut, wenn Geschlecht einfach komplett egal wäre. Ist es aber nicht. Als müssen wir damit umgehen, dass (cis) Männer besser bezahlt werden als alle anderen, dass ihnen eher zugehört wird, dass sie ernster genommen werden, in dem, was sie sagen, schreiben, singen, malen, etc. Wir müssen immer wieder sichtbar sein, ganz eindeutig erkennbar als die, die wir sind, wir müssen unbequem sein, büßen damit vielleicht Sichtbarkeit ein, die wir uns neu erkämpfen müssen, an vielen Stellen passen wir uns aber vielleicht auch an, versuchen nicht so sehr aufzufallen, um kurz durchatmen zu können, weil Sichtbarkeit, Unbequemsein krass anstrengend sein können.
Gleichzeitig: Sichtbarkeit kann andere empowern. Wenn wir jemanden wie uns sehen, die*r Kunst macht und wir uns das selbst vielleicht nie zugestanden haben oder nur ganz leise versteckt im eigenen Zimmer, dann kommt vielleicht das Bedürfnis auf, selbst auch auszubrechen, sichtbar zu sein, vielleicht auch selbst unbequem zu sein und für bessere Verhältnisse einzustehen mit der Kunst. Je mehr sichtbar sind, umso weniger können wir übersehen werden. Und der Mensch übersieht leider ja gerne. Auch das gilt wieder nicht nur für Menschen marginalisierter Geschlechter, s.o. :)
Wenn wir uns auf die Kunst in der Frage rückbesinnen: Ich liebe, dass in Kunst all die Liebe, all die Struggles, all die Schönheiten und Dunkelheiten sichtbar gemacht werden können. Über Kunst können wir eben auch ins Gespräch kommen. Mit uns selbst, mit anderen unseres oder anderer marginalisierter Geschlechter, mit allen insgesamt. Und ich glaube der Dialog kann viel heilen und zu Veränderungen führen. Wenn denn zugehört wird. Womit wir wieder am Anfang der Antwort angekommen sind.
Was ist Sensitivity Reading?
Sensitivity Reading (SR) ist eine besondere Form des Lektorats. Dabei werden Texte diskriminierungssensibel überarbeitet - und zwar von Menschen, die im Regelfall selbst von der Marginalisierung betroffen sind, um die es geht, und die sich eine große Expertise über den aktuellen Diskurs angeeignet haben und sich stetig weiterbilden. Viele sind selbst auch Autor*innen, arbeiten im Lektorat und der Übersetzung - ohne ein gutes Gefühl für Sprache und Text könnte man den Job nämlich auch nicht machen. SR wird im Entstehungsprozess eines Werks von Autor*innen selbst, von Verlagen und anderen Medienhäusern immer häufiger hinzugezogen, damit die Inhalte sensibel und möglichst diskriminierungsfrei sind. Dabei kann es um die Darstellung marginalisierter Personen gehen wie BIPoC, Queerness, Behinderungen und/oder (chronische) Krankheiten, Religion, Armut, Dick_Fettsein, aber auch allgemeiner um sensible Sprache, die niemanden konkret benennt, aber auch niemanden ausschließt.
Derzeit ist das leider noch ein Thema, dem sich eher die Medien widmen (und was von manchen auch als unnötig zerrissen wird, aber das ist noch mal ein anderes Thema). Ich glaube, dass fast alle, die irgendwelche Dienste anbieten, SR und entsprechende Workshops und Fortbildungen bitter nötig hätten, z.B. ärztliche Praxen, Schulen, KiTas, Unis, Frisörsalons, Tattoostudios, Firmen und Institutionen insgesamt. Aber ich hoffe, dass das kommt. Und wenn ihr persönlich da wen braucht, empfehle ich gerne https://sensitivity-reading.de/, wo ihr für alle möglichen Themen geschulte Sensitivity Reader*innen findet (u.a. mich :)
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Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist und [sensitivity] reader*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2021 gewann dey den alemannischen Literaturpreis Alemannisch Läbt, 2022 den Gerhard-Jung-Wettbewerb, jeweils in der Sparte Prosa.
Super spannend. Und schön, dass Valo hier den Platz bekommen hat, um dafür Sichtbarkeit zu schaffen. Ich liebs.
AntwortenLöschenIch versuche gerne spannenden Menschen Platz zu geben, wenn es also Vorschläge für Gäste gibt, bin ich da froh drum.
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