Aber wie arbeitest du wirklich?

Es ist bei einem unserer "Schreibtische", dass jemand zur Sprache bringt, dass er es gar nicht schafft sich Schreibroutinen zu schaffen. Sein Verdacht ist es, dass er nicht gut mit Routinen und Ritualen ist, aber wir gehen in der Analyse auch an andere Themenfelder. In dem Gespräch geht es dann aber auch um "die heilige Kunstzeit" - eine Technik die ich in diesem Artikel schon kurz angeschnitten habe. Es handelt sich um eine Zeit, die ich allen empfehle, die Kunst machen und machen wollen. Mindestens eine feste Stunde die - wie ich es immer sage - mit dem Leben verteidigt wird und in der ausschließlich Kusnt gemacht wird. Auch wenn das bedeutet, dass wir eine Stunde aufs leere Blatt starren. Was die ersten Male passieren kann. Aber irgendwann kippt der Schalter im Inneren und die Kunst wird kommen. Oder die Langeweile. Und damit dann das Experimentieren. Und damit dann die Kunst. Und während eine Teilnehmerin unseres Treffens komplett darauf schwört und sagt, dass sie dankbar ist, dass ich diese Haltung vorgestellt habe, gebe ich zu in einem Nebensatz, dass ich sie selbst nicht anwende.

Ich fühle mich kurz selbst von mir selbst ertappt und fange in einem der Detektivbüros meines Hinterhirns an zu ergründen, wie oft ich das eigentlich mache: Etwas empfehlen, was ich selbst nicht tue. Im privaten kennen das viele Menschen ja gut. Da gibt mensch die Tipps, die mensch selbst auch für sich gerne zuverlässig umsetzen können würde und die andere Person guckt uns an und denkt genau das: "Hä? Das machst du doch selbst gar nicht." Aber anstatt bei diesem Schluss zu stoppen, forsche ich weiter in mir und meiner Erinnerung.

Denn es ist nicht so, als hätte ich die heilige Kunstzeit noch nie angewendet. Ich wende sie nur aktuell nicht mehr an. Aber nicht, weil ich es wieder aufgegeben habe. Ich beherrsche sie nur inzwischen so sicher, dass ich sie jederzeit haben kann. Diese Zeit in der ich gerade hier sitze und mit Leichtigkeit an diesem Blogbeitrag schreibe, die habe ich mir nur so halb eingeteilt. Aber ich kann sicher sagen, dass ich sie habe und mit dem Moment wo ich die Idee hatte, konnte ich mich hinsetzen und unblockiert drauf losschreiben. Das kann ich aber nur, weil ich das andere vorher geübt habe. Und ich weiß genau, dass wenn es mal schief geht, ich wieder auf die heilige Kunstzeit zurück fallen kann.

In der Außenwarhnehmung wird aber genau das übersehen. Damit kommt ein Gefühl, dass ich selbst gut kenne. Ich schaue auf meine Mentor*innen, die einfach an anderen Punkten ihrer Karriere sind, die eben auch immer schon finanziell gut ausgestattet wirken und deshalb befreit Kunst machen können und auf eine Art arbeiten, die ich erstrebenswert finde, aber manchmal vergesse, dass ich da eben noch nicht bin. Wir freuen uns bei Sportler*innen manchmal, wie leicht sie Sachen aussehen lassen können. Besonders wenn sie coole Tricks in ihrem Sport machen oder spektakuläre Leistungen, neigen wir dazu vergessen, wie viele (Fehl-)Versuche dazu gehörten, um diesen Trick sicher zu beherrschen. Um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, sondern es aus der Seele als Reaktion abrufen zu können. Da steht dann kein komplexer Entscheidungsprozess mehr dran, sondern Intuition.

All diese kleinen Schreibübungen, die ich in Workshops und Schreibtischen gemacht habe: Ich mache sie zur Zeit nicht mehr. Aber ich beherrsche sie. Bei jedem Gedicht das ich schreibe, sind sie in meinem Handschuhfach, ich weiß wo sie liegen und wie sie funktionieren. Ich verstehe, wann sie ein gutes Tool wären und benutze sie deshalb vielleicht unterbewusst mit. Genauso, wie jemand beim Sport eben über die Grundbewegungen irgendwann nicht mehr nachdenken muss, sondern sie verinnerlicht hat. Und ja, immer mal wieder sind sie trotzdem Thema im Training, weil auch die Grundlagen aufgefrischt werden dürfen. So schreibe ich in jedem Workshop jede Schreibaufgabe mit, auch wenn ich oft mein Ergebnis gar nicht präsentiere. Ein Teil meiner Arbeit, auch wenn sie nicht in die heilige Zeit fällt, sind Übungen.

So bin ich Teil einer Schreibgruppe die versucht jeden Tag pro Person ein Gedicht abzuliefern. Das sind nicht meine Meisterwerke, aber das ist die Übung die ich brauche, um eben jederzeit auch die Dinge schreiben zu können, die mein Herz bewegen (wollen). Jedes dieser Kurzgedichte, jeder dieser Gedankenfetzen, erlaubt mir ein neues Spoken Word Stück dann zu schreiben, wenn ich es will und muss.

Wichtig ist also: Die Tools sind nicht falsch, weil jemand sie nicht mehr anwendet. Es ist gut sie zu erlernen, anzuwenden und für sich zu etablieren. Denn so haben wir Fallschirme und Handgriffe für Notfälle. Und Notfälle haben wir sicher. Die wird es auf jeden Fall in irgendeiner Form geben. Ob es Blockaden sind, oder technisches Versagen oder einfach Pech. Es wird Gründe geben, warum es gut ist sich mental und im Wissen gut vorbereitet zu haben.

Also, wie arbeite ich wirklich?
Mein Wochenplan gestaltet sich sehr darum, wann wo wie das Kind betreut werden muss und dadurch auch in Absprache mit dem anderen Elternteil. Darüber hinaus muss ich leider auch dem Geld folgen und daher genau schauen, wann ich zu Arbeit hin muss oder plane mir fest Zeit ein für meine Arbeit. (Da kommen Haltungen zu tragen, die ich aus der heiligen Kunstzeit übernommen habe. Wenn mensch so will, ist es heilige Arbeitszeit, und da meine Arbeit immer auch Kunst beinhaltet, kommt das irgendwie passend zusammen). Mit der restlichen Woche schaue ich dann, was ich noch tun möchte. Ein Teil meiner Kunst - in meiner Definition - ist es diese Blogbeiträge zu schreiben. Gerne mit etwas Vorlauf. Also schaffe ich mit ein paar wenige bewusste Fenster, habe aber auch immer im Kopf, wenn ich noch etwas schreiben muss. Manchmal als letztes bevor ich einschlafe. Aber die Ressourcen dafür habe ein eingeplant. Gedichte und andere Dinge passieren gerne mal zwischendurch, weshalb ich aber immer mein Notizblock in der Nähe habe. Das ist so wichtige Vorbereitung, dass ich sogar in Phasen wo ich ihn zuletzt nicht dabei hatte, wieder mehr versuche ihn mit zu nehmen. Was ebenfalls Teil meiner Arbeit und Kunst ist, ist zu lesen. Ich mag mich fortbilden und habe das Gefühl einige Jahre hinterher zu sein. Daher sauge ich Impulse auf als wäre ich besessen. Dafür versuche ich mir auch Zeit einzuplanen und Bücher in Vorlauf zu kaufen. So kann ich nicht leer laufen. Meine Arbeitsplätze sind auf eine Art vorbereitet, dass ich sofort anfangen kann. So habe ich am Schreibtisch immer freie Fläche, immer eine Kiste mit Material für Blackout Poetry, immer etwas zu schreiben und etwas zu zeichnen. Das ist weniger meine Kunst, aber eine Art wie ich mich warm und wach machen kann für Kreativität. Alles davon basiert auf der Haltung, dass ich etwas übe, dann in mein Repertoire aufnehme und abrufen kann, wenn anderes nicht gut funktioniert. Es ist der Versuch offen und vorbereitet zu sein für den Moment wo ein Impuls kommt.

Joa. Das fasst es für den Moment gut zusammen. Ich nehme gerne Fragen an. Und mag auch fragen: Wie arbeitet ihr?

Kommentare

  1. Ich fühl mich grade ertappt, weil meine Routinen seit ner ganzen Weile aus dem Tritt sind. Immer öfter entscheide ich mich aktiv dagegen, obwohl es mich ärgert und mir schadet. Es macht mich unzufrieden, weil ich weiß, dass es keine guten Entscheidungen sind aber auch jetzt grade schreibe ich diesen Kommentar und habe den Artikel gelesen, noch bevor ich aufgestanden bin und meine Routinen fertig sind... Was jetzt auch schon wieder nicht mehr funktioniert für heute, weil der Kopf schon voll ist und so viel anliegt. :/

    Dein Beitrag heute ist ein guter Reminder für mich, es wieder hinzubekommen und wieder gesündere Entscheidungen für mich zu treffen. Und wieder da weiterzumachen, wo ich aufgehört habe. Ich weiß, dass es schon funktioniert hat... Auch über längere Zeit... Und wie gut es getan hat... Also kann ich damit auch wieder anfangen, wenn ich es brauche.

    Danke dafür und für's Teilen. Du scheinst grade, was den Blog angeht, auch wieder weiterzumachen zu können, wo du vor dem krank sein aufgehört hast. Das freut mich zu sehen.

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    1. Ich sehe in deiner Beschreibung auch das Potential dafür, dass die Routinen sich eben verändern müssen. Neue Routinen sind spannend und super, bei der Überführung in Angewohnheiten verändern sie sich aber noch weiter, weil zum Beispiel sie nicht mehr das selbe Erfolgsgefühl liefern wie am Anfang, weil es jetzt in "Normalität" übergeht. Und nur weil was in der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen geklappt hat, bedeutet es nicht, dass es so weiter funktioniert. Besonders nicht, wenn wir neue Sachen gelernt haben.

      Ich glaube ein Verhältnis zwischen den eigenen Werten, dem eigenen Handeln und den eigenen Wünschen zu finden ist eine gute Sache. Denn diese drei spielen immer in unser Werk mit ein. Was mache ich aus welchem Grund und um was zu erreichen?

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    2. Hm... Da denk ich mal genauer drüber nach.

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