Kunst, Leid und Therapie

Eins der wirklich unnötigsten Klischees über Künstler*innen, ist die Behauptung, dass Künstler*innen leiden müssen, um Kunst machen zu können. Da werden zig historische Figuren so gedeutet, dass ihre schwere Lebensgeschichte ihnen ermöglicht hat, ihre wichtige Kunst zu machen. Und das mag als Geschichte sehr zufriedenstellend sein, weil es dann so aussieht, als wäre es eine Held*innengeschichte, wo Kraft der Kunst das Dunkle in der Biografie besiegt worden ist. Aber das trifft zum einen historisch oft nicht zu und zum anderen ist das keine gesunde Haltung zu Kunst. 

Sicher fallen auch mir viele Menschen ein die Kunst machen, darunter auch viele enge Freund*innen, die eine herausfordernde Biografie haben. Da ist Schmerz, da ist Trauma, da ist Leiden. 
Aber ich kenne eben auch Menschen, deren Biografie erstmal leichter und netter aussieht, die trotzdem auch tolle Kunst machen. 
Ich mag letzteren damit nicht absprechen, dass ihre Probleme nicht auch wichtig sind, denn für jeden Menschen fühlen sich die eigenen Probleme schlimm an, da gibt es keine Größen und Vergleichbarkeiten. 
Ein gewisser Schmerz gehört zum Leben dazu, aber eben nicht zwingend zum*r Künstler*in. 

Was sich schon zeigt, dass Künstler*innen oft eine hohe Aufnahme oder Sensibilität für die Welt haben. Wahrnehmung von Gegenständen, Gefühlen, Konflikten, Menschlichkeit. Kunst wird mit der Seele gemacht weil sie auch auf Seelen treffen möchte. Aber die Seele der Kunstschaffenden beinhaltet mehr als Leid. Sie hat nur eben auch eine hohe Offenheit und Durchlässigkeit für alles was sie sehen und deuten und verstehen. Und die Welt ist eben auch oft nicht leicht zu ertragen und zu betrachten.

Beth Pickens beschreibt in ihrem Buch "Make your art no matter what", dass es aber oft andersherum stimmt. Wer Kunst macht leidet dann, wenn es nicht mehr möglich ist Kunst zu machen. Künstler*innen leiden ohne die Kunst. Auch das würde ich nicht als exklusiv für diese Berufung sehen, denn Selbstverwirklichung ist ein erstrebenswertes Bedürfnis. 
Aber alleine wenn wir uns Beschreibungen von Blockaden bei Künstler*innen anschauen, dann können wir anerkennen, dass es ohne Kunst schwerer wird. Kann ich auch selbst unterschreiben aus meinen Erfahrungen. Wenn ich keine Kunst machen kann, keine Inspiration finde, das nimmt mir Lebensqualität. 

Eine wichtige Frage dabei ist - für alle Menschen -, kann ich noch mit meinem Leid umgehen? Kann ich es aushalten und die Auslöser des Leides noch bearbeiten? 
Kunst machen sollte dabei ganz dringend nicht mit Therapie und Behandlung verwechselt werden. Wie bei jeder anderen Verletzung unseres Systems, gibt es eine Grenze wieviel wir selbst behandeln und heilen können, ohne Hilfe zu bekommen. Eine übliche Grippe oder einen gestoßenen Zeh bekomme ich auch erstmal selbst betreut, aber sobald sich Schmerz und Leid fortsetzen und so weniger ich verstehe was dort vorgeht in mir, desto sinnvoller finde ich es eine*n Expert*in hinzuzuziehen. 
Mir hilft es oft mir Verletzungen der Seele mit Verletzungen des Körpers gleich zu setzen. Allen ist klar, dass wir mit gebrochenen Knochen eine*n Ärzt*in als Hilfe brauchen, warum sollte ich also ausgerechnet meine gebrochene Seele oder Willen nicht auch in Behandlung bringen? 

Ja, die Aktivitäten die wir zum Kunst machen brauchen - Schreiben, Malen, Zeichnen, Erschaffen, Gestalten - wirken positiv auf uns. Weil Aktivität positiv auf uns wirkt. Und sicher lassen sich kleine Belastungen damit abfedern. Es ist sinnvoll zu betrachten wieviel davon Heilung und wieviel davon Ablenkung oder Betäubung ist? 

Die nachhaltige Heilung der Leiden der Seele ist wichtig. Denn was immer in unserem Leben uns dahin geführt hat, dass wir Leid empfinden und es schwerer aushalten oder bearbeiten können, ist keine Grundlage unserer Kunst, sondern eine Gefahr für unsere Kunst. Denn wenn unsere Seele irgendwann nicht mehr kann, werden wir auch kaum mehr Kunst machen können. 

Und ja, Kunst kann uns helfen Konflikte zu bearbeiten, Einsichten zu finden, Gefühle zu fühlen, Momentum, Impulse und Energie zu bekommen. Aber Heilung, als laufender oder abgeschlossener Prozess, die braucht richtige Versorgung unserer Wunden. Und da kann Therapie der richtige Weg sein. Denn wer wirklich Kunst machen will, wird auch nicht dann aufhören, wenn die Schmerzen abklingen. Es wird dann andere Kunst vielleicht, aber sicher weiterhin Kunst. 

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Wenn du diesen Beitrag liest und denkst "so stark fühle ich gar nicht für und in Kunst", dann ist das auch voll in Ordnung und deine Kreativität nicht weniger wert. Aber ich denke, es gibt Unterschiede zwischen "Kunst machen" und "ein kreatives Hobby" haben. Und das ist nicht schlimm, aber ein Thema für einen anderen, zukünftigen Blogbeitrag.

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