Gruppenphasen

Lange Zeit wurde ich damit zitiert, dass ich sage "Bildet Banden". Kein Zitat, das im Ursprung von mir kommt, aber eine Aussage und These zu der ich weiterhin stehe. Wenn auch das Bild von Kunst-Personen oft ist, dass diese alleine in ihrer Kammer sitzen und brüten, gibt es eben auch viele Hinweise darauf, dass viele wichtige Menschen - und nicht nur in der Kunst - sich als Teile von Kollektiven und Gruppen organisiert haben. Sie waren in Gemeinschaften eingebettet und haben für andere Verantwortung übernommen, Unterstützung ausgeübt, Ressourcen geteilt und sich Feedback gegeben. Manche Gruppierungen haben es zu ganzen Bewegungen geschafft, sind Szenen oder sogar ganze Kulturen geworden und haben eigene Kunstformen geprägt.

Gruppen sind aber eben auch unsere natürlichste Lebensform und der sicherste Lernort. Das hat mit ganz vielen Soziologischen, Psychologischen und evolutionären Gründen zu tun. Es fängt ja schon damit an, dass wir als Kleinkinder gar nicht alleine überlebensfähig sind. Und wenn auch sich, mit der passenden Ausbildung und dem Wissen was wir von anderen bekommen, mit steigendem Alter die Chancen verbessern, alleine diesen Planeten aushalten zu können, ist das auch nur begrenzt war. Der Strom den ich nutze, der Laptop an dem ich sitze, die Heizung an der meine Füße lehnen, das habe ich nicht gemacht und das läuft auch nicht weiter durch meine Leistung. Wir leben und streben nach Familien(-Formen) und organisieren uns in Gruppen. Vereine, Clubs, Firmen, Teams. Das alles.

Wenn wir also auch in der Kunst in Gruppen leben und arbeiten wollen, sollten wir vielleicht auch ein paar Sachen über Gruppen lernen und verstehen, um sie besser navigieren zu können, um mögliche Konflikte besser erkennen, betreuen und auswerten zu können. Denn als kleiner Spoiler: Ohne Konflikte geht es gar nicht.

Fangen wir vorne an, was für Gruppen gibt es überhaupt?

Primärgruppen
Diese Gruppen sind eher klein, alle darin kennen sich. Es gibt in diesen Gruppen oft eine gegenseitige Abhängigkeit, dafür aber auch eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten zwischen den Leuten. Die Beziehungen die darin geknüpft werden sind oft lang und andauernd. Die Kontakte sind intensiv und emotional geprägt, was aber natürlich auch von der Natur der Gruppe abhängt und den Personen darin. Innerhalb der Gruppe herrscht für gewöhnlich eine große Unterstützung untereinander.

Die Familie ist traditionell so eine Gruppe, aber es gibt auch einige andere Orte an denen diese Marker erfüllt sein können. So kann es zum Beispiel in Schule der Fall sein, dass eine Gruppe eine Primärgruppe ist. Ein Erlebnis, was ich in meiner Erzieher*innen-Ausbildung machen durfte. Wenn auch nicht alle Marker gleich stark erfüllt waren, kann ich sicher sagen, dass es da eine Primärgruppe gab. Das kann natürlich daran liegen, dass ein gemeinsame Abhängigkeit die Anwesenheitspflicht und daran geknüpft das Erreichen eines Abschlusses zusammenhingen. Di

Sekundärgruppen

Diese Gruppenart ist weniger eng gebunden und die Personen darin sind unabhängig voneinander. Teilweise sind sich Mitglieder der Gruppe unbekannt, was zum Beispiel in Internet-Communities der Fall sein kann. Die Gruppe ist oft über gemeinsame Aufgaben oder Interessen gebunden. So kann eine Abteilung auf der Arbeit so eine Gruppe sein, ein Ensemble für eine Kunstperformance, eine Szene oder aber auch ein Sportverein. Die Beziehungen in dieser Gruppe sind nicht zwingend von langer dauer und die Kontakte sind dadurch auch weniger emotional. Sekundärgruppen finden sich oder können auch von Faktoren von außen zusammengesetzt sein, wie zum Beispiel eine Sportmannschaft.

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Ich finde es wichtig zu erwähnen, dass "primär" und "sekundär" keine Qualitätsunterschiede meint, weil die Gruppen in ihrer Verschiedenartigkeit einfach ander Funktionen erfüllen. Außerdem ist es wichtig zu sagen, dass es noch weitere Kriterien gibt, die Gruppen unterscheiden und wichtig sind. Zum Beispiel ob eine Gruppe freiwillig, teilfreiwillig oder unfreiwillig zusammen ist. Oder auch ob sie altersgemischt oder altersgeschlossen sind. Dazu gibt es Merkmale die machen das wir Menschen als Gruppen sehen, wenn auch sie vielleicht sich selbst nicht als eine gemeinsame Gruppe erleben. So sind zum Beispiel Menschen mit bestimmten Merkmalen Teile einer Gruppe, erkennen sich im Alltag aber nicht zwingend als solche. Zum Beispiel "Männer" oder "migrantische Personen". Diese Faktoren können aber wichtig sein, weil es Wechselwirkungen zwischen bestimmten Zugehörigkeiten, Merkmalen und Gruppen geben kann.

Da wir hier aber erstmal von Gruppen ausgehen, die sich im Zusammenhang mit Kunst finden, mag ich jetzt aber auf einen ganz wichtigen Teil der Arbeit in und mit Gruppen schauen. Und das sind die Phasen der Gruppenbildung. Der amerikansiche Psychologe Bruce Wayne Tuckmann* hat in seiner Forschung ein Modell mit Fünf Phasen entwickelt, die er nachweisen konnte im Zusammenhang mit Gruppen und Teams.

Diese Gruppenphasen folgen aufeinander, gehen fließend ineinander über, können nicht erzwungen werden, aber begünstigt und begleitet. Manchmal können Gruppen auch längere Zeit zwischen Phasen hin und her wechseln. Manche Gruppen haben auch in ihrer großen Struktur kleinere Gruppen, die in sich die Phasen nochmal durchlaufen. Auch wenn sich Gruppen erneuern, können sich die Gruppenphasen wiederholen oder verändern.

Die Gruppenphasen:

Forming

Die Gruppenmitglieder lernen sich im Rahmen der Zielsetzung der Gruppe kennen. Der Kontakt bleibt erstmal unpersönlich und formal, aber für gewöhnlich höflich. Die Personen in der Gruppe versuchen verschiedene Verhaltensweisen aus und beobachten wie das in der Gruppe wirkt und auch was es mit der gemeinsamen Zielsetzung macht.

Storming
Im deutschen auch als die "Konfliktphase" bezeichnet. In dieser Phase tauschen die Mitglieder ihre Meinungen aus, welche gegensätzlich sein können. Deshalb muss dann besprochen und ausgehandelt werden, wer was wie sieht. Parallel dazu suchen die Personen in der Gruppe ihre Rollen in der Gruppe. Auch Bedürfnisse und Erwartungen treffen aufeinander, zusätzlich zu den Meinungen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser Phase ist sehr gering, weshalb es wichtig ist eine faire Bearbeitung aller Konflikte und Gespräche möglich zu machen, damit die Gruppe weiter voran schreiten kann.

Norming
In dieser Phase festigt sich dann die Gruppe, auch basierend darauf wie die vorherige Phase ausgetragen wurde. Die Rollen der Personen in der Gruppe haben sich gefunden und gefestigt. Es gibt ein gemeinsames Regelwerk und Normen, aber auch eine Vorstellung davon, was passiert wenn die Regeln nicht eingehalten werden. Es gibt ein Zusammengehörigkeitsgefühl, dass im deutschsprachigen Raum auch als "Wir-Gefühl" bezeichnet wird.

Performing
Ja, nicht vergessen, es gab eine gemeinsame Aufgabe oder mehrere oder Ziele. Und irgendwann muss die Gruppe eben auch im Kern daran arbeiten. In dieser Phase herrscht hohe Stabilität und Unterstützung. Die Rollen sind klar und gesichert. Unstimmigkeiten werden gelöst und klären sich ganz gut selbst.

Adjourning / Mourning
Wenn die Aufgaben bewältigt sind und Ziele erreicht, kann sich eine Gruppe auflösen. In anderen Modellen ist das auch die Phase in der sich die Gruppen neu zusammenstellen, Rollen nochmal neu verteilt werden und auch andere Bausteine hinterfragt werden. Trotzdem kann es zu Gefühlen der Trauer und der Verlustes kommen, weil eine Phase abgeschlossen wird. War die Zusammenarbeit ein Misserfolg, löst sich eine Gruppe oft auch schnell auf.


Cool, hm? Und was macht mensch jetzt damit? Das als Anlass nehmen sich zu fragen, ob mensch in den eigenen Gruppen glücklich ist und wo vielleicht Konflikte vorliegen. Das Modell der Gruppenphasen und die Merkmale von Gruppen gehen natürlich noch deutlich tiefer, als dieser eine Artikel von mir jetzt abbilden kann, aber es kann ein guter Startpunkt sein um zu bearbeiten, wie die eigenen Gruppen und Teams wieder vorwärts gebracht werden können. In welcher Phase könnten wir sein? Was brauchen wir vielleicht? Wie ist das in einer Sekundärgruppe möglich? Ist es so weit/so eng definiert sinnvoll?

Ich sehe auch Gruppen von denen ich Teil bin, und Verhalten von mir selbst, bei dem ich mich frage, wie ich das in Zusammenhang mit diesen Inhalten bringe. Welche Sekundärgruppen von mir, habe ich für Primärgruppen gehalten oder versucht zu solchen zu machen, weil ich da vielleicht einen Mangel empfunden habe? Wo steht ein langjähriges Team, wenn es gerade sich neu (er-)finden muss? Ist ein Reset sinnvoll? Ist ein weicher oder harter Reset sinnvoll? Solche Fragen helfen mir Perspektiven zu entwicklen, wie es weiter gehen kann.

So. Wenn gewünscht, kann ich auch nochmal was zu den Rollen innerhalb von Teams schreiben. Da gibt es auch spannende Informationen und Inhalte zu. Vielleicht ist das ja auch für eure Artist Circle und andere Projekte spannend. Okay. Vielleicht schreibe ich das aber auch, auch wenn es sich keine*R wünscht. Smiley, oder so.

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*Na, habt ihr beim Lesen auch kurz euch gefreut, dass jemand Bruce Wayne heißt?

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