Willenskraft

Jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen unterschiedlicher Größe. Was gibt es zum Frühstück? Kündigen wir unseren Job? Kaufe ich mir ein Eis? Entscheidungen kommen in allen Farben, Formen und Geschmacksrichtungen. 

Es gibt Menschen den fallen Entscheidungen leicht und es gibt Menschen, für die ist das nicht so einfach. Ob das aber wirklich an den Leuten selbst liegt oder Zufall ist, ist zumindest ein bisschen streitbar. Denn auch ich habe mit großer Überraschung gelernt, dass Willenskraft, was hinter Entscheidungen liegt, keine Eigenschaft, sondern eine Ressource oder quasi eine Währung ist. So sagen es einige Forscher*innen inzwischen. 

Jede Entscheidung am Tag kostet uns erstmal etwas Willenskraft. Verbrauchen wir sie komplett, fühlen wir uns zum Beispiel überfordert und scheitern plötzlich an potentiell einfachen oder gar nicht so wichtigen Entscheidungen. Auch große Entscheidungen sind dann plötzlich extrem herausfordernd, emotional und auch inhaltlich. 

Aber wir haben Glück, denn wir können Willenskraft auch verwalten. Olympische Läuferin und Künstlerin Alexi Pappas spricht in ihrer Biografie "Bravey" von "Willpower Budgeting" und bietet dafür sogar ein Hilfstool an.  

Die Idee vom Willpower Budgeting ist zum einen, bestimmte Entscheidungen vor weg zu nehmen, um die Energie für andere wichtigere Entscheidungen auf zu bewahren. Ein Beispiel dafür sind Barack Obama oder auch Mark Zuckerberg, die aus diesem Grund mehrfach das selbe Outfit besitzen und verwenden. Ja, sie sehen immer gleich aus, aber die Frage "was trage ich heute?" wird sehr einfach und klein. Sie kostet weniger Willenskraft. 

Willpower Budgeting kann aber auch bedeuten, in einer großen Entscheidung alle kleinen Entscheidungen zu identifizieren. Quasi auf Raten zu zahlen, wenn mensch so will. So kann ich mich zum Beispiel heute entscheiden, wann ich diese Woche Sport mache, am Tag davor welchen Sport und dann an dem Tag wie lange. Oder heute beschließen dass ich mich nach neuen Jobs umschaue, dann wann ich meine Bewerbungen überarbeiten und dann mit für jeden Tag einplanen genau eine zu verschicken. So verteile ich mein Budget auf die Woche. 

Alexi Pappas sagt, dass zum Budgeting aber auch gehört zu wissen, welche Handlungen einem auch wieder Willenskraft einbringen. Denn das ist möglich. Um das genau zu betrachten, hat sie einen Index erstellt. Dabei schaut sie, zum einen, ob Sachen gut für sie sind oder schlecht für sie. Und zum anderen, ob sie Willenskraft nehmen oder geben. So entsteht eine Art Kosten-Nutzen- Übersicht für Willenskraft. 

Rechnungen schreiben ist sehr gut für mich (weil ich dann Geld verdiene) aber kostet mich persönlich viel Willenskraft. Videospiele spielen ist jetzt nicht super gut, aber auch nicht unfassbar schlecht für mich, aber es gibt mir fast immer Willenskraft zurück. Kochen kostet mich gibt mir etwas Willenskraft zurück, ist aber auch gut für mich. Freund*innen treffen ist oft sehr gut für mich, kostet mich aber oft viel Willenskraft (weil ich heimlich introvertiert bin). 
Und auf dieser Art - ich empfehle es als Grafik mit X- und Y-Achse zu bearbeiten, kann ich also Verbraucher und aber auch Quellen von Willenskraft finden. Steht mir eine Zeit mit vielen Entscheidungen bevor, schaue ich, dass ich auch Aktivitäten für mich einplane, welche meine Willeskraft stärken. 

Dabei ist mir eine Strategie auch sehr beliebt geworden, die auch Alexi Pappas, aber auch schon meine Lehrer*innen in der Schule empfohlen haben "Tommorow starts tonight". Schlaf füllt die Willenskraft auf, schon ein kurzer Nap kann manchmal ein guter Reset für Hirn und Seele sein. Das bedeutet für mich, dass ich am Abend noch Entscheidungen für den nächsten Tag treffe, damit ich dann Willenskraft sparen kann. Die Kleidung rauslegen, die Tasche schon packen, Essen schon vorbereiten. Kleinkram der heute vielleicht noch so gerade geht, damit ich ihn morgen nicht mehr machen muss. So helfe ich meinem Zukunftsich, dass er mehr Raum im Tag gewinnt. Sehr großzügig von mir für mich. 

Wie so oft, der letzte Bogen: "Was hat das mit Kunst machen zu tun?" Kreativsein steckt voller Entscheidungen. Anfangen, jeder Satz, jeder Strich, jede Note. Es ist ein ständiges Abwägen, Probieren und Beschließen. Braucht mein restlicher Tag aber alle meine Willenskraft auf, kann ich vielleicht nicht mehr genug für meine Entscheidungen in der Kunst tun. Und deshalb kann es wichtig sein zu schauen, wie wir genug Willenskraft für unsere Kunst dann haben, wenn wir sie brauchen. 
Ich zum Beispiel schreibe diese Artikel und mache andere Kunst morgens, oft bevor ich noch irgendetwas anderes mache, damit ich garantiert genug Willenskraft übrig habe. Funktioniert für mich, sicher nicht für jede*n da draußen. 

Übrigens erlaubt die entstehende Struktur und die Tools auch besser auf Überraschungen im Tag zu reagieren, kommt ja häufig vor, dass wir spontane Entscheidungen treffen müssen. Aber durch gute Vorbereitung und Struktur ist abweichen oft viel leichter, als wenn mensch sich als frei lässt. 

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