Tools: Zeigen und Benennen

Wenn die Legenden stimmen, dann ist der Zugverkehr in Japan einer der pünktlichsten der Welt. Aus unserer Sicht in Deutschland wird dieser Fakt hauptsächlich genutzt um einen Diss auf unseren Nah- und Fernverkehr abzulassen. Wir sind sauer, weil es woanders ja scheinbar klappt.
Ein bisschen ignorieren wir dabei die Rahmenbedingungen, Japan hat natürlich eine andere Größe, anderen Bedarf und weitere Faktoren, die den Vergleich schwierig machen. 
Den Erfolg von anderen mit eigenen Misserfolgen zu vergleichen macht am meisten Sinn, wenn wir auf Faktoren schauen, auf die wir auch bei uns selbst Einfluss haben und die veränderbar sind. Denn unsere Einwohner*innenzahl oder die Größe der Regionnen zu verändern wird zum Beispiel nicht gehen. Was wir uns aber anschauen können ist, wie die Arbeitsweise dort ist. Die können wir auch bei uns verändern und Erfahrungen damit machen, ob sich etwas verbessert. 

Viele Menschen bei uns glauben, dass es daran liegt, dass scheinbar auf jedem Fehler bei japanischen Bahnbetrieben eine Geldstrafe steht, wer sich die Mühe macht umzurechnen was da die Strafen kosten, wird feststellen, dass vieles nur symbolische Wirkung haben dürfte oder erst im Geldbeutel wehtut, wenn es sich ständig wiederholt. Da Strafen hauptsächlich Angst produzieren und Angst kein guter Motivator ist, gibt es eine andere These warum der Betrieb dort so gut funktioniert. 

Das Tool das dort angewandt wird nennt sich "Pointing and Calling", "Zeigen und benennen". Die Mitarbeitenden in relevanten Bereichen, auch wenn sie alleine arbeiten, haben den Auftrag jede noch so kleine Handlung die sie machen zu benennen und auf das zu zeigen, was sie verwenden. Dabei benennen sie nicht die Gründe, sondern ihre Handlung. "Ich greife den Regler fürs Tempo und schiebe ihn nach oben.", zum Beispiel.
Wenn wir in Animes also belächeln, dass viele Figuren ständig ankündigen was sie tun, treffen wir vielleicht auf ein Stück japanischer Kultur, das wir nicht verstehen und von uns nicht kennen. 

Durch das Zeigen und Benennen, so sagen es Studien, erhöht sich die Achtsamkeit im Arbeitsbereich, arbeiten mehrere zusammen, entsteht ein konstanter Fluss der Information, weil alle wissen was wer gerade tut. Selbst Aktivitäten zu formulieren hilft uns auch die Handlungen anders im Gedächtnis zu speichern. Dass dabei keine Qualitäten benannt werden (statt "ich drücke zu spät den knopf" würde trotzdem nur "ich drücke den knopf" gesagt, auch wenn es zu spät ist) lenkt den Fokus weg von störenden Wertungen und schafft klaren Fokus auf die Sache. 

Pädagog*innen könnte die sprachliche Form dieses Tools auch an das "neutrale Beobachten" von Kindern und Jugendlichen erinnern. Da wird, um Wahrnehmungsfehler und Vorurteile auszuklammern aus schriftlichen Beobachtungen von Kindern jede Wertung entfernt. Das Kind malt kein "schönes Bild", es "hält den roten Stift in der rechten Hand und zieht einen Strich auf dem Blatt". Was müßig und überflüssig wirkt, schafft Präzision in der Beobachtung und Sprache. Denn ob ein Bild schön ist, können wir schwer beweisen. Ob es eine rote Linie auf dem Blatt gibt schon. Wir arbeiten näher an den Fakten, statt an emotional geprägten Ansichten. 

"Pointing and Calling" lässt sich recht leicht in den eigenen Alltag integrieren und zeigt schnell die benannten Vorteile. Denn die Präzision stellt sich wirklich ein und es wird leichter auch mit sich selbst neutraler zu werden. Denn wenn die Frage ist "Was habe ich heute geleistet?", beantworten wir oft die Frage "War meine Leistung heute gut?". Aber häufig ist nicht wichtig ob die Leistung gut war, sondern ob sie gemacht wurde. Denn du kriegst keinen Bonus wenn du eine besonders schöne Rechnung schreibst, manchmal geht es nur darum etwas zu erledigen. Wenn wir aber nicht die Arbeit sondern die Qualität fixieren, enden wir in einer Lähmung. Und das kann nicht helfen. Denn nur Arbeit die wir auch machen hat die Chance auch gut zu werden. 

Sich selbst Dinge die mensch tut laut oder im Kopf zu sagen empfiehlt Guru Singh auch in Folge 760 des Rich Roll Podcasts. Denn er sieht, dass daraus auch Verbindung zur Umwelt wieder stärken kann und so eine bessere Awareness bzw. ein größeres Bewusstsein entsteht. "Ich kaue dieses Käsebrot. Ich schmecke Gurken." und so weiter. Anfangs wirkt es befremdlich, auch es hier aufzuschreiben fühlte sich komisch an, aber mit etwas Übung habe ich gemerkt, dass ich vorallem unbewusste Impulshandlungen - wie in einem kurzen Moment das Handy zu greifen oder sich anders abzulenken - besser verhindert werden können. Und wenn ich zu meinem Handy greife, tue ich das mit mehr Klarheit und kann leichter ein Ende finden, wenn ich es im Kopf oder laut mitspreche. 

Ich tippe die letzten Worte. Ich beende diesen Blogbeitrag. Ich denke mir eine kleine humoristische Anspielung auf den Beitrag aus. Ich nutze die Planungsfunktion damit der Beitrag um sechs Uhr erscheint. Pünktlich, wie ein japanischer Zug. 


----
Ich habe keine eindeutige Belege für die  Pünktlichkeit der Züge in Japan, bzw. greife da auf die selben Berichte und Artikel zurück, die mensch schnell im Internet findet. Auch wenn es ein positives ist und vermutlich auch wirklich ganz gut belegt, mag ich trotzdem markieren, dass es sich möglicherweise auch um ein Vorurteil handelt. 

Kommentare

Vielleicht auch spannend: