Selbstfindung im Spiegelkabinett

Fernanda Brandao, bei der ich recherchieren müsste weshalb sie bekannt und berühmt ist, sagt im Kölner Treff, dass wenn mensch ein Kind hat, das Ego stirbt, weil mensch nie wieder alleine ist. Und wenn auch ich noch kein ganzes Jahr Teil der Elternerfahrung bin, kann ich schon anteilig nachspüren, was da gesagt wird. Ein Kind, vorallem eines, dass noch nicht die selben Möglichkeiten wie ein Erwachsener hat, hält einem gut einen Spiegel vor. Wie oft ich schon mit dem kleinen Menschen über etwas gesprochen habe, was ich gemacht habe und für das kleine Wesen keine Bedeutung hat oder (noch) nicht zu verstehen ist. Kinder teilen ungebremst und zwangsläufig mit, dass sie Bedürfnisse haben, ohne die eindeutige Chance zu benennen, welches es ist. Das zieht dich weit aus dir selbst raus und von deinen Bedrüfnissen weg, die du als Erwachsener ja auch ein bisschen besser und leichter verschieben kannst.
Mir liegt trotzdem der Wunsch auf den Lippen Fernanda Brandao zu fragen und mit ihr zu besprechen, ob sie wirklich das "Ego" meinte oder das "Selbst", welches wegfällt. Denn während das Ego dieses Teil in uns ist, der uns schützen und heile durch den Tag bringen will, ist das Selbst die lenkende Wahrnehmung des jetzigen Moments. Durchs Kind "gestört" werden kann Beides. Durch das Kind gespiegelt wird beides.

Natürlich spiegeln wir uns aber nicht nur an unserem Kind, sondern an allen Menschen. Ein Spiegel, der zeigt uns ja etwas, was wir sonst nicht sehen können. Das liegt daran, dass unsere Sinne so im Körper verankert sind, dass wir uns selbst nicht vollständig und vom Gefühl her eigentlich eh nicht von Außen wahrnehmen können. Es gibt durchaus Möglichkeiten, zum Beispiel durch Gebrauch psychosomatischer Substanzen, es kann auch bei manchen psychischen Erkrankungen und anderen Erscheinungen auftreten, dass wir uns von Außen glauben wahrzunehmen, aber einen Anspruch auch Vollständigkeit kann das nie haben. Es ist fast schon witzig, dass wir davon sprechen, dass jemand "ganz auf einem Foto" ist, wobei natürlich trotzdem nur eine ausgewählte Seite zu sehen ist.

Was sich im Alltag spiegelt, ist natürlich unsere Identität. Wir treffen Aussagen, oder nicht, handeln, oder nicht, halten uns an Orten auf, an anderen nicht und reagieren auf unsere Umwelt. Dabei sind diese abstrakten Dinge aber kaum wie an einem physikalischen Spiegel so zurück zu werfen, dass sie identisch sind. Aufgrund unserer eigenen Filter, die wir im Laufe unseres Lebens erwerben, ausbilden, mit Wissen verändern, die auf Launen reagieren, geht alles auf eine gefärbte Art in unser System rein und auf eine andere gefärbte Art wieder raus. Selbst wenn wir eine hohe Neutralität und Objektivität bemühen, ist das ja auch schon wieder eine Entscheidung und ein Filter.

Wenn wir jetzt noch solche Oberflächen wie die sozialen Medien hinzunehmen, die mit ihren Filterblasen und begrenzten Bild- und Moment-Auschnitten nochmal ein weiteres mal eine Spiegelfläche oder Projektionsfläche bieten, dann wird es sehr unübersichtlich. Und in dieser Menge an Oberflächen sollen wir und wollen wir jetzt uns selbst finden.

Selbstfindung ist ja einer dieser Begriff geworden, denn junge deutsche Intellektuelle gerne bekämpfen, weil sie darin eine seltsame Strömung von Esotherik und auch teilweis Abzocke sehen. Während ich ihnen da nicht voll widersprechen möchte, weil es sicher problematisches Marketing für Tools und Methoden der Selbstfindung gibt, ist doch psychologisch ganz schön dolle nachweislich wichtig, dass wir eine Idee davon brauchen, wer wir selbst sind. Was Bausteine unserer Identität sind. Was wir gerne festhalten wollen und was an uns wir als veränderbar sehen. Das ist wichtig, weil es wiederum Basis unseres Handels ist und wenn wir uns damit nicht beschäftigen, wird unser Selbst, also die Wahrnehmung in der Gegenwart sehr schwach. Wir verlieren die Möglichkeit bewusst zu handeln und werden zu einem Spielball unserer inneren und teilweise uns geheimen Systeme, wir reagieren noch noch, aber können kaum mehr mit Intention handeln.

Uff. Ganz schön viele Faktoren die in unsere Wahrnehmung von uns reinspielen. Welche die entweder ganz außerhalb von uns liegen, oder wenn wir sie erfragen, werden wir wissen müssen, dass wir nie wirklich neutrale und faktische Daten über uns bekommen, sondern auch nur Tendenzen. Wie soll mensch sich denn selbst sehen und erkennen, wenn wir so vielfältig gespiegelt und verfälscht werden?

Kaberetist Volker Pispers hat in einem seiner Stücke die mir im Gedächtnis geblieben sind einen Politiker zitiert - welcher mir nicht namentlich im Gedächtnis geblieben ist - der da gesagt haben soll: "Was den Menschen fehlt ist die stille Beschäftigung mit sich selbst." und dann hat Pispers einen Witz über Masturbation daraus gemacht und mein jugendliches Ich ist dem restlichen Inhalt damals nicht mehr gefolgt. Erst mit dem hohen Leidensdruck der letzten Jahre, erst dem Fehlen eines Therapieplatzes, dann dem Haben einer guten Therapie, habe ich mich wirklich der stillen Beschäftigung mit mir Selbst gewidmet. Ein entscheidender Grund war dabei übrigens für mich auch das Kind. Denn egal ob Fernanda Brandao jetzt ihr Ego oder ihr Selbst vermisst, beides musste ich in Ordnung bringen damit ich gut Verantwortung für ein anderes Leben als mein eigenes übernehmen kann. Wir sind auf dem Weg. Und wie konnte dieser Weg klappen?

Mach die Augen zu. So viele poetische Bilder sprechen davon, dass mensch endlich die Augen auf machen soll, endlich wach werden. Und ja, Wachheit mag ich auch, aber die Augen zu schließen kann für den Moment wichtig sein. Ich glaube bei aller Liebe zur Ganzheitlichkeit nicht daran, dass wir alles gleichzeitig wahrnehmen können. Besonders im Umgang mit neurodivergenten Menschen in meinem Umfeld merke ich, welche Übersteuerung zum Teil sogar schon einzelne und wenige Sinne gleichzeitig haben können. Besonders wenn unser Sinn eben ein Eingang für unzählige unterschiedliche rohe Wahrnehmungen von uns ist. Wer im Spiegelkabinett versucht die Realität über sich zu sehen, wird eine schwere Zeit haben. Es kann also sinnvoll sein, für eine Zeit den Eingang zu reduzieren. Und sich dafür nicht nur ein mal, sondern immer wieder die Zeit zu nehmen. Stille Beschäftigung mit sich selbst. Lernen sich selbst und sich alleine auszuhalten. Denn wenn es wirklich unsere Identität ist und nicht nur eine Reaktion, dann muss sie auch da sein, wenn sie keine*r sieht. Wenn es wirklich unser innerster Kern ist, dann muss es auch ohne das Außen existieren.

Und das bedeutet sicher nicht, dass die Antwort zur Selbstfindung ist, sich von allem zu lösen und egozentrisch oder egoistisch zu werden. Denn dann müsste Fernanda sich von ihrem Kind trennen, ich auch und wir gegen die Natur des Menschen stehen, der nun mal, ob gewünscht oder nicht, ein Gemeinschaftswesen ist. Und wer glaubt alles ganz alleine zu schaffen, lügt. Jede*r von uns besitzt etwas, was jemand anderes erschaffen hat. Weil das der Deal von Gesellschaft ist. Aber was ich sowohl Fernanda, als auch mir selbst und euch auch wünsche, ist sich die Zeit zu suchen, am Tag, in der Woche, um sich alleine mit sich selbst zu verabreden und zu beschäftigen - nicht wie in Pispers Witz - und zu suchen, wer wir ohne Spiegel sind. Denn auch ohne meine Augen kann ich herausfinden, was in mir lebendig ist. Ich kann Ideen und Haltungen haben, ohne mich selbst sprechen hören zu müssen. Ich fühle auch den Boden unter den Füßen und erkenne Orte an denen ich sein mag, wenn ich für mich dort bin.

Meine Erfahrung sagt, dass es sich lohnt, die Dinge haltbar zu machen. Denn auch das Gedächtnis ist ein Filtersystem und nicht so zuverlässig, wie wir manchmal gerne glauben. Mit unserer Laune, die gelenkt von Gefühlen, Bedürfnissen, Wünschen und Umfeld ist, verändert sich auch wie wir erinnern. Was auf dem Papier steht, verändert sich nicht. Aufschreiben erlaubt aber auch, neben einer Realität den Wunsch zu erkennen. Und auch der ist für Identität wichtig. Denn als Wesen mit Zukunft ist es sinnstiftend auf Dinge hinzuarbeiten, Ziele zu haben und auch eine Person sein zu wollen. Wir dürfen uns Wachstum für uns wünschen.

In diesem Sinne, eine gute Reise euch.

Kommentare

  1. Anonym12.12.23

    Willkommen zurück mit langen und komplexen Gedankenreisen. <3 Spannend. Ich mag aber spontan dazulegen, dass es manchmal auch gerade dann wichtig sein kann, wenn man viel mit sich und in sich arbeitet, die Spiegel und Projektionsflächen genauer anzuschauen und auch aktiv um Rückmeldung zu bemühen. Um hier und da mal zu checken, ob wir uns in uns verlaufen haben und gar nicht mehr dort rauskommen, wo wir eigentlich stehen möchten. Beides in Balance zu halten scheint mir, wie so oft, eine gute Idee. Aber viel Erfolg auf der Reise zu uns selbst. Hoffentlich gefällt uns am Ende, was wir finden und wo wir herauskommen.

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    1. Ob das lang und komplex ist, weiß ich nicht zu bewerten. Freue mich, wenn da hilfreiche Impulse mit dabei sind.

      Ich denke auch dass es wichtig sein kann, seine Spiegelflächen zu prüfen, aber ich denke eben nicht dass das gleichzeitig passieren sollte. Es braucht eine Stabilität auf einer Seite der Waagschale, weil wenn ich wieder alles gleichzeitig probiere zu justieren, falle ich wieder zurück dahin nur zu reagieren und zu justieren, aber nicht zu sein und nicht mit Intention zu handeln. Und deshalb empfehle ich Phasen der Abgetrenntheit. Auslösen, sich selbst warhnehmen, akzeptieren und justieren. Danach (!) auf andere Oberflächen stoßen. Damit ich eben auch erkenne, wann ein Spiegel mich verzehrt. Das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß, wie ich aussehe und woraus ich bestehe.

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