Chekhovs Regel

Es gibt viele Ideen und Regeln die Menschen für Kreativität formulieren. Auch ich mache das hier ganz bestimmt im Blog oder auch an anderen Orten. Wann immer ich irgendwo höre, dass ich etwas gesagt hätte, wie mensch es machen soll, werde ich allerdings nervös. Denn es gibt nichts richtiges darin, wie mensch Kunst macht. Es gibt vorallem Entscheidungen und die Frage, wie mensch sein möchte. Und daran muss sich auch der Theater-Autor Anton Chekhov messen, der eine recht bekannte Regel fürs Theater formuliert hat. Sie ist besser bekannt als "Chekhov's Rifle", aber ich hatte gar keinen Bock dass das in der Überschrift des Artikels steht.

Chekhov sagt, dass wenn wir einen Gegenstand einführen und er keine Funktion erfüllt, wir ihn aus unseren Erzählungen wieder streichen sollen. Das von ihm gewählte Beispiel ist eine Waffe, die im Hintergrund des Theaterstückes an der Wand hängt. Seiner Überzeugung nach sollte sie nur dort sein, wenn sie auch noch als bespielter Gegenstand zum Einsatz kommt. Seine Idee: Effektives erzählen. Fokussiertes Erzählen. Sich nicht in überflüssigen Details verrennen, die keinen Beitrag zur Geschicht leisten.

Es gibt einige berühmte Kunstformen, die das gut beherrschen. So ist es in vielen Held*innen-Filmen oder auch Action-Streifen so, dass es oft ein Training oder eine Vorbereitung oder Gadgets gibt, die vorgestellt werden und dann später in der Geschichte der Figur in einem relevanten Moment helfen. Sein es die Schwerter die reagieren wenn Orks in der Nähe sind in Herr der Ringe, jedes Gadget in James Bond Filmen jemals oder unzählige weitere Beispiele. Auch mit Figuren kann das manchmal der Fall sein. Da wird heimlich ein Charakter als Randfigur eingeführt und stellt sich später als relevante Figur im Plot heraus. Chekhovs Idee also: Nur die nützlichen Bauteile.

Ernest Hemingway soll sich schreiberisch gegen diese These gestellt haben, auch andere Autor*innen haben Chekhov diskutiert und seine Überzeugung. Besonders, weil er sie wohl selbst in einem Stück nicht eingehalten hat, in dem zwei Gewehre vorkommen, die nicht genutzt werden. Darüber was eigentlich Chekhovs Grund war alles im Plot mit Gewehren zu lösen, darüber finde ich keine Quellen.

So eine These ist für Kunstschaffende ein guter Ausgangspunkt den eigenen Stil zu diskutieren, oder manchmal wenn wir nicht weiter wissen mit unserem Stil, mal als Experiment so eine These darauf anzuwenden und zu schauen was passiert. Im Poetry Slam wo die Zeit auf der Bühne durch ein Regelwerk begrenzt ist, kann es ja nach Thema wichtig sein, sich passend einzukürzen. Da kann die Suche nach sinn- und ziellosen Sätzen die den Plot nicht unterstützen gut sein. Im Film, in der Musik oder in der Malerei, wo es eben nicht nur darum geht effektiv etwas auszudrücken, kann es wieder gar nicht mal so nützlich sein, weil wir eine Atmosphäre schaffen wollen. Oder eine Störung. Oder Verwirrung. Und was funktioniert da besser, als ein paar schöne falsche Fährten?

Regeln, Tipps und Orientierungen für die Kunst gibt es viele. Viele an denen wir uns stoßen können, weil sie unserer Art Kunst zu machen widersprechen. Dann ist es wichtig, uns nicht an ihnen zu verurteilen, sondern sie als Anlass zu nehmen uns ein eigenes Urteil zu unserer eigenen Arbeit zu machen? Finde ich Chekhovs Ideen für mich plausibel? Finde ich Joseph Campbells Ideen für mich plausibel? Finde ich Greta Gerwigs Ideen für mich plausibel? Finde ich Rupi Kaurs Ideen für mich plausibel? Was wir finden wollen, sind keine Regeln die uns bremsen, sondern Schlüssel die uns unsere Kunst eröffnen. Und einer davon könnte Chekhovs Gewehr sein.

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