Nachtgedanken

Die Geschichten haben mal lockerer auf der Zunge und in den Fingern gelegen. Es war noch für ein Privileg zu halten, dass wir überhaupt etwas erzählen durften. Denn wir waren noch jung genug, dass wir jederzeit von den Erwachsenen unterbrochen werden sollten und korrigiert werden, in eine Weltansicht die für uns nich zuständig war. Oder uns wurde ein Wissen als selbstverständlich hingelegt, welches wir noch gar nicht haben konnten, weil wir dafür noch nicht lang genug auf der Welt waren. Jetzt sind wir selbst Erwachsen.

Dieses vollkommen überfrachtete Wort, das sich wie das deutschsprachige Synonym zur amerikanischen Unabhängigkeiterklärung anfühlt. Erwachsenheit ist, wenn du weißt wie eine Steuererklärung geht und trotzdem glücklich bist. Das ist wenn du ganz genau weißt welchen der Bereiche für deine gute Lebensqualität du vernachlässigst, weil du zu viel arbeiten musst. Und es ist wenn du entscheiden musst, ob du dann jetzt auch die Jugendlichen unterbrichst, als Rache dafür, dass du als Jugendlicher unterbrochen wurdest. Oder ob du dich anders entscheidest, aber dann merkst, dass du nie gelernt hast, wie du zwischen verschiedenartigen Gruppen eine Augenhöhe fürs Gespräch herstellen kannst.

Du redest ja nicht mal mit dir selbst. Denn selbst da gibt es immer jemanden der verliert (du) und jemanden der gewinnen will (du), aber gar nicht gewinnen kann, weil wer eben gegen sich selbst im Tau ziehen antritt, liegt vorallem am Ende einfach nur auf dem Boden und hat sich erfolgreich zu Fall gebracht. Und während wir dann zu dem Schluss kommen, dass wir das Problem sind, lassen wir das Seil nicht los. Was, wenn wir doch noch gewinnen könnten?

Es war richtig erfrischend, wie egal einige von den Geschichten waren. Unterbewusst war uns klar, wie schlecht unser Gedächtnis ist. Also wollten wir die Worte noch aussprechen, bevor die Erfahrung des Momentes sich schon in irgendeine Schublade im Kopf einsortiert hat und dann im Sumpf vermengt zu einem Pool aus dem wir das bisschen Identität schöpften, das wir glaubten zu tragen wir bereit wären.

Früher wollte ich schlauer sein. Jetzt bin ich schlauer und wäre manchmal wieder gerne früher. Vorallem bin ich aber jetzt. In diesem Moment. Und da ist schlau sein oft gar nicht mal so wichtig und früher auch nicht mehr. Denn das ist vorbei. Die Geschichten sitzen vielleicht nicht mehr so locker, aber vielleicht ist es auch besser, sie mit Sorgfalt statt mit Unsicherheit zu erzählen. Denn ich will nicht mehr erzählen um meinen Kern zu finden. Ich will meinen Kern erzählen. Nicht sicher aussehen, um meine Unsicherheiten zu überdecken, sondern mit absoluter Sicherheit sagen können, dass ich ein unsicherer Mensch bin. Und das ich froh bin, mir das erarbeitet zu haben. Jeder Zweifel bedeutet, dass ich beim Blick auf einen Weg im Stande bin mehrere Abzweigungen zu sehen, wo ich sonst vielleicht einfach nur gerade aus gelaufen wäre und so vielleicht verpasst hätte, wo ich überall hätte sein können.

Naja. Irgendwie so. Irgendwelche Nachtgedanken, ein kreativer Schreibversuch an einem Abend, wo alle Bedürfnisse mit verdeckter Hand ausgespielt werden. Mittwoch Abend, 22:21, vorm Fenster und in mir regnet es sanft.

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