Impostor Syndrom
Wenn es um potentielle psychologische Fachbegriffe geht, bin ich etwas sorgfältiger geworden. Wir werfen schnell mit Worten um uns, weil wir sie plausibel finden, kennen aber manchmal den vollen Hintergrund nicht. Es ist dann leicht sie zu verwenden, allerdings kann es sein, dass eben Betroffene sich davon angegriffen fühlen, weil sie mehr Hintergünde und Erfahrungen haben. Ein gutes Beispiel ist vielleicht das Wort "depressiv", das irgendwann Menschen verwendet haben um auszudrücken, dass sie traurig sind oder keine gute Laune haben. Durch zunehmende Aufklärung kommen wir gerade wieder dahin, Traurigkeit als Emotion und Depression als Erkrankung als getrennte Begriffe zu sehen. Als bei einem Gespräch in einer Gruppe mit unterschiedliche erfahrenen Kreativen und Künstler*innen der Begriff Impostor Syndrom gefallen ist, wusste ich, ich würde ihn noch recherchieren müssen.
Warum wurde der Begriff gesagt? Eine Person in unserem Schreibtisch, einem Stammtisch für schreibende Kreative, hat die Sorge geäußert, dass sie ja gar kein*e Künstler*in sei. Denn das was sie da machen würde, dass ist ja nur "Geschichtchen schreiben" und eben nicht "Kunst". Und weil sich selbst als "Künstler*in" zu bezeichnen, wenn mensch eben doch gar nicht mal so gut und gar nicht mal so intensiv und gar nicht mal so aktiv ist, dass fühlt sich eben an, als würde sich mensch eine Form anziehen, die viel zu groß für einen selbst ist. Ich habe den Eindruck, dass gerade beim Kunstbegriff im deutschsprachigen Raum das ein auftauchender Konflikt in (jungen/neuen) Künstler*innen ist, weil der Kunstbegriff synonym mit Hochkultur verwendet wird.
Impostor Syndrom gibt es natürlich auch außerhalb der Kunstsphäre. Und ich mag sagen, dass es das bei allen Menschen gibt und geben kann. Entgegen meiner Befürchtung, handelt es sich nicht um eine psychische Störung, sondern ist ein Merkmal das bei allen Menschen als Reaktion auftreten kann, wenn auch manche Menschen aufgrund ihrer persönlichen Vorgeschichten anfälliger sind. Trotzdem kann Impostor Syndrom Anlass für Therapie sein und wie immer wenn es um solche Themen geht, verweise ich gerne darauf, dass ihr euch dringend beraten lassen solltet, wenn ein Leidensdruck bei diesen Themen aufkommt, dem ihr nicht mehr gut entgegenstehen könnt.
Für mich gibt es ein paar Gedanken, die mir geholfen haben weniger anfällig für Impostor Sydrom zu sein. Denn in meinem Leben kenne ich es auch. Als unstudierter der oft genug mit Akademiker*innen rumhängt, geht es sehr schnell, dass etwas in mir sagt, ich dürfte nicht mitreden (können), da ich ja gar nicht die passende Ausbildung habe. Und wenn ich dann doch mitrede habe auch ich manchmal Angst, dass ich gar nicht erfüllen kann intellektuell und inhaltlich, was da von mir erwartet wird. Was hat mir jetzt gegen diese Angst geholfen? Ein Impuls den ich mal bekommen habe war der, dass eben wir alle "Impostor" sind, bis wir die Dinge tun. Denn egal ob wir aus Arroganz sehr überzeugt sind oder aus Unsicherheit sehr wenig Überzeugung haben: Bis wir die Dinge wirklich machen, stellen wir uns immer nur vor, dass wir sie tun könnten. Wenn wir uns auf einen Job bewerben, stellen wir und die Gegenseite sich an hand von Zeugnissen und Aussagen vor, wie es sein könnte, wenn ich dann wirklich arbeite. Aber wie meine Arbeit dann wirklich ist, weiß ich erst wenn ich sie gemacht habe und das wird jeden Tag auch von ganz vielen anderen Faktoren abhängen. Erstmal sind wir alle also immer Impostor.
Die andere Sache, die wir auch beim Schreibtisch besprochen haben, die sich ans vorherige anschließt, ist die Frage wem die Labels etwas nutzen. Du musst keine Künstler*in sein um zu malen. Malen kann jeder Mensch anfangen und machen. Ob es dann Kunst ist, dann kannst du selbst entscheiden. Und was andere von Außen entscheiden liegt eh nicht in unserer Macht. Im Schreibtisch wähle ich als Beispiel "Graffitti", wo nämlich die Frage ob es Kunst ist sehr von den Vorlieben der Betrachtenden und ihren Kontexten abhängt. Die Grenze zwischen Sachbeschädigung und Kunst ist so dünn, dass auch Beides gleichzeitig erfüllt sein kann, wenn wir uns aber zu sehr auf die Bewertung von Außen einlassen, uns das abhängig macht und uns schadet. Handeln ist echt und greifbar. Ich kann malen und trotzdem muss ich mich nicht als Künstler*in sehen. Zu mal es ja auch einfach ein Hobby sein darf. Denn auch nicht jede Person die etwas schreibt ist ein*e Autor*in und nicht jede Person die mal etwas kocht, ist Köch*in. Und deshalb muss ich eben nicht das Label haben um Dinge zu tun. Hilfreicher ist es zu schauen, welchen Antrieb ich in mir finde. Habe ich einen Grund etwas kreatives zu tun? Ja? Das reicht.
In einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft die Frage nach der Leistung, Qualität und Bewertung auszustellen ist eine massiver Herausforderung. Und vielleicht ist vielleicht auch nicht das Problem, ob wir uns selbst glauben, dass wir können was wir tun, sondern dass so viele Teile und Aktivitäten in Gesellschaft auch einer Entwertung ausgesetzt sind, wenn die Dinge nicht kapitalisiert werden können oder für andere Werte stehen als unser System sie mag.
Wann habt ihr euch schon als Impostor gefühlt?
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