Ikarus-Tage

Einen Moment lang entsteht der Eindruck, ich wäre frei. Mit meinen geschaffenen Konstrukten, die mir helfen mich dort zu bewegen, wo ich mich nicht heimisch fühle - neue Eindrücke als Schwalben und Möwen an meiner Seite - schlage ich kraftvoll mit meinen Armen und fliege, wo noch keiner von uns geflogen ist. In neuen Gesprächen, in unseren Seelen, in Geistern, höre die Stimme nicht die ruft.

Motiviert von dem Leben als neuen Wesen, nutze ich die Neugierde des inneren Kindes, steige auf, bekomme Lust den Himmel zu küssen, vergesse das Brennen auf der Haut ob des kalten Windes da ich mich vorwärts bewege wie noch nie zuvor. Lasse mich davon wegtäuschen, dass meine sorgfältig konstruierten Hilfsmittel unter der Anstrengung und der nicht vorhergesehenden Hitze sich beugen.

Ich fühle mich frei. Doch ist das kein echtes Gefühl, sondern ein Gedanke. Ich fühle mich frei, aber in der Betonung, dass mich das fühlen befreit. Ich fühle und das befreit. Ich fühle und lebe dadurch und kann dadurch erkennen, was ich denke, was ich fühle, was ich spüre. Meine Haut, meine Knochen, meine Nerven, meine Muskeln, meine Rände meiner Seele, der Horizont meines Sehens, die Fühle der Gerüche, salziger prickelnder Schweiß der wie Lupen kleine Löcher in mich brennt. Ich fühle das. Ich fühle mich frei.

Den Himmel teilt sich niemand alleine. Und so spüre ich, wie Schwünge meiner Arme zunehmend abnehmend meine Kraft in eine Bewegung übertragen. Die Feder die um mich herum fliegen, erkenne ich jetzt schnell als kleine Verluste meiner Haltbarkeit, statt einer Metapher für Freiheit, die ich zuvor hier vermutet hatte. Mit strahlenden Emotionen schlagen, in einer Plötzlichkeit, die ich nur aus der Naivität der Sucht nach den Gefühlen und der Freiheit erwerben konnte, das innere Kind mit meinem Selbst verwechselnd, stürze ich ab.

Einen Moment lang entsteht der Eindruck, als wäre ich frei, als mein Körper an der Stumpfheit des Meeres erbricht. Zu nah an den überwältigen Feuersturm in meinem Außen geflogen, küsse ich mit bewusslosem Mund die Oberfläche des Wassers, welches mich jetzt in Empfang nimmt. Alles hier ist still. Alles hier ist matt. Ich denke mich frei, da keine Gefühle mehr meine Sinne täuschen. Doch geht mir mit der Bestimmtheit eines Gesetzes die Luft aus den Lungen, weil sie nicht mit mir weiter absinken will. Die Tiefe greift nach mir, weil sie mich liebt, weil sie die Erzählungen aus dem Himmel so dringend braucht, aber nicht verstehen kann. Also ist sie wie meine Neugierde eine Gier, greift nach allem was vom Licht geküsst wurde und hofft so etwas Liebe stehlen zu können. Die Tiefe kann sich selbst nicht mehr sehen und ich werde ein Teil von ihr.

Ich berühre den Boden. Hier ist die Linie, die meine Realität vom Ende der Geschichte trennt. Ich grüße den Tod freundschaftlich, bis später, denn solange ich aus meinem Fehler nichts gelernt habe, kann es noch nicht meine Zeit sein, stoße mich mit schwachen Füßen ab und hoffe darauf genug Bewegung in meinen Körper zu stoßen, dass ich wenigstens den Kopf wieder über die umgreifende Unendlichkeit der Gefühlslosigkeit bekomme. Wenn auch ich nicht gelernt habe, nicht zu nah an die Sonnen zu fliegen, erinnere ich mich daran, mich beim Aufstieg nicht mehr umzudrehen, wenn der Gevatter seine Fragen hinterher ruft. Ich höre sie trotzdem, lege sie in die dafür vorgesehen Schublade die ich in meinem Herzen für seine Briefe freihalte, aber ich weiß, dass ich nicht zu lange in seine Richtung schauen darf, denn bei einem Sprung landen wir dort, wo wir hinschauen.

An Land baue ich ein neues Paar Flügel, aufgeregt, ob ich denn dieses Mal etwas dazu lernen werde.

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