vermutlich brauchen wir dein Buch

Mit großer Begeisterung lese ich. Im Blog habe ich schon mal beschrieben, dass das mal anders war und ich mir das zurück holen musste, aber jetzt ist es eine sehr gemochte Zeit im Tag. Besonders Sachbücher haben es mir angetan, viel übers Kunstmachen, einiges über Pädagogik und auch über die Psyche. Denn in diesen Büchern findet sich fantastisches Wissen und Expertise. 

In meinem Umfeld sind viele Menschen, die ebenfalls Expertise haben. Teilweise muss ich da sagen "leider". Nicht weil ich ihnen nicht Erfahrungen und Wissen wünsche, sondern weil deren Erfahrungen darauf basieren, dass sie Gruppen angehören oder zugeordnet werden, die Nachteile in unserer Gesellschaft erfahren. Sei es die so genannte "Zuwanderungsvorgeschichte" in der Familie oder Queerness oder Trauma oder Gender oder Neurodivergenz oder Behinderung oder ein anderes Merkmal, dass macht das der Alltag dieser Menschen eine Abweichung von dem erfährt, was der "Mainstream" erlebt. Aber der wichtige Punkt ist: Diese Menschen erwerben Wissen und Expertise. Oft besonders dazu, wie die Dinge gestaltet werden müssen, damit sie selbst oder ihre Gruppe keine Nachteile mehr erfahren. 

Wenn ich etwas neues lerne oder lese, das mich sehr überzeugt, renne ich sehr oft in mein geliebtes Umfeld und teile, was ich gerade gelernt habe. Früher mit etwas blindem ungebremsten Hype, was zur Folge hatte dass ich Kritik an meinem neuen Wissen erstmal abgetan habe. Mein Umfeld hat mich aber sensibilisiert - was vermutlich auch daran liegt, dass ich selbst erst herausfinden musste, dass ich mancher dieser benachteiligten Gruppen auch angehöre. Es hat aber auch damit zu tun, warum ich mein Wissen so gerne teile: Ich mag Menschen helfen sich entwickeln zu können. Und da gab es eine Blockade: Mein Wissen und die Tools nutzen nichts, wenn Menschen sicher sagen können: "Das funktioniert so nicht für mich"

Natürlich, auch ohne einer so genannten "marginalisierter Gruppe" anzugehören, ist wie wir Denken, Erleben, Fühlen und Handeln sehr individuell, trotz aller verbindender Gemeinsamkeiten. Trotzdem kann ein Buch oder anderes Medium nie alle Menschen abbilden. Alles kann immer nur ein Screenshot des Moments sein, in dem ein Medium fertiggestellt wird. Und dann dreht die Welt sich weiter und schon bald gibt es neue Menschen, neue Haltungen aus neuen Problemen und ein Buch ist nicht mehr universell anwendbar, auch wenn es das versuchen möchte. 

Wenn ich mit meinen Freund*innen rede, merke ich aber, dass es jetzt schon eine Lücke gibt. Nämlich eben die Bücher und Quellen der Menschen, die anders erleben und andere Tools brauchen. Und das ist ein Problem und deshalb brauchen wir vielleicht dein Buch. Denn wenn "deine Leute" zum Beispiel noch keine Hilfen für sich sehen können, von "ihren Leuten", dann bleiben ihnen Bereiche verschlossen. 
Mit Begeisterung habe ich James Clears "Atomic Habits" gelesen und empfehle es vielen Menschen, dann haben mir Personen mit ADHS gesagt, dass Clears Methoden zwar toll sind, aber aufgrund davon wie bei diesen Leuten das Hirn arbeitet, nicht alle so funktionieren. Was also fehlt ist eine Quelle für Menschen mit ADHS, wie sie auch ihre Gewohnheiten ändern können. Und das ist sicher nur ein konkretes Beispiel, aber Lücken in unserer Dokumentation gibt es da viele.

In der Überschrift sage ich, dass es vielleicht dein Buch braucht. Das ist nur so, weil ich Bücher selbst als besonders nachhaltige Quelle sehe. Aber vielleicht braucht es deinen Youtube-Kanal, deinen Blog, deine Kunst, was auch immer sichtbar macht wie du erlebst, lebst und was du und andere brauchen. Austin Kleon schreibt in einem seiner Bücher: Wenn es das Buch, das du gebraucht hättest um vorwärts zu kommen nicht gibt, dann schreib es!

Ja. Das reicht als Grund. Und vielleicht wird es kein krasser wirtschaftlicher Erfolg, wenn du es machst. Aber es wird sicher (s)ein Publikum finden mit der Zeit, dass eben genau dieses Buch braucht. Um sich auch zu trauen, um auch besser leben zu können oder nur zu wissen, dass es mehr Menschen da draußen gibt, die ähnlich erleben. Denn das haben wir alle, unabhängig von Gruppen und Benachteiligungen und Merkmalen gemein: Wir sind Gemeinschaftswesen und es ist wichtig uns an andren zu erkennen und uns zugehörig fühlen zu dürfen. 

Und dafür brauchen wir vielleicht dein Buch. 

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