Sich überleben: Dasselbe und das Gleiche

Vor einiger Zeit ging es mir nicht so gut, aber ich hatte etwas Energie übrig. Also habe ich im Sinne meiner Selbstwirksamkeit kleine Erkenntnisse und Merksätze hier im Blog aufgeschrieben, die mir geholfen haben aus schweren Zeiten und Denkmustern raus zu kommen. Daraus ist dann eine unregelmäßige Reihe im Blog mit sanft übertriebendem Namen geworden: "sich überleben" und wenn ihr auf die Worte klickt, kommt ihr zu allen Beiträgen.

Der wichtige Disclaimer wie immer: Wenn ihr großen Leidensdruck empfindet, werden meine kleinen Gedanken hier das nicht beheben können. Je nachdem was da in euch vorgeht, könntet ihr eher Unterstützung von Therapeut*innen brauchen. Scheut euch nicht, Therapie kann ein guter wichtiger Ort sein.

"Wenn du und ich das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe"
Es ist einer dieser Elternsprüche, die Mensch in der Kindheit ständig zu hören bekommt. Zumindest war es bei mir so. Ich bin mir bis heute sicher, dass ich das zu hören bekommen habe um den sprachlichen Unterschied der Begriffe zu lernen und damit einem typischen Ausdrucksfehler nicht mehr anheim zu fallen. Aber je mehr ich zu Kommunikation gelesen und gelernt habe, aber auch die Technik des Reframings kennengelernt habe, desto klarer ist mir wieder geworden, wie wichtig diese Formel für den Alltag ist.

Denn es ist einfach so wichtig sich klar zu machen, dass unterschiedliche Erziehung, Bildung und zig andere Faktoren bewirken können, dass die gleiche Handlung in unseren verschiedenen Kontexten etwas anderes bedeuten kann. Das darf uns zum Beispiel auffallen, wenn wir hören wie Jugendliche miteinander reden und wir uns dabei ertappen alterskosnervativ zu werden, weil wir das nicht okay finden, was da wie gesagt wurde. Wenn wir auf andere Kulturen schauen, in denen wir nicht aufgewachsen sind, ist uns häufig klar, dass dort bestimmte Normen und Regeln anders sind. Zum Beispiel die Begrüßung, Handzeichen, welche Bedeutung Farben haben und die Liste ist unüberschaubar lang. Das wir aber alle in verschiedenen Familien aufgewachsen sind, in unterschiedlichen Umfeldern, verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften angehören und damit auch wir alle individuell eine eigene andere Kultur haben, das vergessen und übersehen wir gerne.

Und dann sind wir plötzlich angefressen, weil uns jemand im Chat nur extrem kanpp antwortet, weil wir zum Beispiel von uns selbst wissen, dass wir das nur tun, wenn wir super genervt oder gestresst sind oder keinen Bock haben. Und dann projezieren wir unsere eigene (Gesprächs-)Kultur auf die andere Person und sind quasi sauer, dass dieser Mensch nicht wir ist. Sich bewusst zu machen, dass gleiche Handlungen nicht die gleiche Bedeutung haben, ist dabei eine ganz wichtige Sichtweise. Weil auch wenn wir erst irgendwann so um das Alter von Vier Jahren lernen uns in andere rein zu versetzen, geht das manchmal in besonders schlechten Phasen der eigenen Laune auch im erwachsenen Alter gedanklich wieder verloren. Und da hilft es eben dann sich zu fragen, ob es nicht gute Gründe für die Handlungen geben konnte, die andere sind, als wir sie hätten wenn wir das tun.

Die Idee hinter dem Reframing, einer Technik aus der Arbeit mit so genannten verhaltensauffälkigen Kindern und Jugendlichen, nimmt sich zum Ziel, Handlungen von Kindern aus einem Rahmen (Frame) in einen anderen zu setzen. Denn was uns - zum Beispiel als Eltern oder pädagogische Fachkräfte - in der einen Situation als störenden Eigenschaft vorkommt, kann in einer anderen extrem nützlich sein. Das bedeutet, dass wir manchmal nur ein Handeln in eine neue Situation übertragen müssen. Und dann kann plötzlich die Eigenschaft, laut zu sein und alle Aufmerksamkeit zu verlangen, nützlich sein, wenn diese Person beauftragt wird allen wegen etwas bescheid zu geben. Und so können wir dann auch unser Umfeld und sogar uns selbst behandeln. Denn diese eine Sache die du machst, die du nicht abstellen kannst und dir auf die Nerven geht, ganz eventuell, ist sie in einer anderen Situation gar nicht mal so unnütz. Wir müssen nur die Hausaufgabe machen, die Fertigkeit die hinter unserem Handeln steht zu erkennen. Und wenn wir dann unsere Absichten auch für uns klar bekommen, haben wir den Unterschied, zwischen dem Gleichen und demselben ganz sicher in der Tasche.

Kommentare

  1. Anonym2.8.23

    Puh, ja! Das trifft mich mal wieder mitten auf die 12. Ich bin extrem dankbar dafür, an einer Stelle in meinem Leben zu sein, an dem ich das aufarbeiten und reflektieren kann. Und ein Umfeld habe, das diese Schritte mitgeht und unterstützt. Zu bemerken, dass nicht mein Gegenüber oder eine bestimmte Handlung mich verletzt, sondern ein dahinterliegender Prozess, eine alte Verletzung oder eine Bewertung, die von mir selbst kommt... Das ist gut, aber auch bitter und ein Haufen Arbeit. Jedes einzelne Mal, wenn ich wieder eine solche Runde gedreht habe und mit etwas Abstand sehen kann, was da wohl passiert war, ist das gut. Aber dahinzukommen ist auch ziemlich herausfordernd und anstrengend. EINFACHER wäre es sicher, wenn man die andere Person für den Schmerz verantwortlich macht, statt in sich selbst zu forschen. ;)

    Aber dann bewegt man sich nicht, bleibt in der Verletzung und reißt sie wahrscheinlich immer wieder von vorne auf und nichts verbessert sich. Genauer hinzugucken hilft zumindest dabei, sich zu entwickeln und auch gesünder mit sich selbst umzugehen. Denn auch der Vergleich mit anderen kann schädlich sein. Habe ich zB schlechte Erfahrungen mit bestimmten Verhaltensweisen einer Person gemacht und handle dann in einem anderen Kontext ähnlich, habe ich schnell das Gefühl, genauso problematisch zu sein, obwohl die Intention und Details dahinter sich deutlich unterscheiden. Auch hier lohnt es also genauer hinzuschauen und im Austausch zu bleiben. Denn nur, weil ICH denke, dass eine Handlung für mein Gegenüber problematisch ist (weil mein Kopf es mir so hinlegt oder es das für mich wäre), bedeutet das noch lange nicht, dass es auch so ist. Und auch dann ist dieser Spruch hier wirklich sehr hilfreich, um ihn im Kopf zu behalten. :)

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    1. Es ist halt irgendwie abgefahren zu sehen, welche Tiefe manche von diesen Redewendungen dann auch im Laufe des eigenen Lebens gewinnen dürfen. Sowohl, wie tief sie eingepflanzt werden in der eigenen Seele, aber auch wieviel Bedeutung mehr sie haben, als mensch anfänglich vermutet.

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