aufgeben

Als ich zur Seite schaue, da sagst du "wir können immernoch umkehren.", und leider stimmt das immer. Deshalb denke ich wirklich darüber nach weil so wie du es gesagt hast, ist es keine Lüge. Trotzdem kehren wir nicht um, weil wenn ich jetzt umkehre, muss ich den ganzen Weg wieder zurück und die Zeit wäre dann wirklich umsonst und verloren. Du sitzt zufrieden im Sitz für Beifahrer*innen und lächelst. Denn du weißt genau, dass dein Gedanke in mir Wurzeln finden konnte. Du hast deinen Job gut gemacht, du bist ein sehr kompetenter innerer Zweifler. Du kennst meine Ängste, meine Sorgen und in deiner Übersetzung der Welt denkst du, dass du mir hilfst. Denn du hast ja nicht immer Unrecht. Und wenn ich mal etwas entschieden habe und es schief gegangen ist, sonnst du dich darin "ich habe es dir ja gesagt" aussprechen zu dürfen.

Aufgeben ist eine ständige Begleitung im Leben. Es ist leider immer möglich. Wann immer jemand sagt "Wir können nicht aufgegeben" hat diese Person das Wort wollen nicht im Kopf gefunden. Aufgeben geht leider immer. Egal wieviel Erfahrung oder Erfolg wir haben, es geht immer. Und besonders schlimm ist, dass es auch sinnvoll sein kann. Wenn wir zum Beispiel Verhalten ablegen, das uns und anderen schadet. Wenn wir ein Projekt fallen lassen, wo die Kosten zunehmend den Nutzen überholen. Wenn wir in einer Situation leiden. 

Ich halte das Lenkrad ausreichend Selbstsicher, was sicher auch daran liegt, dass es sich hier um ein metaphorisches Fahrzeug handelt. Im Radio läuft "im Zweifel für den Zweifel" von Tocotronic und mein kritischer beifahrender Persönlichkeitsanteil wippt fröhlich mit, wo nichts zum fröhlich mitwippen ist. An sehr schlechten Tagen, da bin ich dem Aufgeben sehr nah. Da berührt meine Kunst niemanden und dann denke ich plötzlich, dass ich falsch damit liege, dass sie mich selbst berührt. Ich wünsche mir dann, dass jemand anderes Sinn in meinem Handeln sieht, wo ich ihn gerade nicht sehen kann. Meine Hände greifen wieder fester das Lenkrad. Denn in der Vergangenheit konnten meine Handlungen nur Menschen berühren, weil ich sie gemacht habe. Jede Handlung die ich vorher aufgegeben habe, jede verworfene Idee kommt nur mit der Sicherheit zu wissen, dass sie niemanden erreicht. Entgegen der Unsicherheit,  ob es jemanden erreicht. Und die müssen wir akzeptieren, denn weder wir noch unser Umfeld können vorher bestimmen, welche Aktion wann wo Bedeutung hat. Handlungen oder auch Kunst ohne Sinn können ihn später und woanders entwickeln.

Wenn mein Zweifel sagt, dass wir abbrechen und umkehren können, dann stimmt das immer. Aber wenn ich mich nicht bewege, komme ich auch nirgendwo hin. Und an meinem Zweifler würde das auch nichts ändern, weil seine Aufgabe sich nicht verändert. Bewege ich mich nicht, zweifelt er daran. Also versuche ich in seiner Kritik das Konstruktive zu finden. Meckert er, weil mir in Wirklichkeit der Weg zu lang wird? Brauche ich eine Pause? Oder brauche ich vielleicht Hilfe, weil ich drohe mich zu verfahren? Der Zweifler im Inneren, wenn er betreut und befragt wird, kann wichtige Hinweise auf Bedürfnisse geben. Er hat eine eigene Geschichte, die es lohnt zu erforschen - sollte Leidensdruck an ihm hängen, dann vielleicht auch mit professioneller therapeutischer Hilfe. 

Steven Pressfield beschreibt in "The war of Art" in großer Härte eine große Auswahl an inneren Widerständen, die uns aufhalten wollen. Sie wollen aus fataler Bequemlichkeit uns schön dort behalten wo wir schon sind, denn Veränderungen und in Bewegung sein ist anstrengend. Und weil wir in vielen Dingen nach Effizienz streben um Energie zu sparen, versuchen uns die inneren Widerstände zu stoppen. Der innere Zweifel, der arbeitet da oft fleißig mit und präsentiert uns ein "Best-Of" der Widerstände. Auch wenn ich Pressfields Buch teilweise etwas zu hart fand, ich glaube am Ende hat er recht damit, dass wir dann trotzdem weitermachen müssen. Weil wenn wir auf Widerstand stoßen, sind wir etwas spannendem auf der Spur.

Ein inzwischen zum Meme gewachsener Tweet, dessen Verfasser*in mir unbekannt ist, hat es auch sinngemäß gesagt: "Wenn Videospiele mich eines gelehrt haben, dann das ich um so näher am Sieg bin, je mehr Widerstände ich treffe" Das kann ich nachfühlen. Nicht, weil wir im Leben auf harten Widerstand treffen müssen, um mit uns selbst erfolgreich zu sein, aber sie sind ein guter Indikator dafür, dass wir etwas gewinnen könnten, wenn wir es durchziehen. Und so gewaltvoll wie der Tweet im Original (Da wird von Feind*innen, nicht Widerständen geschrieben) und auch teilweise Pressfields Bild, der die kunstschaffende Person als Soldat*in sieht, so will ich es nicht sehen.

Aufgeben, das ginge immer. Frieden mit den Widerständen schließen und die innere Kritik in die Fortbildung schicken, das braucht beständige Arbeit. Aber dann gewinnen wir zusätzliche Sicherheit und Orientierung. Und dann fahren wir ohne Ziel rum und kommen trotzdem wo an.





Kommentare

  1. Anonym22.6.23

    Beim Lesen dieser Zeilen hatte ich mehrfach ein flaues Gefühl im Bauch. Ich war zwischendurch nicht sicher, ob ich den Text wirklich bis zum Ende lesen sollte, weil ein paar Punkte mich aktuell sehr treffen. Aufgeben steht immer mal wieder im Raum, weil Veränderungen so kräftezehrend sind und mich manchmal (fast) der Mut verlässt, dranzubleiben und weiterzumachen. ABER ich entscheide mich (bisher) immer wieder dagegen... Auch beim lesen dieses Beitrags. Bis zum Ende. Nicht aufgegeben. Deine Zeilen bedeuten etwas, für mich persönlich, jetzt gerade. Vielleicht ist das gut zu wissen, um deinem Kritiker die Zunge rauszustrecken und zu sagen: Siehste? Ich gab's dir ja gesagt.

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