Der verletzte Superlativ und basic human experience

Jeder kennt das, dass alle sagen, dass alle und alles schlimm sind. Niemand versteht mehr, was ich ganz klar vor Augen habe, denn alle Menschen sind einfach das dümmste. 

Keine Sorge, sind sie nicht. Ich wollte ein übertriebenes Beispiel erschaffen, für etwas, von dem ich selbst auch oft betroffen bin. Ich nenne es den verletzen Superlativ. Es ist eine Art zu sprechen, entweder mit anderen, sich selbst oder auch in anonyme Flächen wie das Internet, bei der wir eine Aussage auf alle(s) anwenden. Meiner Beobachtung nach oft aus eben einem Gefühl der Verletzung, sei diese aus Trauer, Wut oder Überforderung. 
Da kriegen wir also mit oder sind betroffen davon,  dass eine Person zum Beispiel in Tür des Zuges rauchen muss und somit eine Verspätung für andere in Kauf nimmt. Wir fragen "Warum sind Menschen so?", und wenden das Verhalten einer Person so an, als wären alle so. Nicht nur in diesem Beispiel, sondern auch in anderen Momenten erwischen wir uns vielleicht dabei zu sagen "Niemand versteht mich" oder "Keine*r interessiert sich für mich", oft während uns eine befreundete Person interessiert zuhört und versucht uns zu verstehen. 

Diese superlativen Formen, die alle oder niemanden einschließen, sind in der Realität oft nicht haltbar. Beth Pickens beschreibt in ihrem Buch "make your art no matter what", dass sie in der Arbeit mit ihren Klient*innen oft hört, dass diese denken sie ganz alleine hätten ein bestimmtes Problem. Beth Pickens hört dieses Problem aber quasi mehrfach die Woche. Während die Menschen in emotionaler Lage also sich als isoliert sehen und fühlen, gibt es in Wirklichkeit da draußen noch andere, die sehr ähnlich empfinden und erleben. Sie sagt, dass manchen Menschen verloren geht, dass viele Gefühle "basic human experience" sind. 

Ein sehr hilfreicher Gedanke, denn Isolation ist für ein Gemeinschaftswesen wie den Menschen in der Tat ein wichtiges Problem. Beth Pickens schreibt, dass gerade im Internetzeitalter Menschen so ziemlich jedes Problem in Suchmaschinen eingeben können und vermutlich etwas finden, was der eigenen Situation ähnlich ist. Und ich kann das bestätigen, für diverse wichtige und unwichtige Erlebnisse in meinem Leben. 

Mir bewusst zu machen, dass was ich erlebe zwar für mich vielleicht emotional sich extrem anfühlt, aber eben trotzdem nicht ich der erste auf der Welt bin, der so ein Problem hat, ist eine gute Sache. Es hilft mir, mich auch in schwerer Lage nicht allzu heftig zu isolieren, was mir nämlich neue Probleme bereiten würde. Immerhin, "basic human experience", ist Gemeinschaft ein Grundbedürfnis und diese Erfahrung machen sehr viele Menschen. 

Der verletzte Superlativ verletzt uns selbst und manchmal auch Menschen um uns herum. Weil wenn wir sagen "Alle menschen sind soundso", trifft das eben auch die Leute die uns zur Seite stehen wollen. Und wenn wir es laut sagen, besteht sowohl die Gefahr, dass andere glauben, dass wir wirklich so denken, aber auch die Gefahr, dass wir selbst daran glauben. 

Auch in der Frustration oder Verletzung, selbst wenn wir solche Extremwerte behaupten sollten wir diese nur als These sehen. Und wenn wir es mit einem Ratschlag von Rick Rubin aus seinem Buch "the creative act" halten wollen, sollten wir bei jeder These die aufkommt auch versuchen das Gegenteil zu überprüfen. Aus "alle Menschen sind scheiße", lässt sich "Fallen mir Menschen ein die nicht scheiße sind?" machen. Und diese Erforschung kann uns in ein bewussteres und gemäßigteres und dadurch auch entspannteres Denken führen mit der Zeit. 

Abschließend ein Zusatz, warum das vielleicht für Menschen in der Kunst besonders wichtig sein kann: Wir äußern uns vielleicht nicht immer über alle Menschen, aber wir setzen uns schon mal in den Vergleich mit anderen Künstler*innen. Und plötzlich sagen wir "Niemand braucht meine Kunst" - "Nichts was ich mache ist gut" - "Alle anderen bekommen die tollen Gelegenheiten". Auch da lohnt es sich sehr, besonders um die eigene Kunst und Begeisterung zu schützen, die Superlative sehr genau zu prüfen. Denn wenn ich schon sagen kann, dass ich selbst meine Kunst brauche, dann reicht das um die verletzende These zu widerlegen. 

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