Was kann ich jetzt tun (als Künstler*in)

Es sind sehr gute Zeiten für schlechte Nachrichten. Und ich habe Angst, dass dieser erste Satz besser altern könnte, als mir lieb ist. Zum Zeitpunkt wo ich diesen Artikel schreibe, geht durch die deutschen Medien ein Bericht des Recherche-Kollektivs Correctiv, bei dem ein Treffen von Faschist*innen unterwandert und deren Pläne aufgedeckt wurden. Aber auch insgesamt gibt es viele politische Entwicklungen und Nachrichten, die zum einen Angst machen und verzweifelt machen können. Zum anderen sehe ich einige Künstler*innen in meinem direkten Umfeld, die sich fragen, was mensch jetzt tun kann.

Dieser Artikel hier ist eine Sammlung. Er hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber eine offen Kommentarspalte in der auch ihr weitere Dinge ergänzen könnt, die Menschen, aber eben im speziellen Künstler*innen tun können. Denn: Hoffen ist eine Handlung. Und das habe ich in einem schlauen Podcast & Projekt gelernt, auf das ich mich später in dieser Sammlung noch beziehen werden. Diese Sammlung ist auch keine gewertete Reihenfolge. Auch wenn manche Punkte sich vielleicht aufeinander beziehen.

Also, was kann mensch machen?

- Kunst
So banal und naheliegend dieser Punkt wirken mag, möchte ich das dringend unterstreichen. Macht eure Kunst und macht weiter. Kunst dokumentiert Ereignisse, Stimmungen und Gedanken. Und sie hat die Chance einzelne Menschen in ihrem Herzen zu bewegen. Wir wissen nicht wessen Bild, Sticker, Gedicht, Foto, Song, Artikel, Tanz, Theaterstück wen dahin im Herzen bewegt, dass sie sich für ein besseres Gesellschaftsbild einsetzen. Wir wissen aber, dass es gehen kann. Denn es gibt Texte, Gedichte, Lieder und und und, die uns selbst bewegen und bewegt haben und uns bestärken. Und auch wenn wir glauben, dass ein einzelnes Werk von uns nicht die Welt verändern kann, wissen wir gleichzeitig eben nicht welches Stück wen verändern kann. Also brauchen wir vorsichtshalber alle. Und der Gedanke, dass in Reaktion auf zu kritisierende Denkweisen und fragwürdige Moralvorstellungen eine Flut von Kunst zurück schwemmt, ist ein gutes Zeichen von Gemeinschaft. Und deshalb auch wichtig:

- Inhalte aneignen und verstehen und teilen

Konfrontiert mit politischen oder anderen Mächten, die gerne als Basis ihrer Handlungen mit dem verwaschen von Informationen arbeiten, ist es wichtig eine Belesenheit in Macht und Machtverhältnissen zu haben, aber eben auch in den konkreten Themen. Belesenheit meint dabei nicht zwingend Bücher, sondern im Sinne des englischen Begriffes der "Literaricy", welche ausdrückt, dass wir die Sprache des Themas sprechen und verstehen. Baratunde Thurston hat in seinem Projekt "How to citizen" erarbeitet, dass dies eine der vier Säulen ist, die uns zu aktiven Bürger*innen machen kann, die die Gesellschaft und Gemeinschaft stärken. Denn wer versteht wie Macht funktioniert, kann auch verhindern dass sie ausgenutzt wird oder sie unangefochten bleibt. Und da alle Formen der Unterdrückung den Versuch beinhalten eine Machtposition zu schaffen oder zu erhalten, müssen wir dringend verstehen wovon wir reden. Das neue Wissen dann anzuwenden oder auch aufzubereiten und mit anderen Menschen um uns herum zu besprechen, ist ein Beitrag dazu, dass es eine gutinformierte und damit handlungsfähige Basis gibt.

- In Beziehungen treten
Wir konsumieren eine Vielzahl unserer Informationen inzwischen über das Internet auf Platformen die von einer extrem hohen Geschwindigkeit leben. Das lässt viele Entwicklungen auch sehr rasant aussehen und verfälscht den Blick darauf, wie unsere Realtität im unmittelbaren um uns herum aussieht. Schlechte Nachrichten mit großer Wirkweite machen Menschen Angst. Realen Menschen in unserem realen Umfeld. Und mit denen sollten wir ins Gespräch gehen und bereit sein zu zuhören. Auch, weil eine nicht angehörte Person unerfüllte Bedürfnisse hat. Und da wir tief von Bedürfnissen getrieben sind, müssen wir einen Raum bieten, der begünstigt, dass Menschen ihre Bedürfnisse in und durch die Gemeinschaft erfüllt bekommen können. Geht das nämlich nicht, dann fallen diese Menschen häufig fragwürdigen Überzeugungen an.
Es ist nicht zwingend notwendig mit brandneuen Menschen in Kontakt zu kommen und wenn das eigene Gespräch gut gepflegt wird, ist es auch im Internet möglich, aber ich empfehle mindestens mit den Freund*innen um einen herum in Kontakt zu treten und zu fragen, was sie brauchen. Nicht jede*r von uns muss an vorderster Linie die Probleme lösen die uns die Welt hinlegt. Aber wenn wir in der "zweiten Reihe" denen die Last von den Schultern nehmen, die vorne besser geeignet sind die Arbeit zu machen, ist das auch ein Dienst an der Sache.

- Das Kollektiv wertschätzen
Wenn wir jetzt etwas tun wollen, dann sollten wir das nicht für uns selbst machen. Wer als Ziel hat, durch Aktivismus sich selbst zu profilieren und daraus Gewinne zu erzielen, ist aus meiner Sicht mehr Teil des Problems als der Lösung. Wer Ruhm darin sucht jetzt aktivistisch zu werden, macht vielleicht etwas richtiges, aber mit fauliger Motiviation. Und wenn der Ruhm ausbleibt, fallen diese Personen auch oft zurück in die Inaktivität. Wenn wir für etwas stehen wollen, dann sollte es größer sein als wir selbst. Auch das erkennt Baratunde Thurston mit seinen Gästen im Podcast als eine der Säulen dessen, wie wir gesellschaftlich und demokratisch-beteiligte Bürger*innen sein können. Ich mit meiner Haltung empfinde das auch anarchistisch passend. Wenn wir ein Problem in der Welt lösen wollen, dann sollte es so viele Menschen wie möglich mitnehmen. Und dafür müssen wir, auch wenn wir aktuell Angst um den Zustand unserer Kollektive haben, das Kollektiv (als Idee) wertschätzen. Dafür müssen wir an unsere Gemeinschaft glauben. Denn der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und Nesthocker und ohne andere nicht überlebensfähig. Aber um die Wertschätzung für Gemeinschaft und Kollektiv wieder finden zu können, müssen wir aktiv danach suchen und es auch pflegen. Dabei können die vorherigen Punkte aber auch helfen.

- Teilhaben und Teilnehmen
Wenn du jetzt den Wunsch spürst aktiv zu werden, dann musst du nicht alles selbst erfinden. Und es gibt mehr Orte als du glaubst, an denen es möglich ist Wirkung zu zeigen, nur das Mensch teilnimmt und auftaucht und sich einbringt. Denn egal ob du zu einer lokalen Antifa-Gruppe gehst, ob du für eine Organisation spendest, dich einem Verein anschließt, deine Überzeugungen kannst du dort überall einbringen und deine Skills mitbringen. Es gibt politische Verbände und Strukturen. Die warten regelrecht auf euch.
Im Rahmen der aktuellen Entwicklungen sind Freund*innen von mir in Parteibüros gegangen oder selbst Mitglieder in Parteien geworden um dort die Vorderungen zu stellen, dass faschischtische Parteien verboten werden. Das ist ein Weg. Ein anderer Freund hat gesagt, dass er gerade inhaltlich nicht so viel tun kann, aber er für die Arbeitstreffen einer politischen Gruppe und deren Aktionen und Demos jetzt kochen wird, weil er das besonders gut kann und gerne macht. Und wenn auch keine Mahlzeit selbst das Problem lösen wird, macht er damit die fit, welche die inhaltliche Arbeit machen. Er nimmt teil. Er ist ein Baustein der großen Aktion.
Und auch in seinen bestehehenden Vereinen, Arbeitsgruppen, Firmen, Clubs, Gangs und wasweißich was für Gruppen darüber zu sprechen, wie zum Problem gestanden wird und zu fragen ob diese Struktur eine Haltung einnehmen will ist sinnvoll. Können wir mit unserem Basketballverein etwas für besseren Umweltschutz tun? Haben wir eine klare Haltung und Schulungen in der Firma zu Diskriminierung? Wie arbeiten wir daran diese zu reflektieren? Sind wir mit unserer Struktur Teil des Problems oder Teil der Lösungen oder in einem Prozess?
Diese Arbeit und diese Gespräche können anstrengend sein und schwer. Achtet bitte gut auf eure Ressourcen.

- Übersetzen
Selbst wenn wir in der Schule die selbe Sprache gelernt haben, sprechen wir vielleicht irgendwann verschiedene Sprachen. Denn selbst wenn wir alle Deutsch sprechen, so beherrschen einige von uns das akademische Deutsch, andere Jugendsprache, andere verstehen was Behörden und Gesetze eigentlich wirklich bedeuten, andere können regionale Dialekte und Sprachen, andere wissen wie schwere Dinge besonders einfach erklärt werden können und wieder andere sprechen einfach mehrere Sprachen. Wenn wir ein Interesse daran haben, dass alle Menschen auch die Chance haben zu erkennen, warum das Problem welches uns belastet vielleicht auch andere oder sogar alle betrifft, müssen wir auch allen die Chance geben das Problem im vollen Umfang zu verstehen. Spätestens wer ein mal "Logo", ein Nachrichtenmagazin für Kinder, gesehen hat und auch die Tagesschau, kann erkennen das es Unterschiede gibt und geben muss darin wie Inhalte transportiert werden können. Es gibt aber eben die Chance, dass du vielleicht eine der wenigen Personen bist, die - mit ihrer Kunst oder Fertigkeiten - die Grundlage hat Dinge verständlich für andere Menschen und Gruppen zu erklären. Und deshalb brauchen wir vielleicht deine Übersetzungen, um eine vollständiges Kollektiv zu haben.

- Protest
Das Wort steht für ein "Öffentliches Zeugnis". Und es gibt sehr aktive Diskussionen, ob zeitgenössische Kunst, also Kunst die in Zeiten von Krise nicht auch eh schon immer zwangsläufig auch irgendwie Protest ist, weil sie eben in den Umständen, den Rahmenbedingungen und dem betroffenen Jetzt geschrieben ist. Eine Diskusion, zu der ich eine eigene Haltung habe, die es hier jetzt aber gerade nicht zu führen braucht. Aber Öffentlichkeit zu schaffen ist gut und wichtig. Und auch hier mag ich Werbung für die echte Welt machen, weil ja: Im Schnitt verbringen wir pro Tag inzwischen drei Stunden pro Tag mit dem Blick ins Handy, aber die ganze restliche Zeit sind wir in der echten Welt. Nur mit einem entscheidenen Vorteil: Die echte Welt gehört uns allen, die Orte an denen wir im Internet aktiv sind Unternehmen mit eigenen Zielen. Unternehmen, die selbst auch schon manipuliert haben wie sichtbar bestimmter Protest ist. Und das Internet ist dort eben nicht öffentlich.

Egal ob im Internet oder Draußen in der echten Welt, es gibt unzählige Wege Protest zu üben und zu praktizieren. Ich mag daher im folgenden meinen Kunst-Kolleg*innen drei Bücher empfehlen, wenn ihr die Bilder anklickt könnt ihr die Bücher in groß sehen.

Es gibt viele gute Ressourcen darüber, wie Menschen historisch protestiert haben und Sichtbarkeit geschaffen haben. Solche Quellen gibt es haufenweise. Die Drei die ich hier vorschlage sind nicht "die besten", aber welche die mich erreicht haben. "Brief History of Protest Art" ist ganz genau was drauf steht. Es gibt Stationen der Historie des Protests, mit Bildern und Hinweisen wie die Personen dahinter gearbeitet haben.

"The Street Art Manual" erklärt sehr viele Techniken, wie mensch sehr unterschiedlich legal für seine Inhalte Räume gewinnen kann und Aufmerksamkeit bekommen. Dabei gibt es auch alle wichtigen Hinweise dafür, wie mensch dem Gesetz entkommen kann oder Grauzonen ausnutzen. Und ja, das ist manchmal notwendig um treffenden Protest zu machen.

"Truth is concrete" ist das Ergebnis einer mehrtägigen Konferenz von Kunstkollektiven und Aktivist*innen die sich inhaltlich damit beschäftigt haben wie politisch Kunst ist und wo die Verbindungen und Linien zwischen "Art" und "Activism" verlaufen. Ich habe es selbst noch nicht fertig gelesen und die Artikel im ersten Teil des Buches sind sehr akademisch geschrieben zum Teil, diskutieren aber hauptsächlich philosophische Fragen. Im folgenden werden dann aber auch Methoden und Aktionen vorgestellt, welche Gründe sie hatten und wie sie umgesetzt worden. Auch eine gute Quelle für Inspiration.

Wer seine Quellen gerne online und eine bewegliche Community hat,

dem mag ich die "Yes Men" empfehlen. Gestartet als kleines Kunstprojekt sind sie inzwischen eine globale Bewegung mit Foren und Hilfsformen damit auch kleine Ortsgruppen Aktionen machen können. Auch die auf Youtube freie verfügbare Dokumentation über die Yes Men mag ich empfehlen. Die Gruppe hat mit Aktionen sich immer wieder Zugang zu Konferenzen und -hehe- Geheimtreffen verschafft, um an diesen Orten dann kritische Kunst zu machen oder Dinge aufzudecken. So haben sie gemeistert möglichst wie große Unternehmen auszusehen und in deren Namen dann kritische Kunst zu machen. Wer mitmachen oder dort ins Labor möchte, findet die Homepage hier.

- Reflektieren
Zum Beispiel mit Stift und Papier. Oder mit Freund*innen. Aber wann immer ein großes gesellschaftliches Problem auftaucht, kann es sinnvoll sein sich zu fragen, wo mensch da selbst steht. Und es heißt eben reflektieren, weil es dafür Spiegelflächen braucht. Also Flächen und Dinge außerhalb von einem selbst, aus deren Sicht oder mit deren Hilfe mensch sich betrachten kann. Zum aufrichtigen Reflektieren kann aber auch gehören, zu hinterfragen ob ich wirklich verstanden habe und genug weiß. Kenne ich mich mit dem Thema wirklich aus oder bin ich an einer Oberfläche?

- Meinungen verlangsamen, Handlungen beschleunigen

Das schließt direkt an den vorherigen Punkt an, aber auch an die Aufgabe sich eine Belesenheit im Thema zu zu legen. Oft wenn wir Inhalte irgendwo sehen reagieren wir emotional und schnell auf die Situation und Sache. Manchmal tragen unsere Emotionen dazu bei, dass wir etwas vergrößern oder verkleinern in dem Moment in dem wir es dann auch Teilen oder besprechen. Einen Schritt zurück zu gehen, etwas mehrfach zu lesen, Freund*innen zu fragen "Wie würdest du das verstehen?" erlaubt uns einen klareren Blick zu bekommen. Denn während zum Beispiel soziale Medien für den hottesten Take, also die spektakulärste Aussage mit viel Aufmerksamkeit belohnen, bedeutet das oft nicht mal, dass eine Handlung folgt. Mir hilft die alte Redewendung: "Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Weil was beim Essen das Pusten ist, damit ich mir nicht das Maul verbrenne, ist bei Inhalten das Überprüfen, damit ich mir nicht das Maul und Hirn verbrenne.
Wenn wir dann aber ganz gut informiert sind und auch einen Moment Bedenkzeit hatten und wissen, was wir sagen oder tun wollen, sollten wir das nicht zu weit aufschieben. Politische Bewegungen leben von der Bewegung, der Aktivität und wie bereits gesagt: Hoffen ist eine Handlung.

- Petionen verfassen und unterschreiben
Eine Petition ist ein Schreiben an eine zuständige Stelle. Und darin können Forderungen gestellt werden oder Missstände sichtbar gemacht werden. Eine Petition muss dabei gar nicht den gesamten Sachverhalt voll erfassen, denn dafür ist ja die angesprochene zuständige Stelle eben zuständig. Und wenn auch eine Petition unterschreiben sich nicht sehr aktivistisch anfühlt, erzeugen große Petitionen Druck auf politische und machthabende Positionen. Auch, weil eine große Petition eine Nachricht in den Medien ist. Und der Raum in den Medien ist eben eine Arbeitsfläche moderner Parteipolitik. Und kaum eine Partei kann es sich erlauben zu sagen, dass sie ignorieren, was ein relevanter Anteil von Menschen die sich haben aktivieren lassen, verändert sehen will.

------------
Wie erwähnt ist diese Sammlung nicht vollständig, sondern dass, was mir spontan an einem Sonntagnachmittag einfällt nach einer Woche voller Eindrücke und Gesprächen. Wenn ihr auch gute Methoden kennt, gute Ideen habt was Menschen tun können, dann ergänzt sie gerne in den Kommentaren. Denn dieser Artikel hier wird offen im Netz stehen bleiben und mit etwas Glück können Menschen davon profitieren, die gerade auch etwas Unterstützung oder Impulse suchen, was mensch tun kann.

Was sind eure Ideen?

Kommentare

  1. Anonym15.1.24

    Pausen!
    Sich nicht 24/7 in einen Strudel aus schlechten Nachrichten einsaugen lassen; mal offline sein, sich ablenken, unpolitische Gespräche führen, Pause aus Selbstschutz, dann evt neu durchstarten

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, definitiv. Sich am Thema ausbrennen verhindert auch oft neue Ideen zu finden. Einige Schritte weg zu gehen von einer Sache erlaubt eben dann auch anders zurück zu kommen. Ein super guter Punkt. Danke fürs Ergänzen.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: