Fragen

Eine Identität wie wir sie als Mensch haben, ist nie abgeschlossen. Wir entwickeln Identität aus unserer kulturellen, sozialen Herkunft und unzähligen Einflüssen. Wie wir denken und was wir lernen hängt von der Generation ab, der wir angehören, von der Generation unserer Eltern. Aber auch von aktiven Handlungen. Was wir tun bestimmt auch wer wir sind und was wir fühlen und erleben. Identität entsteht aus Leben in einer Umwelt. 

In meiner eigenen Reise mit meiner Identität und all ihren Bauteilen Frieden zu schließen, haben ich bei mir selbst und bei immer wieder bei anderen Menschen festgestellt, dass wir versuchen eine feste Definition zu finden. Fast wie einen guten Merksatz oder ein Slogan. Eine Aussage, die uns perfekt beschreibt. So, wie wir es manchmal für Lebensläufe, Pressetexte oder Vorstellungen brauchen. Eine sehr gute Antwort auf die Frage, wer wir sind. 

Die Welt um uns herum verändert sich ständig. Wir wollen oft für Dinge eine feste unveränderbare Antwort. Da können mit unserem bewussten Selbst gar nichts für. Entwicklungspsychologisch hat - unter anderem - Jean Piaget erforscht, dass wir beim Lernen und Denken immer versuchen unser bereits bestehendes Wissen unverändert zu behalten und ein anderer Teil von uns aber erkennt wenn unser Wissen herausgefordert wird und damit dann arbeiten will. Daraus entsteht ein ewiger Ablauf, der einen Aushandlungsprozess im Kopf zur Folge hat. Was ganz schön anstrengend sein kann. Manche betäuben diesen Prozess daher auch damit, sich nicht mehr neuem Wissen auszusetzen. 

In einer Welt die nicht gleich bleibt selbst gleich bleiben zu wollen, hat sich für mich als ungesund herausgestellt. Ich bin kein Wissenschaftler und kenne keine Statistiken, bin trotzdem forsch genug um zu behaupten, dass das auch für andere Menschen so sein könnte. Mich selbst also über eine Antwort zu beschreiben, mag mir gar nicht immer gelingen. Ich habe aufgegeben eine einmalige feste Definition für mich zu finden. 

Was ich stattdessen versuche, ist mir immer ausreichend offene Fragen zu suchen und zu bearbeiten und immer wieder neu zu stellen, die mir erlauben zu schauen was die Welt gerade mit mir macht und wer ich darin sein könnte. Könnte deshalb, weil viel von dem wie wir uns selbst erleben und sehen und zeigen, eben auf Entscheidungen beruht. Mit Übungen der Meditation und Reflexion zum Beispiel, stelle ich mir jeden Tag Fragen. 

Ich glaube, dass uns fertige Sätze nicht so weit bringen, wie gute Fragen. Ich finde sogar, dass es in Satzzeichen zu sehen ist. Punkt und Ausrufezeichen sind statisch und fest. Sie verweisen auf eine Stelle, es heißt ja auch Standpunkt. Fragezeichen haben diesen etwas unklaren Weg und Verlauf. Da ist Bewegung drin. 

Eine Identität brauchen wir vielleicht auch für unsere Rollen und Anteile. Wer wir auf der Arbeit oder zuhause sind, hat vielleicht einen gemeinsamen Kern, aber darf verschiedenen sein. Und was unser Erwachsener aber auch unser inneres Kind wollen, wird sich auch aufeinander beziehen, aber vermutlich große Unterschiede haben. 
Das bedeutet aber auch, dass wer wir sind wenn wir Kunst machen, eine eigene Identität haben könnte. Diese in einem Satz oder einer Definition festzumachen sehe ich als Widerspruch zu der erforschenden Natur der Kunst. Jede Selbstdefinition kann maximal ein Screenshot sein, genau wie jedes abgeschlossene Werk nur einen Abschnitt oder Moment aus unserem Leben, aber nie eine Gesamtheit abbilden kann. Wenn wir uns da zu sehr festsetzen, könnte genau das passieren: Wir sitzen später fest. 
Ein Rudel guter Frage an die Spitze einer Identität zu stellen, kann eine gute Sache sein. Fragen erforschen und suchen in dem was da ist. Antworten versuchen zu bestimmen, auch wenn sie falsch sind. In meinem Leben haben mir mehr gute Fragen geholfen, als überzeugte Antworten. 

Was sind eure liebsten Fragen? Welche Frage hat euch gut geleitet oder verändert?  



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