Ein halber Meter Abstand

Und als ich mit dem Körper gegen die mit Teppich verkleidete Wand vor den Fahrstühlen geschlagen werde, verlässt mein Gefühl durch den Rücken für einen Moment mich und ich spüre diesen halben Meter Abstand, den meine Wahrnehmung und mein Form zu einander haben.

Es ist ein Urlaub in Griechenland und wir sind in dem kleinen Raum zwischen dem Hauptgebäude des Hotels und dem Ausgang zu den Poolanlagen. In einer Zeit wo Spielautomaten noch ein Ding waren, stehen hier mit Bubble Bobble und Final Fight zwei Klassiker, die witzigerweise zu der Zeit möglicherweise auch schon veraltet waren, aber in diesem Raum mit Air Hockey und anderen tollen Neonlichtern, war halt eh eine eigene Zeitzone und die Regeln irgendwie anders. Denn ich weiß nicht mehr wie das Gespräch vorher war, aber ich weiß noch sicher, dass ich mich damit einverstanden erklärt habe mit Schwung an den Armen gehalten gegen die Wand gehämmert zu werden.

Es ist mir ein absolutes Rätsel, weshalb ich mich so gut daran erinnere, aber ich kann sagen, dass ich andere Momente habe, die sich auch heute noch vergleichbar anfühlen. Allerdings weniger mit freudiger kindlicher Neugierde verbunden, sondern ein Verlust des Gefühls über mich selbst und meinen Körper, die ich manchmal bedenklich finde. Und leider eines, wo ich manchmal den Eindruck habe, dass da auch nur intensive Körperlichkeit mich in mich zurück versetzen kann.

Wenn es jetzt passiert, ist es nicht eine andere große Person die mich gegen die Wand feuert, sondern intensive Emotionalität anderer Menschen mit der ich mich verbinden soll. Manchmal wird mir bescheinigt, dass ich "kalt" wäre, weil ich auf starke Emotionen nicht mit starken Emotionen reagiere. Ich persönlich erlebe mich nicht als kalt. Ich fühle intensiv und viel und häufig, wenn ich die Räume dazu bekomme. Ich weiß nicht ob es an der Verkabelung in meinem Kopf liegt und/oder an dem Erlernen von Marshall Rosenbergs "Gewaltfreier Kommunikation", aber ich habe angefangen empathisches Zuhören, Mitleid und das Spiegeln von Gefühlen voneinander zu trennen. Und wenn dann jemand in meiner Nähe stark fühlt, stelle ich mich auf Zuhören und Hilfeleistungen ein. Auch ein Versuch die eigenen Grenzen zu halten.

Dieses Jahr ging viel Arbeit in mich selbst. Wichtige Arbeit. Lernen, Lesen, Meditieren, Therapie. Ein neues Kallibrieren um einen Umgang zu finden mit Gefühlen, die in mir selbst sehr groß sind und wie ein Tsunami immer mal wieder drohen mich in Dunkelheiten zu werfen. Wenn von mir das Spiegeln von Emotionen erwartet wird und ich mir vorstelle meine Ventile zu öffnen, dann liegt dahinter eine Energie, die ich nicht auf die der anderen Person werfen will. Nicht überschreiben, nicht den Raum stehlen, nicht die Person mit voller Wucht gegen die Wand werfen, wenn sie das selbst gar nicht will. Damit nicht einverstanden ist. Und wenn das dann passiert, dann spüre ich irgendwann den Abstand zwischen meinem Körper und dem, was ich hier jetzt mal meine Seele nenne.

Niemand hat einen Anspruch auf meine Gefühle, außer mir selbst. Und das gilt nicht nur für mich, sondern für alle Menschen. Gefühle teilen kann wichtig sein, Gefühle fühlen ist auf jeden fall wichtig um sich zu überleben, Gefühle haben ist nicht immer möglich, denn manchmal ist nicht der richtige Zeitpunkt, der richtige Raum, die richtige Fläche. Ich sehe trotzdem, dass es Menschen wichtig sein kann, zu erfahren was andere fühlen, wenn mensch gemeinsam in Situationen ist. Ich habe gelernt - Danke Rosenberg und Thomas Gordon - meine Bedürfnisse und Gefühle in Worte zu fassen. Oder auch zu benennen, wenn ich das gerade nicht kann. Denn diese Emotionen tragen für andere Menschen wichtige Informationen. Trotzdem sehe ich in meinem Kopf Scott McLoud auftauchen und den Comicframe aus seinem Buch "Comics richtig lesen", in dem er erklärt, dass wir nie erklären können wie unser Gefühl ist, weil wir es fühlen und dann in Worte übersetzen, die unser gegenüber immer anders, weil individuell zurückübersetzt.

Was will ich sagen?
Leben hat seltsame rote Fäden und Final Fight ist ein tolles Videospiel, dass aus anderen Gründen eine Rolle in meinem Leben spielt. Aber das ist für einen anderen Tag. Wenn mein Körper und meine Seele näher beeinander sind.

Kommentare

  1. Anonym19.12.23

    Danke für das Mitnehmen durch deine Gedanken. Das hilft mir grade sehr an ein paar Stellen, darüber nachzudenken und es einordnen zu können. Ehrlich gesagt finde ich, dass gar nicht unbedingt nötig ist, mit Gefühl zu reagieren, um zwischenmenschlich Sicherheit herzustellen. Oft geht das einfach nicht, aber dann sind die Gründe (für mich) relevant, um es nicht als "Kälte" wahrzunehmen.

    Ich kann deinen Beitrag inhaltlich komplett nachvollziehen, weil es plausibel ist. Und ich wünsche mir oft Austausch zu genau solchen
    Hintergründen, weil es (alternativ zu geteilten Gefühlen) trotzdem Verbindung aufrecht erhält oder stärken kann. Wenn beides nicht da ist, ist es schwer für mich, Verbindung wahrzunehmen. Aber es gibt eben verschiedene Möglichkeiten, die wiederherzustellen, ohne Ansprüche auf etwas zu erheben, das mir weder zusteht, noch gegeben werden kann/möchte. Daher nochmal... Danke für die Perspektive dazu.

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    1. Ich weiß nicht, ob das schon ein Hintergrund ist der viel über mich erklärt oder erstmal einfach nur eine Erzählung. Das sollte gar nicht viel schaffen, außer dass ich es teilen wollte.

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